Im Zweifel politisch

Nachwuchs Die 16. Shell Jugendstudie entdeckt bei Teenagern ein neues Interesse an der Politik. Oder wollen die Forscher nur die Erwachsenen beruhigen?

Die Soziologen sind vorsichtiger damit geworden, neue Generationen auszurufen. Zu viele Etiketten – Generation X, Generation Golf, Generation undsoweiter – haben einander seit den 1990er Jahren abgelöst, und auch die fröhlichsten Thesenschwinger müssen den Vorwurf der Beliebigkeit fürchten.
Doch wäre es mindestens unsportlich, eine Großbefragung so ganz ohne Kernaussage zu veröffentlichen. Darum haben die Autorinnen und Autoren der 16. Shell Jugendstudie es gewagt: Es wachse, so behaupten sie auf Basis der Befragung von 2.604 Jugendlichen und jungen Leuten von 12 bis 25 Jahren, wieder eine politischere Generation heran. Dies zeichne sich weniger bei den 18- bis 25jährigen, als vielmehr bei den Teenagern ab. Zwar würden die Spitzenwerte des politischen Interesses der 70er und 80er Jahre längst nicht erreicht, doch sei der Tiefpunkt von 2002 überwunden.

Das kann erst einmal nur als gute Nachricht gewertet werden. Doch stellt sich im Licht der weiteren Studienergebnisse die Frage, in welche Richtung das angedeutete politische Engagement denn einmal gehen könnte. Denn merkwürdigerweise ist die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen mit ihren Eltern zufrieden und möchte eigene Kinder ziemlich genauso erziehen, wie sie selbst erzogen worden sind. Der Respekt vor den Älteren ist beträchtlich, die Familienorientierung erneut gewachsen. Fleiß und Ehrgeiz haben Phantasie und Kreativität in der Wertetabelle überholt. Die politischen Neigungen scheinen sich besonders an denen der Eltern zu orientieren, und es wird niemand überraschen, dass das diesbezügliche Interesse in den gehobenen Schichten ausgeprägter ist als in den unteren Herkunftsschichten.

Um einen kurzen Nenner zu versuchen: Die Gymnasiasten wollen sich wenn, dann für die kulturellen und politischen Modelle ihrer Eltern einsetzen. Das verheißt nur bedingt Gutes.

Tröstlich dabei ist wiederum, dass junge Leute dafür bekannt sind, ihre Meinungen täglich bis stündlich zu ändern. Selbst wenn die Gespräche mit den Jugendlichen noch so sorgfältig geführt wurden – Jugendsoziologie ist insofern ein Widerspruch in sich, als dass Jugend ein Zustand der dauernden Übergänge ist und sich nur begrenzt dazu eignet, überhaupt das Papier mit ihrer Beschreibung zu füllen.

So ist zwar auch der seit 2006 offenbar wieder angestiegene Optimismus der Jugend begrüßenswert. Doch wird man auch angesichts von 400 dicht beschriebenen Seiten den Verdacht nicht los, dass die Jugendstudien der Hauptaufgabe verschrieben sind, den Erwachsenen Normalität beizufüttern und ihnen die Sorge zu nehmen, dass da etwas nicht stimmt mit dem Nachwuchs. Migrationshintergründe werden absichtlich nicht gesondert ausgeleuchtet: die Autoren wollen ihren Forschungsgegenstand vor allem als jung, und nicht als ethnisch zugehörig verstanden wissen. Das ist einerseits löblich. Andererseits bleibt es im Ergebnis wieder einmal dem Publikum überlassen, über die Besonderheiten und Nachteile des knappen Drittels der Jugend ohne deutsche Eltern zu räsonnieren.

Auf diese Weise entwirft auch die aktuelle Jugendstudie ein Bild von Jugend, das die Erwachsenenwelt beruhigen soll. Vielleicht ein Zerrbild. Wir wissen es nicht.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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