Die Verzweiflung war frisch, die Stimme des Abgeordneten kiekste ein wenig: „Ich hab exakt gewusst was er tut – wir haben es trotzdem nicht hingekriegt!“ So groß die Erwartungen der Opposition im Bundestag gewesen war, den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Untersuchungsausschuss vorführen zu können, so bitter fiel das Resümee aus. Guttenberg überstand im April mit seinem perfekt vorbereiteten Vortrag zum Luftangriff von Kunduz die Anhörung ohne nennenswerten Schaden.
Drei Monate und ein halbes Dutzend Ausschusssitzungen später lässt sich hinzufügen: Die zentralen innenpolitischen Fragen zum Kunduz-Komplex sind unbeantwortet. Guttenberg ist weiterhin beliebtester Politiker der Republik. Aber der Ausschuss
Ausschuss ist am Ende. Bis Dezember reicht zwar die Liste der Anhörungstermine mit vielen weiteren Zeugen. Griffige Ergebnisse, die Konsequenzen erzwängen, oder ein kollektiver Erkenntnisfortschritt dürften dadurch aber nicht mehr entstehen.Natürlich gibt es begründete Vermutungen darüber, wieso Guttenberg das verheerende Bombardement mit wahrscheinlich 100 Toten zunächst für militärisch angemessen und unvermeidlich hielt – und dann das Gegenteil erklärte. Offenbar wollte sich der junge Minister bei Amtsantritt erst bei der Truppe ganz besonders beliebt machen und sah einen Monat später ein, dass dies nicht haltbar war. Und allgemeine Politpsychologie reicht aus zu begreifen, wieso die Bundesregierung das Ausmaß des Desasters erst zu vertuschen versuchte und dann die Debatte verschleppte.Das Ziel verfehltDoch haben die Details und Hinweise, die vielen kleinen Belege aus dem Ausschuss nicht gereicht, die innenpolitische Afghanistandebatte so zu verändern, dass die Verantwortung für den Bundeswehr-Einsatz insgesamt gewachsen wäre. Dabei lässt die Lage in Kunduz eine weitere Katastrophe durchaus möglich scheinen. Der Untersuchungsausschuss aber, das viel zitierte „schärfste Schwert der Opposition“, ausgestattet mit großer Recherchekraft, noch besserem Aktenzugang und unvergleichlicher Autorität, Zeugen zu laden: Er hat sein Ziel verfehlt. Schuld sind: die 34 Mitglieder, die Konstruktion des Ausschusses und die Medien.In der letzten Sitzung vor der Sommerpause am vergangenen Donnerstag wollte der Ausschuss noch einmal einen wichtigen Akteur im großen Verschleierungstheater nach der Bombennacht vom 3. auf den 4. September 2009 hören: Thomas Raabe, Chefsprecher des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU). Auf Raabes Konto geht die tagelang irreführende Pressemeldung: „Erfolgreicher Einsatz gegen Aufständische im Raum Kunduz“. Längst ist klar, wie früh sämtliche Zuständigen in Afghanistan und Berlin wussten, dass es zivile Opfer gab.Streit über das VerfahrenUnd doch musste die Anhörung des interessanten Zeugen Raabe verschoben werden, wie so viele Anhörungen zuvor. Der Ausschuss hatte fast die Hälfte der sechseinhalb Sitzungsstunden im Streit über Verfahrensdinge verbracht. Es ist medial kaum darstellbar, in welchen Windungen der erfahrene Ausschuss-Jurist Siegfried Kauder (CDU) die Informationsarbeit lahmlegt. Kauder und die Mehrheit der Unions-Mitglieder unternehmen alles, den Ausschuss zu versenken, bedeutungslos und auch lächerlich zu machen. Der Unions-Verteidigungsexperte Ernst-Reinhard Beck, eigentlich kein bloßer Saboteur wie Kauder, sagte am Donnerstag offen, der Ausschuss möge bitte beendet werden: „Wir verschwenden Zeit und Energie.“Allein die Wiederaufnahme der Öffentlichkeitsdebatte verspricht viele weitere Stunden Nervenschleiferei. Denn jüngst setzte Kauder durch, dass der Ausschuss grundsätzlich nur noch nicht-öffentlich tagen darf. In der Tat ist der Verteidigungsausschuss eigentlich zu geheimer Sitzung verpflichtet. Da er sich nun selbst als Untersuchungsausschuss eingesetzt hatte, dieser jedoch auch laut Unions-Abgeordneten „von Öffentlichkeit lebt“, hatte man sich geeinigt, diese großenteils zuzulassen. Das soll nun vorbei sein. Ohnehin freilich war der Medienpulk auf den Rängen des kirchenschiffhohen Saals im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags zuletzt stark geschrumpft. Das widerkäuende, kleinteilige Aktengewühle wurde langweilig.Opposition blamiert sichEs dürfte jedoch der Union schwerfallen, die Journalisten auszuschließen, wenn Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier erscheinen. Dazu ist der Auftritt von Spitzenpolitikern vor einem Untersuchungsausschuss zu wichtig im Kanon der republikanischen Selbstbestätigungs-Rituale. Doch wo die Koalition nicht mit den Minderheitenrechten der Opposition Fußball spielt, blamiert diese sich schon selbst. So will die SPD angeblich den Auftritt Steinmeiers gegen den Merkels verdealen – wir schonen die Kanzlerin, wenn unser Fraktionschef auch nicht kommen braucht. Dies bewog den Grünen Omid Nouripour bereits zur ärgsten Drohung: „Wenn die Sozis das machen wollen, ist unser gutes Verhältnis nicht nur im Ausschuss am Ende.“Gleichzeitig sorgten jedoch die Grünen mit einem abwegigen Vorschlag eines Binnen-Oppositionsdeals dafür, dass SPD und Linke nun ohne sie vor den Bundesgerichtshof ziehen. Dort wollen sie eine Gegenüberstellung Guttenbergs mit seinen beiden höchstrangigen Mitarbeitern erzwingen. Den Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und seinen Staatssekretär Peter Wichert hatte Guttenberg Ende November gefeuert, dies damit begründet, sie hätten ihn falsch beraten, ihm gar wichtige Unterlagen vorenthalten, und so seinen Meinungsumschwung eingeleitet.Doch wem ist eigentlich geholfen, wenn nun Schneiderhan und Guttenberg noch einmal gleichzeitig dazu befragt werden, ob und inwiefern Schneiderhan beim Einstieg in ein Flugzeug sich zu seinem neuen Minister hinübergebeugt und ihn gewarnt haben will, den Begriff „militärisch angemessen“ unachtsam aufzublasen? Wird je feststellbar sein, ob der oberste General am Telefon Guttenbergs Formulierung absegnete, dass der Luftschlag hätte „erfolgen müssen“?Vielleicht macht der Bundesgerichtshof die Gegenüberstellung zu Ende September ja möglich. Für Ausschussmitglieder und -liebhaber wird es dann auf Wortlaute, Tonfälle, auf genau die richtigen Fragen ankommen. Außerhalb des Saals wird niemandem geholfen sein.