Was ist links? Peter Gauweiler über Sahra Wagenknecht und die Zukunft der Linkspartei
Interview Der Konservative mit dem Plan für die Linke: Peter Gauweiler über die kleinen Leute, Solidarität, den Krieg, die NATO – und Sahra Wagenknecht
„Bei mir würde sie Innen- oder Sozialministerin“, sagt Peter Gauweiler über Sahra Wagenknecht
Foto: picture alliance/dpa/Carsten Koall
Peter Gauweiler kannte, wer in den 1980ern links tickte, als CSU-Hardliner. Später fiel er dadurch auf, in seiner eigenen Partei aus der Reihe zu tanzen. Das unterstellt man Sahra Wagnknecht auch. Die lud Peter Gauweiler schon vor zehn Jahren ein, moderiert von Frank Schirrmacher ihr damals neues Buch Freiheit statt Kapitalismus vorzustellen.
der Freitag: Herr Gauweiler, in der Partei Die Linke kursiert gerade ein Aufruf, die „Koexistenz“ mit dem „Linkskonservatismus“ zu beenden. Gemeint sind Sahra Wagenkecht und ihre Anhänger. Also die Frage an Sie als Konservativen: Was ist „links“ – im positiven Sinn?
Peter Gauweiler Was ich für links – und rechts – halte, liegt auf der Hand. Genauer: auf den Händen. Der Mensch hat
11; und rechts – halte, liegt auf der Hand. Genauer: auf den Händen. Der Mensch hat zwei davon, um etwas zu hebeln, braucht er beide. Die Rechte als Macher-Hand, die praktische Hand, die Linke zum Gegensteuern. Was halte ich also für links im positiven Sinn? Erstens und als Ausgangspunkt: Wenn Politik Interessenvertretung ist und damit Richtungsbestimmung, Anwalt der kleinen Leute zu sein, national wie international.Wenn ich gleich hier einhaken darf: Zweiteres, die internationale Solidarität, das spricht die parteiinterne Kritik jenem „Linkskonservatismus“ ja ab. Der sei im Gegenteil ein nationalistischer Sozialpopulismus.Da widerspreche ich als erfahrener Populist. Anders herum ist es richtig. Warum sollte es links sein, die ganze Welt zu umarmen und die eigenen Leute zu vergessen? Sahra Wagenknecht steht in dieser Debatte dafür, erst einmal die Leute gut auszubilden und in anständige Arbeit zu bringen, die schon hier sind, bevor man fertige „Fachkräfte“ von sonstwo importiert. Das zu kritisieren ist doch kein Nationalismus, sondern die lapidare Feststellung, dass da etwas gewaltig schiefläuft.Nun geht es in der linken Debatte weniger um den Fachkräftemangel. Es geht viel allgemeiner um Grenzen und Grenzregimes. Das Kontra zu Sahra Wagenknecht ist der Horizont „offener Grenzen“.Das wäre ein weiterer Punkt in meinem Verständnis von „links“. Anzuerkennen, dass Grenzen eine Schutzfunktion haben, gerade für die kleinen Leute. Das müssen Linke doch begreifen!Sie haben schon mehrfach Klagen erhoben, um Übergriffe etwa der EU auf das nationale Recht anzuprangern. Auch Wagenknecht klingt oft „europaskeptisch“. Ist das nicht populistisch? Die böse Brüsseler Bürokratie?Dass bei den supranationalen Institutionen die Leute berechtigte Angst haben, von ihren Grundrechten abgeschnitten zu werden, die sie im Nationalstaat erworben haben – das stammt doch weder von Sahra Wagenknecht noch von mir. Sondern von Altmeister Jürgen Habermas.Kommen wir zurück zu Ihren Essentials für die Linke. Was steht noch auf der Liste?Ökonomisch muss die Linke – wie wir alle – ihren Horizont erweitern beziehungsweise an der Evolution teilnehmen: das hat uns die Politik der vier Modernisierungen von Deng Xiaoping gelehrt: „Bereichert euch.