"Nicht Sozialpolitik mit Sozialpolitik bezahlen"

Hartz IV Die SPD-Arbeitsmarktexpertin Anette Kramme verlangt, für die Hartz-IV-Reform nicht den Fördertopf für Arbeitslose zu kürzen. Doch müsse die Weiterbildung besser werden

Der Freitag: Frau Kramme, die Kosten für die Hartz-IV-Reform möchte Schwarz-Gelb offenbar bei der Bundesagentur für Arbeit wieder hereinholen. Haben Sie schon einen Tipp, wo dort die Axt angesetzt werden könnte?

Anette Kramme: Die Bundesregierung erwägt offenbar, entweder die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen – dann müssten die Arbeitnehmer zahlen. Oder sie beschneidet die Rechtsansprüche der Arbeitslosen auf Fortbildung und Qualifikation, und kürzt im Rahmen der ohnehin angekündigten Reform des arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkastens bei den entsprechenden Fördermaßnahmen der BA.

Na, was würden Sie denn tun? Die SPD hat schließlich den Reformkompromiss mit beschlossen.

Ich halte es für grundsätzlich falsch, die notwendige Aufstockung der Grundsicherung aus den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu finanzieren. Die Mittel müssen anderswo im Staatshaushalt gesucht werden. Sozialpolitik kann nicht aus den vorhandenen sozialpolitischen Leistungen bezahlt werden. Das ist außerdem volkswirtschaftlich unvernünftig. Nicht im Ausmaß wie von der Arbeitgeberseite proklamiert, aber doch sicher in Teilbereichen bekommen wir es mit einem Fachkräftemangel zu tun. Dann darf man nicht dort sparen, wo an der Qualifikation der Menschen gearbeitet wird, deren Ausbildungsniveau offenbar nicht gut genug für den deutschen Arbeitsmarkt ist.

Sind Sie so sicher, dass die Maßnahmen der Qualifikation dienen? Haben Sie noch nie mit Arbeitslosen zu tun gehabt, die von sinnlosen Seminaren berichteten, die niemand nützen außer dem Weiterbildungsträger?

Doch, natürlich hört man das: Informatiker, die in einen EDV-Kurs geschickt werden, andere, die den gleichen Kurs einfach zweimal machen. Natürlich muss an der Qualität der Fortbildungen gearbeitet werden – aber nicht, indem man die Mittel dafür kürzt.

Und wie wollen Sie die Qualität der Kurse verbessern, solange die Weiterbildungsträger sich offensichtlich wenig selbst darum kümmern, wer für ihre Kurse überhaupt geeignet ist, sondern nur die Teilnahme mit der BA abrechnen wollen?

Die Betreuung der Arbeitslosen ist schlicht noch nicht gut genug. Wir brauchen eine Betreuungsrelation von eins zu siebzig: Ein Betreuer soll sich mit den Schicksalen und besonderen Problemen von maximal siebzig Arbeitslosen befassen, nicht wie aktuell mit bis zu 200. Wenn in der Betreuung eine anständige Profilierung des Arbeitsuchenden und motivierende Hilfestellung bei Bewerbungen stattfindet, kann man sich ineffiziente Weiterbildung sparen.

Das klingt nach mehr Personal für die BA, die bereits 90.000 Menschen beschäftigt. Wird auch teuer.

Ja, das ist nicht umsonst, wir rechnen mit etwa 700 Millionen Euro Zusatzausgaben. Doch ich bin sicher, dass das Geld sinnvoll investiert ist, und an anderer Stelle dadurch Ausgaben einzusparen sind.

Es sieht gegenwärtig so aus, als wenn der von Union, FDP und SPD beschlossene Hartz-IV-Kompromiss wieder vorm Bundesverfassungsgericht landen und dort womöglich zerpflückt wird. Wie wollen Sie vermeiden, dass sich das auch zum Schaden der SPD auswirkt?

Das ist ein objektives Problem. Aber wir konnten in den Verhandlungen nur eine Abwägung treffen: Entweder wir stimmen zu, obwohl wir selbst die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze nicht für verfassungskonform halten, um wenigstens die anderen Leistungen für Arbeitslose und die Mindestlöhne für 1,2 Millionen Arbeitnehmer möglich zu machen. Oder wir lehnen ab, entziehen uns dem Verdikt aus Karlsruhe, und riskieren aber, dass die Arbeitslosen noch weniger bekommen und die Mindestlöhne ausfallen. Ich hoffe, dass wenn das Urteil kommt, es uns immer noch gelingt darzustellen, dass wir auch für höhere Regelsätze gekämpft haben.



Anette Kramme
(43) ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. Der Wahlkreis der gebürtigen Essenerin ist in Bayreuth. Seit 1996 arbeitet sie als Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeitsrecht, ihre Kanzlei vertritt ausschließlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Betriebsräte

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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