"Lobbyismus ist immer ein Geflecht"

Interessen Die ARD skandalisiert die Rolle des "Drücker-Königs" Maschmeyer bei der Renten-Privatisierung. Doch an der Riester-Rente haben viele mitgewirkt, so die Ökonomin Wehlau

Der Freitag: Frau Wehlau, diese Woche erregte eine ARD-Dokumentation über den „Drücker-König“ Carsten Maschmeyer, Gründer des Finanzberatungskonzerns AWD, Aufsehen. Hat eine Einzelperson wie Maschmeyer den Deutschen die Privatisierung der Renten beschert?

Diana Wehlau: Nein. Die Einführung der Riester-Rente ist nicht auf eine einzelne Person herunterzubrechen, so schillernd diese auch sein mag. Die Teilprivatisierung der Rente im Jahr 2001 war besonders stark durch die Finanzlobby beeinflusst, soviel ist klar. Aber hierbei handelt es sich um ein Geflecht aus vielen Akteuren: Banken, Versicherungen und auch Finanzdienstleister wie AWD.

Es gibt viele „Strukturvertriebe“, wie die Versicherungs-Drückerkolonnen heißen: Neben AWD sind das etwa OVB und DVAG. Doch durch Maschmeyers Freundschaft zu Gerhard Schröder oder auch Christian Wulff ist er besonders bekannt. Lässt dies nicht vermuten, dass er großen Einfluss hatte?

Bekannt ist, dass Maschmeyer durch die Finanzierung ganzseitiger Zeitungsanzeigen seinerzeit mit dafür gesorgt hat, dass Schröder und nicht etwa Oskar Lafontaine zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürt wurde. Schröder hatte sich wiederum schon als niedersächsischer Ministerpräsident deutlich für eine Rentenprivatisierung ausgesprochen. Auch andere Unternehmen der Finanzbranche konnten Einfluss geltend machen. Die Allianz und die Großbanken haben sich durch relativ hohe Parteispenden in den Prozess eingebracht. Die DVAG wiederum hatte Spitzenpolitiker wie Helmut Kohl oder Theo Waigel in die unterschiedlichen Unternehmensgremien verpflichtet.

Lassen sich im Lobby-Einfluss auf die Privatisierungspolitik überhaupt einzelne Akteure herausheben?

Lobbyistischer Einfluss findet im Wesentlichen im Verborgenen statt. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der immensen Bedeutung, die persönlichen Kontakten und informellen Gesprächen beigemessen wird, und dem, was hierüber dokumentiert und damit erfassbar ist. Dennoch lassen sich auch anhand öffentlich zugänglicher Informationen Anhaltspunkte sammeln. Die Spendenflüsse an die politischen Parteien wie auch die Nebentätigkeiten der Abgeordneten sind besonders aufschlussreich. Das heißt allerdings nicht, dass eine bestimmte Spende unmittelbar zu einem bestimmten Gesetz führt. Das Zusammenspiel unterschiedlicher lobbyistischer Aktivitäten und Beziehungsstrukturen ist letztlich Erfolg versprechend. So schwierig das für Journalisten und die Öffentlichkeit ist: Lobbyismus ist ein komplexes Geflecht, dessen Wirkung sich an einzelnen Personen bestenfalls illustrieren lässt. So war Bela Anda erst BILD-Journalist, dann Gerhard Schröders Regierungssprecher, und ist nun PR-Chef von AWD.

… Was wiederum sicherlich eine Erklärungsmöglichkeit ist, warum Maschmeyer sich am Tag nach der Fernsehsendung in einem solch unkritischen BILD-Interview erklären durfte. Aber: Dass Banken und Versicherungen alles für die Rentenreform 2001 taten, liegt in der Natur der Sache. Wie aber kommt es zu der auffälligen Rolle von Wissenschaftlern, die sich früher oder später alle von Banken und Versicherungen bezahlen lassen – etwa Axel Börsch-Supan, Bernd Raffelhüschen oder Bert Rürup?

Die unabhängige Politikberatung ist in der Rentenpolitik gefährdet – stärker als in anderen Politikbereichen. Walter Riester war der erste Arbeitsminister, der Mitglieder des Sozialbeirats der Bundesregierung absetzte, um kritische Positionen aus dieser Richtung zu unterbinden: So wurde der Privatisierungs-Skeptiker Winfried Schmähl im Jahr 2000 als Vorsitzender des Beirats gegen Bert Rürup ausgetauscht. Seit dieser Phase wird die wissenschaftliche Politikberatung von Befürwortern des Privatisierungskurses dominiert. Auch heute wird trotz der Finanzkrise keine ernsthafte Diskussion über die erheblichen Risiken der privaten Altersvorsorge geführt. Doch glaube ich, dass die Wissenschaftler weniger bei der Einfädelung solcher Reformen, als vielmehr bei der Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle spielen: Egal wer sie bezahlt, sie genießen als Wissenschaftler Vertrauen.

Glauben Sie, dass ein Politiker wie Walter Riester erkannt hat, wie groß der Einfluss der Lobbys gewesen ist?

Das denke ich nicht. Riester hat insgesamt gar keine so große Rolle gespielt. Eigentlich müsste die Riester-Rente dem Ursprung nach eher Schröder-Rente heißen. Als ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär hatte Riester eine ganz bestimmte Rolle in diesem Prozess zu erfüllen. Um eine Brücke zu den Gewerkschaften zu schlagen, wurde er von Schröder eigenmächtig zum Arbeitsminister ernannt. Anstelle des seinerzeit dafür prädestinierten Rudolf Dreßler, der aber eine eher traditionelle Rentenpolitik vertrat. Und Riester sagt heute ja selbst, er habe sich das alles ganz anders vorgestellt.

Nun ist sein Name mit einer Privatrente verbunden, die im Wesentlichen Steuergeld auf die Konten der Aktionäre von Banken und Versicherungen umlenkt...

… Ja, das ist richtig. Die Riester-Rente ist im Wesentlichen eine indirekte Subventionierung der Finanzbranche. Sie kommt den Steuerzahlenden teuer zu stehen. Dennoch ist sie für Banken und Versicherungen nicht besonders einträglich, weil bestimmte Vorgaben erfüllt werden müssen. Spannend wird es für die Finanzbranche aber, da im Schlepptau der Finanzberatung etwa durch AWD weitere, einträglichere Produkte verkauft werden. Die seitens der Politik ständig geäußerte Bekundung, dass die staatliche Rente nicht mehr reiche, ist das beste Verkaufsargument. Auf diese Weise werden die Bürgerinnen und Bürger, die den Finanzmärkten ja mehrheitlich skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, zu Anlegern auf den Finanzmärkten gemacht.

Die Volkswirtschaftlerin Diana Wehlau (36) hat an der Universität Bremen ihre Doktorarbeit über "Lobbyismus und Rentenreform" geschrieben und dafür mehrere Wissenschaftspreise bekommen

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