Nutri-Score: nicht die grüne Lösung

Ernährungswende Die Grünen setzen sich für den Nutri-Score ein, doch das Verpackungslabel ist für gesunde und nachhaltige Ernährung kaum zu empfehlen.

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Der Wahlkampf ist die heiße Phase eingetreten, auch wenn die TV-Trielle zwischen den Kanzlerkandidaten Baerbock, Scholz und Laschet wenig an Spannung und Interesse bieten. Sollte dies etwa an der Themenauswahl liegen? Die Oppositionspartien denken so, denn es hagelte Kritik von allen Seiten, untern anderem von FDP-Chef Lindner und dem Fraktionschef der Linken Bartsch, die sich mehr Diskussionen über Wirtschaft beziehungsweise soziale Themen wie Kinderarmut gewünscht hätten.

In der Tat ist etwas dran an der Kritik, denn ein Thema ist im Wahlkampf bisher tatsächlich zu kurz gekommen: Nachhaltigkeit in der Ernährung. Dabei wäre dieses Thema durchaus einen Blick wert, vor allem, weil die Grünen nebst der weltbekannten Energiewende – inzwischen im vollen Gange, wie 35 Prozent Kohlestromanteil im ersten Halbjahr 2020 zeigen – schon seit längerem eine „Ernährungswende“ fordern.

Mens sana in corpore sano

Den Grünen zufolge soll die Ernährungswende das Essen der Deutschen nicht nur CO2-ärmer und dadurch nachhaltiger, sondern auch gesünder machen. Demnach stehen vor allem Fertigprodukte nebst Fast Food in sehr berechtigter Kritik und so ist die Reduktion von verarbeiteten und ultra-verarbeiteten Lebensmitteln eines der Kernanliegen des grünen Ernährungswende-Programms.

Prinzipiell ist an diesen Zielen nicht auszusetzen, sie sind durchaus löblich und im globalen Kontext pertinent. Aber wie bei so vielen von den Grünen angesprochenen Themen – von Energiewende bis Mobilität – ist die Art und Weise der Umsetzung solcher Ideen wenig zielführend, und oft sogar kontraproduktiv. In diesem Falle ist der Stein des Anstoßes der sogenannte Nutri-Score, eine in Frankreich entwickelte Lebensmittelkennzeichnung, die Konsumenten zur einer gesünderen Lebensmittelwahl verhelfen soll.

Mogelpackung Nutri-Score

Die Grünen sehen das Lebensmittelkennzeichen als eine wichtige Stütze für gesunde, nachhaltige Ernährung hierzulande und setzen sich, seitdem der Nutri-Score letztes Jahr auf freiwilliger Basis in Deutschland eingeführt wurde, für eine europaweite Verankerung des Kennzeichen-Systems ein. Allerdings hat der Nutri-Score einen Haken: basierend auf einer 5-stufigen Farbskala nach dem Ampel-Prinzip – bei der eine grüne Bewertung gesunde Lebensmittel relativ zu einer ungesunden roten kennzeichnen soll – macht Nutri-Score keinen Unterschied zwischen (hoch-)verarbeiteten oder natürlich belassenen Lebensmitteln.

Das Resultat ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, für was sich die Grünen einsetzen: verarbeitete Lebensmittel erhalten zu häufig eine gute Beurteilung, was den Konsum dieser Produkte eher ankurbelt, statt ihn zu reduzieren. Im Hinblick auf diese Faktenlage erscheint die Befürwortung des Nutri-Score durch Foodwatch geradezu realitätsfremd und auf das peinlichste apologetisch. Wie die Organisation schreibt, würde die Tatsache, dass auch verarbeitete Lebensmittel, wie Tiefkühlpizza, gut abschneiden nicht gegen, sondern für den Nutri-Score sprechen.

Der Grund: es gebe ja auch Pizzen mit „vergleichsweise wenig Fett, wenig Salz, wenig Kalorien und einem hohen Gemüse-Anteil“, die sich deshalb durch ein ausgewogenes Nährwertprofil auszeichnen würden. Foodwatch mag bei der Beurteilung die vielen Tricks der Nahrungsmittelindustrie übersehen haben, durch die sich das Nutri-Score-Label nach Belieben schönrechnen und der Score manipulieren lässt.

Der Umwelt wird keinen Gefallen getan

Erschwerend kommt noch die Kleinigkeit hinzu, dass hochverarbeitete Produkte eine generell stärkere Umweltbelastung aufweisen als naturbelassene. Dies wird im Vergleich mit dem NOVA-Label (von 1-4), welches den Grad der Verarbeitung eines Produkts misst, sowie des Eco-Score (von A bis E), der Auskunft über Umweltbelastung gibt, besonders deutlich.

Ein kurzer Blick auf ein paar typische Produkte in deutschen Supermärkten macht dies deutlich: so erhält das Nesquik Kakaopulver durch einen grünen B-Nutri-Score faktisch eine Verzehrsempfehlung. Gleichzeitig bescheinigt NOVA dem Produkt als hochverarbeitetes Lebensmittel eine 4 und der Eco-Score eine hohe Umweltbelastung (D). Actimel wird sogar mit einem Nutri-Score A ausgezeichnet, während NOVA eine 4 und Eco-Score mit einem E die schlechtestmögliche Bewertung erteilt.

Falls diese positiven Bewertungen für Produkte, bei denen der Mangel an Bestandteilen „natürlicher“ Lebensmittel durch hohen Zucker-und Stabilisatorengehalt ersetzt wird, überraschend wirken, dann möge der Hinweis genügen, dass sie Produkte von Danone und Nestlé sind. Beide Konzerne sind zufälligerweise die wichtigsten Unterstützer des Nutri-Score-Lebensmittelkennzeichens auf EU-Ebene.

Schilda ist überall

All dies verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Nun, da immer mehr Firmen auf Nutri-Score setzen, wird es immer schwieriger werden, eine gesündere und nachhaltigere Ernährungsweise in die Tat umzusetzen. Statt Gesundheit und Nachhaltigkeit werden Monokulturen und Gewinnmargen der Lebensmittelkonzerne gefördert.

Und je mehr die Fehler und Gegensätze des Nutri-Score bekannt werden, desto mehr entpuppt sich die politische Rückendeckung der Grünen für das Label, genau wie bei vielen anderen ihrer politischen Projekte als wahrer Schildbürgerstreich.

Grüne Politik eben.

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