Partei sein ist alles

Bewegung 2019 will DiEM25 bei der Europawahl dabei sein – transnational. Ob das wohl klappt? Ein Besuch an der Basis in Deutschland
Ausgabe 06/2018

Es begann an einem Abend im Februar 2016. Yanis Varoufakis, Ökonom und Ex-Finanzminister Griechenlands, lud in die Volksbühne in Berlin, um den roten Vorhang für eine neue Bewegung zu heben: das „Democracy in Europe Movement 2025“ – kurz DiEM25. „Die EU wird entweder demokratisiert – oder sie wird zerfallen“, lautete das Credo des Abends.

Zwei Jahre und unzählige Bühnenauftritte des Gründers später hat sich ein transnationales Netzwerk gebildet, dessen Mitglieder in kommunalen Gruppen am „demokratischen Erwachen“ Europas arbeiten. Wollte sich DiEM25 zu Beginn zunächst formieren und etablierte Parteien, welche die Visionen der Bewegung teilen, unterstützen, so hat sich seit November 2017 der Plan geändert. Bei einer internen Abstimmung, die von Varoufakis initiiert wurde, entschieden sich zwei Drittel der Stimmberechtigten für die Gründung eines Parteiflügels, der eigenständig bei der Europawahl 2019 kandidieren wird. Auf lokaler Ebene organisiert sich die Bewegung in sogenannten „Spontaneous Collectives“. Diese werden von Interessierten vor Ort ins Leben gerufen, die sich dann an DiEM25 wenden. Für Deutschland listet die Internetseite 21 solcher Gruppen, weitere befänden sich in Gründung.

Beim ersten Treffen, das das Spontaneous Collective Berlin nach der Abstimmung abhält, sind einige skeptisch. 20 Personen – ältere, neue und angehende Mitglieder von DiEM25 – sitzen im Stuhlkreis im alternativen Kulturzentrum Mehringhof und diskutieren über das Für und Wider dieser Entscheidung. Ein Mann, der mit übergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen an seinem Stuhl lehnt, sagt, dass seiner Meinung nach der Abstimmung die demokratische Legitimation fehle, da es letzten Endes wie eine Entscheidung für oder gegen eine Kandidatur erscheine. Das sei es seinem Verständnis nach jedoch nicht gewesen. Es habe sieben Abstimmungsmöglichkeiten gegeben, das solle man nicht vergessen. Ebenfalls bezweifelt er, dass DiEM25 schon bereit ist, da das Programm noch nicht ausreichend ausgearbeitet worden sei. Vor allem in Deutschland sei dies notwendig, um ausreichend Wählerstimmen zu gewinnen.

Begrenzte Ressourcen

Dieses Programm, die „Progressive Agenda für Europa“, besteht aus sieben Säulen. Doch einige davon wurden bis dato weder veröffentlicht noch vollständig verfasst. Jedes Positionspapier beginnt als „Green Paper“ – wobei „Green“ weniger über die Umweltfreundlichkeit und mehr über den Bearbeitungsstatus aussagt. Als Erstes werden Fragen der Mitglieder zu den Themen gesammelt. Diese werden von einem Team aus Experten beantwortet. Das Positionspapier wird anschließend erneut an die Mitglieder versandt, um Verbesserungsvorschläge einzuholen. Zuletzt werden die Vorschläge gesammelt und – vorausgesetzt, das Expertenkomitee erachtet sie als relevant – eingearbeitet. Dieser Vorgang wird wiederholt, bevor das Positionspapier dann als „White Paper“ veröffentlicht wird.

