Es braucht niemand einen Taschenrechner um nachzuvollziehen, dass sich die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt ändert, wenn die Baby-Boomer, die geburtenstärksten Jahrgänge aller Zeiten, demnächst in Rente gehen und gleichzeitig nur halb so starke Jahrgänge nachrücken. Die Kurzfassung des Phänomens heißt Fachkräftemangel und beschäftigt aktuell auch die Bundesregierung: So hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein Konzept in Umlauf gebracht, das vor allem darauf setzt, die Mütter in den Arbeitsmarkt zu holen, die bislang mangels Kinderbetreuung mindestens teilzeit zu Hause bleiben.
Doch auch wenn noch ein Betreuungswunder passieren sollte – das heißt die Kinderbetreuung nicht nur rasant ausgebaut, sondern auch so g
das heißt die Kinderbetreuung nicht nur rasant ausgebaut, sondern auch so günstig angeboten wird, dass die Frauen erkennbare wirtschaftliche Vorteile vom Vollzeit-Lohnarbeiten haben –, werden die menschlichen Ressourcen, die von der Leyen für den Arbeitsmarkt mobilisieren möchte, den unterstellten Arbeitskräftebedarf ab 2025 kaum mehr als zur Hälfte decken.Zuwanderung? Kennen wir nichtWas in von der Leyens Papier gar nicht auftauchte: Zuwanderung. Das könnte der Einschätzung geschuldet sein, dass einfach niemand mehr in Deutschland arbeiten möchte, oder dass es mit einer Unions-geführten Regierung keine Erleichterung der Zuwanderung geben wird. Möglicherweise aber führte diese schwer erläuterbare Leerstelle dazu, dass kaum nach Bekanntwerden des Papiers es regierungsseits hieß, das Konzept werde noch einmal überarbeitet, bevor es dem Kabinett zur Abstimmung vorgelegt werde.Eine weitere Inspirationsquelle für die Arbeitsministerin hat nun heute das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vorgelegt. Das Institut empfiehlt dringend den Ausbau von Schüler-Stipendien, um dem kommenden Fachkräftebedarf in der Wissensgesellschaft zu begegnen.Die Studie „Mehr Chancen für Schüler“ hat den Charme, dass sie einen kühlen Blick auf die krasse Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems wirft und logische Konsequenzen daraus zieht, dass die Bildungspolitik einen Großteil der so dringend benötigten Talente verschüttet. „In jedem Schülerjahrgang geht ein großes Potenzial an hoch Qualifizierten verloren, weil der Erfolg im deutschen Bildungssystem nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängt“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Es brauche daher die individuelle Förderung „begabter, aber benachteiligter Schüler durch Stipendienprogramme“.Studienstipendien für AkademikerkinderDas Berlin-Institut folgt einer im Vergleich zur Arbeitsministerin relativ optimistischen Einschätzung davon, wie stark sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren noch „von selbst“, also ohne politische Zusatzmaßnahmen steigern wird. Es vermutet, dass der Mangel an Fachkräften erst 2025 – dann aber massiv – einsetzt, erklärt aber auch, der Akademikerbedarf werde bis 2030 „je nach Tätigkeitsbereich um zehn bis über 50 Prozent zunehmen.“Die bestehenden Förderungen für Begabte, erklärt das Institut, nutze gegenwärtig vor allem Studierenden. Doch erstens erreichen die begabten Kinder aus Arbeiter- und Migrantenhaushalten eben die Unis nicht, weil sie am Ende der Grundschule aussortiert werden. Zweitens wird selbst das Studienstiftungssystem zum Großteil von den Akademikerhaushalten abgeschöpft. Die Förderung müsse wesentlich früher, am besten eben bei Grundschülern ansetzen.Das Institut berechnet, dass mindestens 40.000 Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Haushalten es eigentlich zusätzlich zum Abi schaffen müssten, wenn ihnen die gleichen Chancen gegeben würden wie den Akademikerkindern. Das aktuelle Schülerförderungssystem sei jedoch – weil Schulen Ländersache sind – weder flächendeckend noch finanzkräftig genug, um hiervon auch nur einen Bruchteil zu erreichen. Rund 1.000 Schülerinnen und Schüler werden pro Jahr gefördert. „Für einen sozial benachteiligten Schüler ohne Migrationshintergrund aus dem Saarland oder Schleswig-Holstein ist die Chance gleich null.“Lehrer – das NadelöhrEin Schülerstipendiensystem müsse also bundesweit ansetzen, es dürfe nicht nur über die Lehrer – ein „Nadelöhr“, schreiben die Autoren – vermittelt werden, und es müsse die Kinder unter Einbezug der Eltern möglichst lange fördern.Und – genau. Es sei schade, dass „überhaupt Schülerstipendien nötig sind, um Begabungsreserven zu heben.“ Eigentlich müsse das Schulsystem dazu imstande sein. Davon aber „ist Deutschland noch weit entfernt.“Zu ergänzen wäre der Vorschlag, dass Ursula von der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) ja einen Wettbewerb unter den Kultusministerinnen und -ministern ausschreiben könnten: Alle Bundesländer zahlen laufend in einen Stipendienfonds für sozial benachteiligte Schüler ein. Wer als erstes nachweist, dass bei ihm ein Arbeiter- und Migrantenkind die gleichen Chancen aufs Abitur hat wie ein Beamtenkind, muss erstens nichts mehr einzahlen, und bekommt zweitens den Löwenanteil aus dem Fonds. Wär doch mal was.