Martin Clausen und Kollegen: Come Together
Hebbel am Ufer, Februar 2016
Nicht eingeschlafen, nicht in Theorie erstickt und sogar Spaß gehabt
Was habe ich erwartet? Ich wollte, dass es Spaß macht. Ich wollte keine Belehrung. Ich war gerade in der Volksbühne, einen weiteren Ansturm genialer Theorie hätte mein Gehirn nicht verkraftet. Aber eigentlich war ich mir vorher schon sicher, dass es dazu nicht kommen würde. Und als ich das Gedränge im Vorraum und den Kampf um die letzten Karten bestanden hatte, wurde ich belohnt: keine Katie Mitchell Installation, keine kreisenden Kameras, keine echten oder ausgestopften Kamele, Pinguine, Antilopen oder Rieseninsekten in einem riesigen Reagenzglas.
Die einzigen Tiere waren die Menschen. In froschgrüne Pullover verpackt krabbelten sie durch das Terrarium ihrer schmucklosen und nach hinten zugenagelten Bühne. Verfügen Fische über eine bestimmte Ordnung, wenn sie im Meer umherschwimmen? Und wie ist es bei den Tauben? Spielt es eine Rolle, wer neben mir in der Sonne hockt und seine Milben mit meinen mischt und mit seinem Gegurre mein eigenes Gegurre überlagert und verfälscht? Wer darf meine Sätze wiederholen, wer darf lachen, wenn ich Unsinn rede oder Sprüche klopfe? Wie empfindlich bin ich, wenn ich einmal angefangen habe zu reden und es dann plötzlich aus mir herausläuft, als Rinnsal von Gelaber, aber immer noch aus der heiligen Quelle meiner ungeschützten, von Trivialität bedrohten Emotion?
Irgendetwas beginnt und etwas anderes endet. Anstoßen ja, aber jeder individuell mit seinem bevorzugten Getränk, trotz des Rituals, sich gegenseitig tief in die Augen zu glotzen. Spätere Spurensuche trifft späteres Spurenverwischen. Sich Zusammenfinden beim Gehen. Zu dritt eine Einheit finden, und sei es auch noch so flüchtig. Wieder und wieder den Körper umlagern, um zu vermeiden, dass man selbst das eine übrig gebliebene Lebewesen darstellt, das nirgendwo unterkommt. Immer wieder den Zustand des sich zu zweit Näherkommens stören, wie in der Chemie ist das instabile Teilchen kein sicherer, zufriedener Vagabund. Es verfolgt kein anderes Ziel als das einer möglichen Verschmelzung. Fremde Harmonie stört jedenfalls die eigene Harmonie aus Verzicht und Hoffnung.
Ich haben diesen froschgrünen Typen mit sehr viel Vergnügen zugeschaut. Es gibt Alltagskomik, man fragt sich, woher dieser Text stammt, mit wem da geredet wurde, um dieses Material zu kreieren. Es sind diejenigen, die uns täglich begegnen, aber nur in den Durchgangsräumen des Lebens. Nicht beim Zahnarzt, dort geht es ordentlich sortiert zu. Auf gar keinen Fall bei der Arbeit, es sei denn wir flörten mit den Leitungsrohren und sprechen aus Versehen auch mit dem Mann der sie gerade repariert oder mit der Frau, die sie heute Abend abwischt.
Wo treffen wir die Mitbewohner unseres Biotops, die sich Froschgrün oder Entengelb über ihre seltsam geformten Bäuche ziehen und schamlos an uns vorbeispazieren, als wäre das völlig in Ordnung? Ich weiß es nicht. Ich treffe sie bei Martin clausen und nicht zum ersten Mal. Sie werden von wirklich guten Darstellern verlörpert, allein das gibt ihnen große Würde. Man kann natürlich auch seine Zeit im Deutschen Theater verdämmern, und dort bei einem sogenannten Recherchestück durch die Bodendielen schielen und müde, arrogant und etwas verschämt über die dummen Ratten lachen, denen es dort im Keller einfach nicht gelingt, mit dem Leben klarzukommen. Danach fühlt man sich wie nach einer Nacht mit schlechtem Bier. Bei clausen und Kollegen geht es mir anders: Es war ein Spaziergang mit lustigen Begleitern, die mir ein wenig ähneln, was mich auf unerwartete Weise freut.
Performance: Martin Clausen, Rahel Savoldelli, Peter Trabner
Musik: Mario Schulte, Doc Schoko, Harald Wissler Raum: Ivan Bazak – Karpatentheater
Licht: Benjamin Schälike
Kostüme: Lisa Kentner & Malena Modéer
Konzept & Regie: Martin Clausen
Mitarbeit: Javier Aléman, Philip Ellermann, Werner Waas, Mirko Winkel, Tereza-Tetiana Yakovyna
Produktion & Presse: björn & björn
Premiere 26.2.2016
Pressetext:
"So, wie wir das Andere zur Abwechselung und das Gewohnte zum Wohlfühlen gern haben, begegnen wir auch Menschen mit ähnlichem oder unterschiedlichem Hintergrund. Was geschieht, wenn wir uns jenseits der Gewohnheiten begeben, die sich im Laufe unserer Sozialisation in uns gebildet haben? Lassen sich unsere Kontaktstellen auffrischen? Diesseits und jenseits eingefahrener Wege und selbstgewählter Wohlfühlzonen beschreiten Martin Clausen, Rahel Savoldelli und Peter Trabner gemeinsam mit den Musikern Mario Schulte, Doc Schoko und Harald Wissler unterschiedliche Lebenswelten."
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