Das Anschlagsopfer

Porträt Peter Pilz sieht sich als Österreichs Linkspopulist. Jetzt wird ihm die Belästigung von Frauen vorgeworfen
Ausgabe 45/2017

Seine Pressekonferenz am Samstag beendete er mit einem Appell: „Wir älteren und in meinem Fall noch – gerade noch – mächtigen Männer müssen bereit sein, auch etwas dazuzulernen“, sagte Peter Pilz, nachdem er den Verzicht auf sein Mandat im österreichischen Parlament verkündet hatte. Faktisch hat er kaum etwas gelernt. Sexuelle Belästigung in zwei Fällen wird ihm zur Last gelegt – gegenüber einer Europa-Parlamentarierin im Jahr 2013 und mehrmals gegenüber einer ehemaligen Mitarbeiterin, die bereits Ende 2015 die Vorfälle meldete, jedoch nicht an die Öffentlichkeit treten wollte. Für beide Übergriffe gibt es Zeugen, die sich öffentlich äußern. Aber anstatt sich in der Pressekonferenz bei den Betroffenen zu entschuldigen und sich in letzter Konsequenz aus der Politik zurückzuziehen, holte er zum Rundumschlag aus: gegen Frauen, gegen die Grünen, seine ehemalige Partei, und gegen „politische Korrektheit“.

Pilz hat, nach trotzkistischer Agitation als Student, die Grünen in den 1980ern mitgegründet. Seit 31 Jahren saß er im Nationalrat, unterbrochen nur von einem Ausflug in den Landtag Wiens. In der Regel sind Abgeordnete durch ihre Partei und weniger ihre Person bekannt. Nicht so Pilz. Er stach hervor, weil er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war. In oststeirischem Dialekt und mit wenig Feingefühl. Dies führte zu zahlreichen innerparteilichen Konflikten. Vor allem, wenn es um die politische Ausrichtung der Partei ging. Und, wie nun bekannt ist, auch darum, wo die Grenzen zur sexuellen Belästigung liegen.

Im Juni war der 63-Jährige dem damals jüngsten Abgeordneten im Nationalrat unterlegen, als es um die Besetzung der Listenplätze für die Nationalratswahl ging. Er verließ die Ökopartei und gründete die „Liste Peter Pilz“.

Aufgewachsen ist deren Anführer in einer Hochburg der Sozialdemokraten in der Oststeiermark. Die Mutter arbeitete bei der Post. Der Vater war Werkschullehrer und Betriebsratsobmann beim größten Arbeitgeber der Region, dem Werkzeughersteller Böhler. Auch Pilz schaufelte in den Sommerferien am Hochofen. Für sein Volkswirtschaftsstudium zog er nach Wien, in die Gemeindewohnung seiner Großmutter. Der Quadratmeterpreis für Gemeindewohnungen liegt weit unter dem Durchschnitt und ist für niedrige Einkommensklassen vorgesehen. Auf Pilz’ Konto landeten monatlich 8.755 Euro für die Arbeit als Abgeordneter. Als seine Großmutter starb, wurde ihm der Mietvertrag vererbt. Angeblich spendete er den Überschuss. Einen Beleg dafür gibt es nicht. Früher hatte Pilz viel Zuspruch innerhalb der Grünen erhalten, war in den 1990ern für zwei Jahre deren Bundessprecher, holte damals den Betreuer seiner Dissertation in die Partei: Österreichs heutigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Und Pilz profilierte sich als Korruptionsjäger, deckte mehrere Politskandale auf, widmete sich als Vorsitzender eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Eurofighter-Affäre, bei der es um mutmaßliche Schmiergeldzahlungen beim Kauf von Kampfflugzeugen zur Zeit der ersten Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ ging.

„Ich bin da radikaler als die Freiheitlichen“

Nun steht die zweite schwarz-blaue Regierung bevor, und schon früh hatte sich Pilz insbesondere gegenüber der FPÖ unter Heinz-Christian Strache in Position gebracht: „Ich bin da radikaler als die Freiheitlichen“, sagte er in einem Interview mit der Presse im November 2015. „Ich will so wenige Flüchtlinge wie möglich.“ Ein Spruch, wie ihn bei den Grünen keiner zu denken wagen würde.

Für Pilz läuft das unter dem Stichwort „Linkspopulismus“. Für die Erbschaftssteuer und für eine restriktivere Migrationspolitik. Das wollte er bei den Grünen durchsetzen. Seine Ideen hielt Pilz 2016 in einem Papier fest. Er schrieb: „Europa voll“, und titelte: „Österreich zuerst“. Jene Überschrift, unter der die FPÖ 1992 ihr Anti-Ausländer-Volksbegehren propagierte. Damals stellte sich Pilz gegen die FPÖ. Heute finden sich Überschneidungen. Während des Wahlkampfes hat er sein Buch Heimat Österreich. Ein Aufruf zur Selbstverteidigung präsentiert. Das Papier von 2016 hat er umbenannt in „Ja, es geht“, „Europa voll“ durch „Nicht alle“ ersetzt und das zum Arbeitsprogramm seiner Liste gemacht.

Während die Grünen an der Vier-Prozent-Hürde scheiterten, zog die Liste Pilz mit acht Mandaten in den Nationalrat ein. Sie ist die kleinste Fraktion, inszenierte sich aber als starke Opposition zu Schwarz-Blau, jenseits jedes Links-rechts-Schemas. In Schubladen hat Pilz tatsächlich noch nie gepasst. Seine Liste soll sich nicht in eine Partei transformieren, das könnte die Individualität der Mandatsträger untergraben. Etwa die der Start-up-Beraterin und Ausrichterin einer Jobmesse für Geflüchtete Stephanie Cox. Oder die des Pilz-Freundes, -Spenders und -Anwalts Alfred Noll. Der Chef selbst wird bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrats an diesem Donnerstag fehlen. Als zwei Redaktionen Pilz am vergangenen Wochenende mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontieren wollten, war er für sie zwei Tage lang nicht erreichbar. Nur für einen, für den Investigativjournalisten Florian Klenk (Freitag 13/2017). In der Nacht, als der erste Fall publik wurde, war Klenk auf einen zweiten aufmerksam geworden. Den ersten Fall wertet Pilz nun als „Arbeitskonflikt“, dem er selbst noch nachgehen werde. Nur der zweite sei Anlass für seinen Rückzug, weil Klenk ihm versichert habe, „dass er das penibel recherchiert hat“. Pilz ist allgemein wählerisch, was seine Gesprächspartner angeht. Den öffentlich-rechtlichen ORF lud er von der Siegesfeier am Wahlabend aus, weil er sich von ihm benachteiligt fühlt.

Auf seinen kleinen Bauernhof in der Steiermark wird sich Pilz nicht zurückziehen, um seinen Hobbys, Fliegenfischen und Pilzesammeln, zu frönen. Er werde der Politik erhalten bleiben, sagt er inzwischen. Die beiden Belästigungsvorwürfe gelten ihm nunmehr als ein „politisch motivierter Anschlag“.

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