Renate Künast ist selten kleinlaut, ausgesprochen selten, und noch weniger neigt sie zur Selbstkritik. Umso bemerkenswerter war der Satz in ihrem Jahresabschluss-Interview in der Berliner Morgenpost. "Es kann noch besser werden, und es wird auch noch besser“, antwortete die grüne Spitzenkandidatin für das Berliner Bürgermeisteramt auf die Frage, wie sie die Entwicklung ihrer Kampagne beurteile. Anfang November hatte die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag bekannt gegeben, dass sie Klaus Wowereit das Rote Rathaus abjagen wolle.
Doch ebenso bemerkenswert, wie bis dahin die Grünen-Umfragewerte speziell in Berlin in die Höhe geschossen waren, sind sie seither wieder geschrumpft – ohne dass Wowereit sich erkennbar geruckt oder geregt hätte, was nun in den vergangenen Jahren ohnehin eher der Ausnahmefall gewesen ist. Künast hatte freilich erkennen lassen, dass sie sich weiterhin mit ökologischen Zielen identifiziert, was, wenn man es ernst meint, stets auf eine Beschränkung des Autoverkehrs hinausläuft. Was wiederum die autofixierte Mehrheit der Bevölkerung stets spontan auf die andere Seite treibt. Allein die Ankündigung, abseits der Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 zur Regel machen zu wollen, dürfte Künast bereits die ersten Prozentpunkte gekostet haben.
Berlin wird nun, wie so häufig, auch im Super-Landtagswahljahr 2011 eine Ausnahmerolle spielen – zu viel im politischen Alltag und Gefüge der Hauptstadt ist nicht übertragbar auf den Rest der Republik. Das fängt mit der grotesk schwachen CDU nicht an und hört mit der heillosen Verschuldung nicht auf. Doch während die vom Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ durcheinander gewirbelte Situation in Baden-Württemberg bislang wenige Prognosen erlaubt, lässt die Spitzenkandidatur Künasts zumindest in Teilen erkennen, welches die Faktoren sind, die den bislang beispiellosen, seit Monaten anhaltenden grünen Aufschwung ab sofort zumindest dämpfen dürften.
Umfrageumweltbewusstsein
So entspricht das grüne Umfragehoch ziemlich genau dem Umweltbewusstsein der Deutschen: Dieses ist in weiten Teilen ein Umfrageumweltbewusstsein. Die Deutschen sind ein Volk gefühlter Umweltschützer. Doch fährt eben kaum jemand in Europa schwerere Wagen, bewohnt größere Häuser, fliegt längere Strecken in Urlaub, und so weiter. All das aber trifft insbesondere auf die gut verdienende Klientel der Grünen zu. Dies dürfte einer der wichtigsten Gründe sein, warum die Grünen fast immer bei Wahlen schlechter abschneiden als in Umfragen, und der Abstand zwischen behaupteter Neigung und Realität an der Urne bei ihnen auch größer ist als bei anderen Parteien.
Niemand weiß das besser als Grünen. Nicht etwa die Sozialpolitik legt bei ihnen die größten Widersprüche offen. Diese werden in ihrer Kernkompetenz, der Ökologie, mindestens ebenso aufgeworfen. Mit bekanntem Effekt: Wenn die Grünen in die Opposition gehen, suchen sie immer sofort nach ihren Wurzeln und finden dort das böse V-Wort - Verzicht. Wann immer sie sich irgendwo Richtung Regierungsbeteiligung bewegen, unternehmen sie größte rhetorische Anstrengungen, den Wählern erstens alles zu erzählen, was nicht nach Verzicht klingt. Wenn es zweitens dann doch einmal ums Mobilitätsverhalten geht, verkaufen sie den Verzicht auf liebgewonnene Lebensweisen als genussvollen Fortschritt. Es hat sich bislang jedoch noch immer herausgestellt, dass die Leute ungestört Auto fahren wollen – vom Alg-II-Bezieher bis zum Zahnarzt.
