Erweiterte Verantwortung

Flugverbotszone Westerwelle wird für seine Enthaltung zu Libyen sogar von der Linksfraktion gelobt. Doch auch Interventionsgegner werden nun erleichtert sein, wenn die Waffenruhe hält

Wie schnell aus dem größeren doch ein kleineres Übel wird. Außenminister Guido Westerwelle will nun – so hieß es heute Vormittag – die deutschen AWACS-Flugzeuge nach Afghanistan schicken, damit sie dort den Luftraum überwachen. So werden die entsprechenden Kapazitäten der Nato frei: für Libyen.

Nach der überraschenden Entscheidung des UN-Sicherheitsrats von gestern Nacht ist die Machtprobe zwischen der Internationalen Gemeinschaft und dem libyschen Diktator nun noch nicht entschieden. Sogar von der Linksfraktion wurde Westerwelle heute Mittag im Bundestag ausdrücklich dafür gelobt, dass er sich bei der Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten hatte: Keine Teilnahme der Deutschen an einer weiteren Intervention, die auf unsicheren Informationen beruht, die potenziell eskaliert, deren Ziel – Muammar Gaddafi muss weg – sich zwar leicht formulieren lässt, aber gigantische Unwägbarkeiten und wahrscheinlich Kollateralschäden einschließt.

Über die Ironie des so umfänglichen Lobs für den bis vor kurzem so verachteten Minister darf an anderer Stelle nachgesonnen werden. Die Gründe gegen den militärischen Teil der UN-Resolution sind gewichtig, und sie schließen Lehren aus Afghanistan ein. Dass aber Deutschland erneut seinen Beitrag zu einer aus so vollem Herzen abgelehnten Intervention dadurch leisten sollte, dass es an anderer zweifelhafter Stelle seine Anstrengungen verstärkt, hätte auch der Linksfraktion im Bundestag eine Bemerkung wert sein können.

Statt gleich die vernutzte „Kriegstreiber“-Vokabel herumzuwerfen und sich in wohlfeile moralische Sicherheit einzukuscheln, sollten auch Interventionsgegner darüber nachdenken, ob sie nicht auch erleichtert sein werden, wenn Gaddafis Ankündigung eines Waffenstillstands nun möglicherweise gar in seinen Rückzug münden, schon allein die Drohung der Bombardierung also Wirkung gezeigt haben sollte.

Die Responsibility to Protect, die "Schutzverantwortung", auf die sich Großbritannien, Frankreich, USA und wohl auch andere berufen, wenn sie den Rebellen in Libyen nun beispringen, wird aktuell von der deutschen Bundesregierung und der übergroßen Mehrheit des Bundestags nicht empfunden, obwohl das Prinzip von Deutschen maßgeblich mit entwickelt wurde. Dieses neue völkerrechtliche Prinzip, mehr eine Idee noch als eine Norm, sollte der internationalen Gemeinschaft helfen, aus grauenhaften Aporien wie Ruanda herauszufinden. Im Falle Libyens hat es nun seine erste Belastungsprobe nicht bestanden – jedenfalls nicht in der Weise, dass die sich für verantwortlich Erklärenden zusammengehalten hätten. Der unerwartete Kursschwenk der USA, die Unterschiedlichkeit der Interessen, die je unterschiedlichen öffentlichen Meinungen in den einzelnen Ländern ließen eine Einigung offenbar nicht zu.

Die große Frage, wie groß die Gefahren für wie viele Menschen sein müssen, um der internationalen Gemeinschaft das Recht zum Einreifen zu geben, bleibt demnach weiterhin offen. Sollte es eine Schutzverantwortung geben, muss sie offenbar anders, nämlich nicht moralisch-militärisch, sondern auch wirtschaftlich gefasst werden, damit das Konzept nicht weiter an Glaubwürdigkeit verliert.

Für 86 Millionen Euro wurden in der Zeit der großen Koalition laut Linksfraktion Waffen an Libyen geliefert. Der Linke Jan van Aken wies am Freitag im Bundestag darauf hin, wie absurd es ist, dass Deutschland Woche für Woche beschließt, die Waffenlieferungen an ein weiteres arabisches Land einzuschränken, in dem sich jeweils aktuell ein Umbruch abspielt. Als wären die Waffenlieferungen etwa an Saudi-Arabien dadurch gerechtfertigt, dass das Volk dort noch erfolgreich unterdrückt wird.

Unabhängig davon, wie es in Libyen weitergeht: Will Deutschland die Idee der Responsibility to Protect weiter verfolgen, wird es seine Responsibility for Exports neu aufbereiten müssen.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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