“ Teilen ist gut, wertschöpfen ist besser. Der Heilige St. Martin, der mit dem Bettler den Mantel geteilt hat, war großartig. Aber das Kleidungsproblem wird nur im Einzelfall durch Zerschneiden gelöst, ansonsten durch mehr Mäntel, also durch Wachstum ...Das klingt nun nicht links.Ich war auch noch nicht fertig. Auf der anderen Seite braucht es ein Gegengewicht gegen Entstaatlichung und Über-Privatisierung, was ja gerade der derzeitige EU-Trend ist. Die Liberalisierung des Strommarktes durch die Europäische Union war die erste Todsünde, die zu unseren heutigen Problemen führte.Gegen Über-Privatisierung – das dürfte in der Linken Konsens sein. Nicht so die Frage, was zur Energiemisere führte, also letztlich die Frage nach dem Ukrainekrieg. Dazu hat Wagenkecht jüngst im Bundestag gesprochen, seither gab es 800 Parteiaustritte. Herr Gauweiler, Sie gelten als unerschrockener Mann. Was ist Ihre Haltung dazu?Danke für das „unerschrocken“! Aber Angst ist nichts Schlechtes, denn Angst kann Leben retten. Wir brauchen Wege aus der Gefahr, nicht Wege aus der Angst. Wir geraten aktuell in eine immer gefährlichere Eskalationsspirale, an der auch wir im Westen nicht ganz unschuldig sind.Die Linke sollte sich demnach viel mehr für Deeskalation ins Zeug legen, wie auch immer die aussehen könnte?Selbstverständlich. Wobei das – Achtung Ironie – nicht links sei kann, weil es von Franz-Josef Strauß ist: Er hat uns immer eingebläut, die Bundeswehr könne nur als Kriegsverhinderungsschule Wirkung entfalten. Wenn der erste Schuss gefallen ist, wird ihr Konzept obsolet sein. Weil dann die Kriegsverhinderung durch Abschreckung ruiniert ist und der alte Kampf auf Leben und Tod wieder durchbricht: entweder unser Tod oder der ihre. Aber Kriege sind heutzutage nicht mehr gewinnbar, auch nicht im Sinne von Kriegen für unsere Werte – siehe Afghanistan, siehe Irak.Wo Sie Afghanistan sagen: Ein Merkmal der Linkspartei war das Nein zu Auslandseinsätzen. Das ist nicht mehr unumstritten. Sollte sie das beibehalten?Es ist der zentrale Fehler unserer Zeit, Kriege, egal wo, wieder zu legitimieren, wenn sie nur „für unsere Werte“ geführt werden. Das hat mit dem Jugoslawien-Einsatz der Bundeswehr angefangen. Dieses Out-of-Area ist wie die Propaganda der 68er vom „Sieg im Volkskrieg“ eine Kreuzzugsidee, die zu nichts Gutem führen kann.Die Rosa-Luxemburg-Stiftung lädt jetzt zu einer Veranstaltung ein: „Spaltet der Ukraine-Krieg die politische Linke dauerhaft?“ Was wäre Ihre Prognose?Voraussagen soll man ja vermeiden, vor allem über die Zukunft. Ich sehe aber, dass auch in linken, linksliberalen Kreisen der Krieg in der Ukraine zum „Krieg für die Demokratie“ geadelt wird, jüngst etwa in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Also: ein guter Krieg. Achtung: Damit ist für eine Eskalation die moralische Grenze aufgehoben.Placeholder infobox-1Aber da vollzieht sich doch eine Blockbildung. Peking und Moskau gegen den Westen.Nichts hat diese Allianz jetzt so zusammengeschweißt wie das militärfixierte Engagement des Westens in der Ukraine. Wir brauchen keine Churchill-Dramatisierung – kein „erstickt im eigenen Blut“ –, sondern einen Kissinger-Blick.Putin hat den Krieg begonnen. Muss nicht das der Ausgangspunkt sein?Natürlich hat Putin den Krieg begonnen, hat die Russische Föderation das Gewaltverbot der UN-Charta missachtet und natürlich war und ist das völkerrechtswidrig. Dazu stand jüngst ein guter Text in der Neuen Juristischen Wochenschrift, der diese völkerrechtlichen Verstöße Punkt für Punkt belegt. Doch