#weilwirdichsatthaben

Berlin BVG-Angestellte streiken für kürzere Arbeitszeiten und gerechtere Löhne. Währenddessen wirft die Geschäftsführung des ÖPNV-Unternehmens Nebelkerzen
Und daran änderte auch die Empörung der Chefetage nichts
Und daran änderte auch die Empörung der Chefetage nichts

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Am Ende blieb das befürchtete Chaos aus. Und das, obwohl bis in die Mittagsstunden große Teile des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin lahm lagen. Dem Aufruf der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi folgend streikten Mitarbeiter und Angestellte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) unter anderem für eine Verkürzung der Arbeitszeiten, einen Wegfall der niedrigen Lohngruppen, Weihnachtsgeld auch für Neulinge und einen Bonus für Mitglieder der Gewerkschaft. Und so blieben – mit Ausnahme einiger weniger Busse – Trambahnen, Busse und U-Bahnen stehen. Die Berliner nahmen es gelassen und fuhren Fahrrad – oder gingen zu Fuß.

Den Gegensatz zu dieser Gelassenheit konnte man bei Geschäftsführung und Sprechern der BVG beobachten, die im Vorfeld des Streiks mit Empörung reagiert hatten. Laut eines Bericht des Tagesspiegels wurde die Abschlusskundgebung schon am 5. Februar angemeldet, und somit noch vor der zweiten Runde der laufenden Tarifverhandlungen zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft am 11. Februar. Ebenfalls schon vor der zweiten Verhandlungsrunde hatte Verdi laut Tagesspiegel zur Streik-Kundgebung am heutigen Freitag mobilisiert. Und so schimpfte denn auch BVG-Geschäftsführerin Sigrid Nikutta: „Ein Streik ist sicher nicht das richtige Mittel am Anfang von Tarifverhandlungen.“ Unterstützt wurde sie von BVG-Sprecherin Petra Nelken, die den Streik im Vorfeld als „völlig unangemessen“ bezeichnete.

Keine Frage, die frühzeitige Streikplanung kann leicht als Unwillen aufgefasst werden, sich konstruktiv am Dialog in der zweiten Verhandlungsrunde zu beteiligen. Andererseits zeigt sich hier aber auch schlicht die Skepsis der Gewerkschaft bezüglich der laufenden Verhandlungen. In diesem Licht erscheint die von der BVG lautstark vorgetragene Empörung vielmehr als Versuch, von den eigentlichen Problemen abzulenken: den ernstzunehmenden Forderungen der Gewerkschaft und deren berechtigtem Zweifel an einem Entgegenkommen der BVG in der zweiten Verhandlungsrunde.

Das hier ist keine #Weilwirdichlieben-Kampagne

Der Vorschlag, den die BVG in der zweiten Verhandlungsrunde am Montag präsentierte und selbst als „Entgegenkommen“ qualifiziert hatte, wurde diesem Titel nämlich kaum gerecht: Eine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeiten ab 2021 und die Ausarbeitung von 26 Einzelmaßnahmen durch Arbeitsgruppen geht kaum auf die Forderungen Arbeitnehmer ein. Da verwunderte es nicht, dass die BVG erklärte, Verdi habe beide Angebote abgelehnt.

Vor diesem Hintergrund hilft es natürlich, sich laut über die Gewerkschaft zu empören. Das taktische Manöver, den Diskurs bei fehlenden Argumenten so zu steuern, dass der eigentliche Konflikt umgangen und die Legitimität der Interessen des Gegners in Frage gestellt wird, ist eine bewährte politische Strategie. Auch die BVG scheint sich eines „Whataboutism“ im Streit mit der Gewerkschaft zu bedienen: Statt sich in einer öffentliche Stellungnahme zu den Forderungen der Streikenden zu äußern, wird die Vorgehensweise der Gewerkschaft angeprangert.

Während sich die BVG also windet und den Diskurs auf andere Wege zu leiten sucht, wäre eine angemessene Äußerung zum Konflikt nicht nur angebracht, sondern könnte auch effektiv zur Förderung einer konstruktiven Debatte zwischen den beiden Parteien beitragen. Denn ob es der BVG gelingen wird, die momentanen Arbeitsbedingungen schönzureden, darf durchaus angezweifelt werden. Hier geht es letztendlich um mehr, als man mit einer hippen #weilwirdichlieben-Kampagne überspielen kann.

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