Ein Bundesamt für etwas, das es gar nicht gibt. Gibt es das?

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Das gibts und zwar schon ziemlich lange.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, gegründet im September 1950, das hauptsächlich die Tätigkeit der 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz koordiniert und auswertet schützt damit etwas, das wir gar nicht haben : Eine Verfassung.

Wir haben ein Grundgesetz, dessen Artikel 146* sämtliche Parteien gezielt ignorieren. Bedeutende Staats-und Verfassungsrechtler wie der Bundesverfassungsrichter a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Grimm, LL.M. (Harvard) vertreten durchaus die Meinung, dass der Artikel 146 GG als Auftrag in das Grundgesetz aufgenommen wurde, der dann von den politischen Parteien, hier insbesondere von der CDU/CSU gezielt ausser Acht gelassen wurde, ja, sogar ganz aus dem GG verschwinden sollte, was die SPD verdienstvollerweise verhinderte. In einem Gespräch mit dem Humboldt-Forum-Recht der Humboldt Universität, Berlin (HFR) vertritt Grimm klar und eindeutig die Auffassung, dass die Nichtbeachtung des Artikel 146 GG im Rahmen der Wiedervereinigung ein höchst fragwürdiges Vorgehen war.

www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/20-2007/beitrag.html


Ein Auszug:


HFR: Herr Professor Grimm, Ihre Abschiedsvorlesung an der Humboldt-Universität stand unter dem Titel "Ist das Verfahren der Verfassungsänderung selbst änderungsbedürftig?". In welchem Zusammenhang sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Professor Grimm: Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Damals hatte sich ja die Auffassung durchgesetzt, das Grundgesetz dürfe nicht zur Disposition gestellt werden, es müsse auch im geeinten Deutschland gelten. Gleichwohl löste die Wiedervereinigung eine stattliche Zahl von Verfassungsänderungen aus. Die Art und Weise, wie diese ausgehandelt wurden, weckten bei mir zum ersten Mal Zweifel an der Güte des Verfahrens. "Verfassungsreform in falscher Hand" lautete damals meine Schlussfolgerung im "Merkur". Die Zweifel erhielten weitere Nahrung durch die Änderungen im Grundrechtsteil der Verfassung: Art. 16 GG im Jahr 1993 und Art. 13 GG im Jahr 1998 - in meinen Augen ein Musterbeispiel dafür, "Wie man eine Verfassung verderben kann", so der Titel eines Beitrags für die FAZ. Auch dabei ging es mir nicht um den Inhalt, sondern um die Machart. Zuletzt fand ich mich durch die Föderalismusreform bestätigt, die ich ja aus der Nähe beobachten konnte, weil ich Mitglied der Föderalismuskommission war.

Auch im weiteren Verlauf des Interviews weist Grimm mit Recht auf die politischen Winkelzüge hin, die veranstaltet wurden, um seinerzeit am Artikel 146 GG vorbei die Wiedervereinigung zu organisieren.

...Die Erinnerung daran, dass es nur als Provisorium gedacht war, musste danach freilich getilgt werden. Zwar blieb es bei dem Namen "Grundgesetz", mit dem sich der westdeutsche Verfassungspatriotismus verband. Die Präambel bringt aber zum Ausdruck, dass "Einheit und Freiheit Deutschlands" nun vollendet sind. Art. 23 a.F. wurde gestrichen, damit niemand Verdacht schöpfen konnte, Deutschland hätte noch unerfüllte Gebietsansprüche. Und auch Art. 146 erfuhr eine Veränderung, wenn auch eine, die das alte Versprechen noch nachklingen lässt. Einerseits wird bekräftigt, dass das Grundgesetz nun für das gesamte deutsche Volk gilt. Andererseits wird bestätigt, dass das deutsche Volk sich auch eine neue Verfassung geben kann. Dass es dazu noch kommt, halte ich freilich für sehr unwahrscheinlich, solange Deutschland von einem erneuten tiefen Bruch in seiner Entwicklung verschont bleibt...

*Art 146 GG
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

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Geschrieben von

Vaustein

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