Wenn Schönheit im Auge des Gesetzes liegt

Italien 2017 sprach ein Gericht zwei Männer der Vergewaltigung frei, weil das Opfer dafür laut Justiz nicht weiblich genug aussah. Nun wird der Fall wieder aufgerollt
Ausgabe 12/2019
Das italienische Kassationsgericht in Rom
Das italienische Kassationsgericht in Rom

Foto: Andreas Solaro/AFP/Getty Images

Eigentlich, so könnte man zynisch meinen, hat sich die 22-Jährige, die 2015 im italienischen Ancona Anzeige wegen einer Vergewaltigung erstattet hatte, vorbildlich verhalten. Nicht nur habe sie es unterlassen, die mutmaßlichen Vergewaltiger durch hübsches Aussehen und kurze Röcke zu provozieren. Sie habe sie sogar durch ihr eher maskulines Aussehen aktiv abgestoßen. Das geht laut der Justiz aus dem der Akte beigelegten Foto hervor. Und einem Spitznamen, den die mutmaßlichen Vergewaltiger der Klägerin gaben. In deren Handy war sie als „Nina Wikinger“ eingespeichert. Fazit: Wer einen solchen Spitznamen verdiene, könne gar nicht vergewaltigt worden sein. Obwohl die Verletzungen der jungen Frau eine Vergewaltigung nicht ausschlossen und die erste Gerichtsinstanz zwischen drei und fünf Jahren Haft für die angeklagten Männer vorsah.

2017 wurden die Angeklagten daher am Appellationsgericht freigesprochen. Führt man den Gedankengang der drei Richterinnen zu Ende, scheint es, als hätten sie ein wirksames Mittel gegen Vergewaltigungen gefunden. Es genügt offenbar, unterhalb der gesetzlich relevanten Schönheitsideale zu rangieren.

Nun wurde das Urteil vom italienischen Kassationsgericht wieder aufgegriffen und für rechtswidrig erklärt. Es kriminalisiere das Opfer, hieß es. Der Fall gelangte so an die Öffentlichkeit. Neben Empörung rief die Veröffentlichung des ursprünglichen Urteils vor allem Unglaube und Zynismus hervor. Unglaube darüber, dass in einem Rechtsstaat Richter und Richterinnen auf die subjektive, fadenscheinige und vom Irrglauben getriebene Begründung zurückgreifen, nur schöne, weiblich anmutende Frauen könnten Vergewaltigern zum Opfer fallen. Zynismus darüber, dass es allen Ernstes als Indiz gelten konnte, wie die Angeklagten die Klägerin hinsichtlich ihrer sexuellen Attraktivität bewerteten.

Das Urteil ist nicht nur menschenverachtend, auch die Strahlkraft ist verheerend. Opfer sexueller Gewalt plagen häufig Gefühle von Angst, Schuld, Scham und tiefer Erniedrigung. Manche geben an, sich hässlich zu fühlen. An die Öffentlichkeit trauen sie sich selten. Aus einer 2014 EU-weit durchgeführten Studie ging hervor, dass nur in knapp 15 Prozent der Fälle sexueller Gewalt Anzeige erstattet wird. Auch nach #MeToo ist die Anzeigebereitschaft niedrig und die Dunkelziffer hoch. Die leiseste Idee, dass der eigene Körper vor Gericht auch noch verbal geschmäht und wie ein Beweismittel gewertet werden könnte, wird dafür sorgen, dass es so bleibt.

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