Das wiederum weiß niemand besser als die SPD. Es ist deshalb zwar sehr wahrscheinlich, dass in Hamburg das Wahljahr am 20. Februar mit einem rot-grünen Sieg eingeläutet wird (es wäre schon eine sehr lustige, ironische, aber unwahrscheinliche Wendung, wenn die SPD es in Hamburg – wie in einer Umfrage zwischenzeitlich ermittelt – zur Alleinherrschaft brächte, nachdem die Grünen die schwarz-grüne Koalition zugunsten des vermeintlich absehbaren rot-grünen Bündnisses haben platzen lassen). Doch werden die Grünen es nicht leicht haben, auf irgendeinem Feld zu punkten. Die SPD wird unter dem selbstbewussten Olaf Scholz mit Sicherheit die gesamte Sozialpolitik in Hamburg für sich reklamieren und erklären, nach Jahren des schwarzen und schwarz-grünen Kahlschlags müsse die SPD endlich wieder Gerechtigkeit schaffen. Die Grünen werden an dieser Front nichts zu beschicken haben. Schulpolitisch abgewirtschaftet sind sie außerdem, nachdem im Sommer die große Hamburger Schulreform am Volksbegehren der Gymnasialbürger scheiterte.
Heilige Hauptschule
Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt, dass ein rot-grünes Bündnis ohne Mehrheit im Landtag sich zwar aufrechthalten kann - vorerst. Doch mit politischen Inhalten hat das noch nichts zu tun, sie sind bislang auch schwer erkennbar. Die Schulpolitik haben die Grünen (die SPD hatte ohnehin keine präzisen Vorstellungen) in NRW weitgehend den Kommunen überlassen: Sollen die doch die Schularten verschmelzen, wie der Kinderschwund es diktiert. Doch anders als von Grünen behauptet, führt dies keineswegs immer dazu, dass die Hauptschule der Realschule angegliedert wird und die gröbste Ungerechtigkeit, das Aussortieren vor allem der Migrantenkinder in die chancenloseste Schulform, damit ein Ende hat. In ostwestfälisch-lippischen Gemeinden wurde kürzlich beschlossen, lieber die Hauptschulen unterschiedlicher Landkreise zu fusionieren, als dass ein Hauptschüler den Boden einer Realschule beträte. Nun fahren die Hauptschüler eben viele Kilometer mit Bussen. Und bleiben weiter unter sich. Solche Zwischenergebnisse als Erfolg zu verkaufen, wird selbst Grünen bald schwer fallen.
In Rheinland-Pfalz, das immerhin schon eine relativ ambitionierte SPD-Schulreform vorzeigen kann, werden die Grünen nach Jahren kompletter parlamentarischer Abstinenz im Frühjahr nicht nur in den Landtag einrücken, sondern voraussichtlich mit Kurt Becks SPD auch gleich regieren dürfen. Wie solch ein Bündnis aus komplett unerfahrenen, auch innerhalb ihrer eigenen Bundespartei marginalisierten Grünen, und einem seit Ewigkeiten im Sattel sitzenden sozialdemokratischen Patriarchen wie Beck aussieht, lässt sich schnell ausmalen.
Im Osten keine Chance
Und noch eine Schwäche wird 2011 wieder überdeutlich am grünen Landschaftsgemälde abzulesen sein: Die Grünen kommen im Osten nicht hoch. Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werden von den Volksparteien Linkspartei, SPD und CDU bestritten, die Grünen dürfen allenfalls damit rechnen, überhaupt in die Landtage einzuziehen.
Die größte Hoffnung bei gleichzeitig größter Ungewissheit, eine ganz neue Rolle als erste Regierungsmacht zu spielen und darin tatsächlich auch etwas bewegen zu können, haben daher die Stuttgart-21-gepäppelten Grünen in Baden-Württemberg. Ein grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hätte die Möglichkeit, gewievte und erfahrene Politiker aus dem Bundestag als Ministerinnen und Minister zurück nach Stuttgart zu holen. Die Grünen könnten auf der Basis eines verhältnismäßig gut ausgestatteten Landeshaushalts, mithilfe eines bundesweit als ehrgeizig bekannten Landesverbands und vor der abschreckenden historischen Kulisse aus Jahrzehnten der CDU-Regentschaft zeigen, wie viel Politikwechsel eine grün-rote Regierung bringen kann.
Sie könnten die Gelegenheit selbstredend ebensogut vergeigen.
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