Sie ist die Neue

SPD Manuela Schwesig ist eine der vier stellverteretenden Vorsitzenden der SPD. Sie soll mithelfen, eine schwer angeschlagene Partei zu retten. Aber warum eigentlich?

Am Dienstag war die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern in Stralsund. Eine Grundsteinlegung, für 46 Millionen Euro wird das Klinikum erweitert. Routine – doch Manuela Schwesig wird gepunktet haben. Wenn die jüngste Ministerin Deutschlands eine Stärke hat, dann sind es solche Termine in der Halb- und Nahdistanz. Sie kann dann sehr zugänglich wirken, auch wenn es keine Millionen zu verteilen gibt, sondern Sorgen aufzunehmen – so wie bei ihrer „Kita-Tour“ im Sommer. Die oberste Sozial-, Gesundheits-, Familien- und Jugendpolitikerin des Landes kommt dann eher unpolitisch daher. Wie eine Nachbarin, die sich eines Problems annimmt. Die Leute haben das Gefühl, man kümmere sich um sie.

In Mecklenburg-Vorpommern, wo Politik schlecht angesehen ist, kommt dieser unpolitische Charme an. Am vergangenen Wochenende aber musste sich beim SPD-Parteitag erweisen, ob er auch auf der ganz großen Bühne funktioniert. Schwesig trat also in Dresden ans Pult, schüttelte sich und sagte: „Genossinnen und Genossen, mein Name ist Manuela Schwesig, ich bin die Neue.“ Schnell sprang sie zum „Herz der Sozialdemokratie“: Die Basis, die „weiß, wo der Schuh drückt“ und die – so redet sie manchmal – „das Ohr an den Massen hat“. Dann schob sie nach, dass natürlich „auch die Grundwerte“ zum Herz der Sozialdemokratie gehörten. Die strittigen Themen Hartz IV oder Rente mit 67 handelte Schwesig mit einem Nebensatz ab. Dann griff sie ein paar schwarz-gelbe Bundesminister an. Es fiel auf, dass sie oft „ehmd“ sagt. Auf hochdeutsch: „Wie andere auch schon gesagt haben“.

Zum Schämen war das nicht direkt, doch einen zündenden Eindruck hat Schwesig auch nicht hinterlassen. Am Ende waren die Delegierten, die sie mit 87 Prozent zu einer der vier stellvertretenden SPD-Vorsitzenden wählten, auch nicht schlauer als zuvor. Sie ist die Neue, weil sie die Neue ist.

Eine Überraschung zu sein, das macht die politische Erscheinung von Manuela Schwesig bisher aus. Als Ministerpräsident Erwin Sellering sie im Herbst 2008 bei einer Kabinettsumbildung aus dem Hut zauberte, fielen selbst die Herren von der Landespresse aus allen Wolken: Sie hatten auf einen anderen Jungstar gewettet, Matthias Brodkorb aus Rostock. Der Philosoph, als Jugendlicher von der PDS gekommen, hatte immerhin Profil. Aber Schwesig? Als man sich in Schwerin gerade mit ihr vertraut gemacht hatte, folgte schon der nächste Schlag: Frank-Walter Steinmeier rief Schwesig in sein Schattenkabinett. Und obwohl sie da schon ein Dreivierteljahr auf der Bühne stand, wusste die überregionale Presse kaum etwas über sie zu berichten. Im Hamburger Abendblatt stand fälschlicherweise, dass Schwesig alleinerziehend sei, wo sie doch glücklich mit ihrem Mann lebt. Die Frankfurter Rundschau stellte sie als „Mutter einer zweijährigen Tochter“ vor, obwohl sie einen Sohn hat. Auch nach dem Parteitag hat sich der Medientenor nicht wesentlich geändert: ,„Jung, hübsch, ostdeutsch“.

Schwesigs politische Biografie gibt aber auch nicht viel her. Die 1974 geborene Brandenburgerin war nie bei den Jusos. Sie hat keine Gewerkschaftsarbeit gemacht und erst recht keine WG-Diskussionen geführt. Sie studierte Finanzwesen an einer Fachhochschule in Königs-Wusterhausen und schlug eine Beamtenlaufbahn ein. Sie heiratete, zog nach Schwerin, arbeitete im Finanzamt, später im Finanzministerium. Der SPD gehört sie seit gerade sechs Jahren an. Zum Amtsantritt als Ministerin konnte die Schwesig lediglich auf wenige Jahre als Fraktionschefin im Rat von Schwerin zurückblicken – wo zu jener Zeit nicht viel zu machen war für eine Sozialdemokratin, weil die Stadtvertretung geprägt war von einer informellen Kooperation aus CDU und Linkspartei. Politik kennt sie eigentlich nur von oben, die Ministerialbürokratie dafür von der Pike auf.

Bundesweit aufgefallen ist Schwesig erstmals 2007 als „Aufklärerin“ des Hungertodes der kleinen Lea-Sophie in Schwerin. Sie war eine der treibenden Kräfte eines Untersuchungsausschusses, der feststellte, das Kind könnte noch leben, wenn das Jugendamt nicht geschlampt hätte. Das machte sich gut in den Nachrichten, auch wenn sich hinterher herausstellte, dass der Fall bei näherem Hinsehen doch nicht so eindeutig war – und die ganze Aktion für die SPD überdies in die Hose ging. Denn am Ende ersetzte Angelika Gramkow von der Linkspartei den über den Fall gestolperten Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) und nicht der Sozialdemokrat und Ex-Innenminister Gottfried Timm.

Journalisten bezeichnen Schwesig abwechselnd als Parteirechte und Parteilinke. Sie selbst sagt gern, Regine Hildebrandt sei ihr Vorbild, die streitbare frühere Sozialministerin in Potsdam. Gerade von deren Kampfgeist aber hat Schwesig bisher nur wenig gezeigt. Vor ein paar Tagen etwa hat sie das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ der Bundesregierung angegriffen, das den Nordosten in den nächsten beiden Jahren 70 Millionen Euro kosten wird. Kinderarmut werde gefördert! Die Kitas würden geschwächt!

Kurz zuvor hatte die Landesregierung in Schwerin ein neues „Finanzausgleichsgesetz“ beschlossen, das die Kommunen an der Küste in den nächsten beiden Jahren mehrere hundert Millionen kostet – was durchaus auch die Kitas trifft. Es hat bei der Abstimmung mehrere Abweichler in der SPD gegeben, Schwesig aber sagte nichts dazu.

Regine Hildebrandt hätte sich gewiss anders verhalten.

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