am Ende weist der Autor resigniert darauf hin, dass und warum der Westen in seiner völkerrechtlichen Verurteilung kein glaubwürdiger Richter ist: Irak, Afghanistan, Libyen.Sie sagten, der Westen sei nicht unschuldig an der Genese des Krieges. Das wird auch in der Linkspartei – Pi mal Daumen im sogenannten Wagenknecht-Flügel – vertreten und von außen wie innen hart kritisiert: „Querfront“, linke Kumpanei mit einem faschistoiden Regime.Um hier etwas auszuholen: Mich hatte die Totalitarismustheorie immer überzeugt, die für die Linken ein rotes Tuch ist. Die Ähnlichkeit zwischen kommunistischen und faschistischen Systemen war größer als die Unterschiede. Aber diese Gleichheit im Unrecht hat am 9. November 1989 geendet: Es gab keinen Nero-Befehl, sondern den Beschluss, die Mauer zu öffnen. Die Rote Armee hat sich 1994 mit einer anrührenden Versöhnungsgeste singend zurückgezogen: „Deutschland, wir reichen dir die Hand“. Das wurde und wird zu wenig gewürdigt.Das ist vielleicht wahr, aber kein politisches Argument.Das kommt jetzt: Die Zeit danach war eine Kette vertaner Chancen. Ja, die Nato war unsere Lebensversicherung. Aber nach 1990 war ihr Zweck im Guten erfüllt. Es hätte etwas Neues, den Gegner von einst Einbeziehendes kommen müssen. Stattdessen hat man die Organisation ausgebaut, immer weiter Richtung Russland verschoben, zusätzlich einen Dauer-Krieg gegen Milliarden Muslime wegen terroristischer Untaten eskaliert, für deren Bekämpfung Polizeiaktionen à la Mogadischu besser geeignet gewesen wären als Feldzüge.Das ist momentan sehr unpopulär. Würden Sie der Linken raten, das unbeirrt zu vertreten?Ein „Rat“ von mir führt da wohl eher zum Gegenteil. Ich kann nur meine Meinung sagen: Natürlich würde ich das tun. Es ist eigentlich ganz einfach: Man muss nur einen wahren Satz sagen, und wenn es die Linke ist, die das tut, ist es mir auch recht. Ob die bestehende Partei das kann, ist eine andere Frage.In der Partei hört man oft, das Problem an Wagenknecht sei eine Egomanie, die eher ihre Partei zerstört, als eine Niederlage hinzunehmen. Sie verhalte sich wie einst Oskar Lafontaine gegenüber der SPD. Kann man mit so jemandem Politik machen?Oskar Lafontaine wurde von Gerhard Schröder – davon unabhängig: ich finde es unsäglich, wie Schröder jetzt niedergemacht wird – politisch vorgeführt und ausgebootet. Er hat sich gegen Ämter und Privilegien entschieden, um „links und frei“ zu bleiben, wie Willy Brandt das gepredigt hat. Dass Sahra Wagenknecht nach wie vor zu den beliebtesten Politikern des Landes gehört, ist kein Zufall. Sie hat im Sinne Max Webers den Beruf zur Politik. Bei mir würde sie Innen- oder Sozialministerin.Sie haben auch viele Kämpfe ausgetragen. Aber der Streit in dieser Partei scheint besonders giftig. Ist das in der DNA der Linken?Das menschlich Überharte ist ein Kreuz der Politik und Parteipolitik überhaupt. Dazu kommt, dass richtige Linke immer so etwas Hundertprozentiges an sich haben, was auch mir in meiner Lebensgeschichte nicht wirklich fremd ist. Heute reicht es mir zum Glück, nur zu 51 Prozent recht zu haben. Das kommt wohl mit dem Alter, und aus der Distanz wünsche ich der Linken, dass sie ein solches Alter auch erreichen kann, in dem das möglich wird. Die vorhin genannten Themen für eine Linke „im positiven Sinne“ sind ja da. Und es wäre gut für die Demokratie, wenn diese Themen auch jemand aufgriffe.
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