In Berlin hat sich für die Bearbeitung einer Säule, des „New Deal“, eine Lesegruppe gebildet. Alle zwei Wochen treffen sich einige Mitglieder, um gemeinsam Abschnitt für Abschnitt zu lesen und diese zu diskutieren. Das 100-seitige ökonomische Reformprogramm ist bisher jedoch nur in Englisch vollständig verfügbar und ohne umfangreiche Kenntnis des Fachvokabulars schwer zu verstehen. Es sind Begriffe wie naked capital flow an denen die Übersetzungssoftware und somit auch die Gruppe scheitert. Nach zwei Stunden und drei bearbeiteten Seiten wird die Einheit beendet. Eine Sprachbarriere also, die es nicht jedem Mitglied ermöglicht, sich bei der Bearbeitung einzubringen. Für professionelle Übersetzungen reicht das Geld noch nicht. „Es geht darum, ein Paper zu verfassen, mit dem alle Ökonomen in der Bewegung zufrieden sind“, sagt Judith Meyer, Freiwilligenkoordinatorin bei DiEM25. Eine professionelle Übersetzung sowie die Produktion von Erklärvideos werden erst nach der Vollendung der Papiere erfolgen. „Unsere Ressourcen sind begrenzt. Wir gehen davon aus, dass sich die Mitglieder innerhalb der Lokalgruppen das Konzept gegenseitig erklären.“

Meyer ist Mitglied der ersten Stunde. Im Juli 2015, als Alexis Tsipras die Bedingungen der Troika unterzeichnete, formulierte sie in einer E-Mail an Varoufakis – damals noch Finanzminister in Tsipras’ Kabinett – ihren Frust über die politische Entwicklung in Europa. Zu ihrer Überraschung antwortete Varoufakis und schrieb ihr, dass sie den Kopf nicht hängen lassen solle und sie sich Europa gemeinsam zurückholen müssten. Mittlerweile ist die 33-Jährige eine der drei fest angestellten Teilzeitbeschäftigten und ex officio Teil des „Coordinating Collective“ – einer Gruppe transnationaler Repräsentanten und Organisatoren, der die bekanntesten Köpfe angehören. So auch Yanis Varoufakis.

Nicht alle Mitglieder scheinen mit der Personifizierung der Bewegung durch ihn einverstanden zu sein. Im Spontaneous Collective Berlin gibt es zwei Reaktionen auf die Frage, wie sie zu dem Ökonomen stehen: zustimmendes Nicken und skeptische Blicke. Ein Mitglied bemängelt, dass es problematisch sei, wenn der Fokus einer Bewegung zu stark auf eine Person gerichtet werde, inner- wie außerhalb. Es schwäche die Bewegung. „Natürlich ist Yanis der, der am meisten Energie für DiEM25 aufwendet“, sagt Meyer. „Aber ich denke, es liegt ebenso an den Medien. Wir haben auch Noam Chomsky, der eigentlich berühmter ist – über den schreibt niemand.“

DiEM25 hat eigenen Angaben zufolge etwa 63.000 Mitglieder. Doch nicht jedes davon ist aktiv beziehungsweise stimmberechtigt. Bei der Abstimmung, ob DiEM25 einen Parteiflügel gründen soll, konnten etwa 8.000 abstimmen, denn es sind nur Mitglieder, die ihre Identität verifiziert haben, zugelassen. Das Gleiche gilt für eine Kandidatur bei der Europawahl.

Da sich die Bewegung als transnational versteht, wird es möglich sein, über nationalstaatliche Grenzen hinweg zu kandidieren: eine Griechin in Deutschland oder ein Deutscher in Spanien. Das ist auch jetzt schon möglich, vorausgesetzt, der Kandidat ist Mitglied einer nationalen Partei. Doch hätte sich ändern können – mittels der 72 Sitze, die nach dem Brexit frei werden.

Den Grundstein hatte ein Beschluss des Verfassungsausschusses des Europaparlaments gelegt. 27 der 72 Sitze hätten an Mitgliedstaaten verteilt werden sollen, die heute, gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, zu wenige Sitze haben. Frankreich und Spanien hätten fünf bekommen sollen. Österreich womöglich einen. Deutschland keinen. Die restlichen 46 hätten an länderübergreifende Listen – wie DiEM25 – vergeben, aber auch für künftige Beitrittsländer reserviert werden sollen. Demnach hätten die Wahlberechtigten zwei Stimmen, die sie vergeben können, gehabt. Eine, wie gewohnt, an eine nationale Partei und die zweite an eine transnationale Liste. Im Plenum des Europaparlaments aber wurde der Reformvorschlag abgelehnt. DiEM25 will daher den klassischen Weg einer Parteigründung gehen.

Der frühere Europaparlaments- und heutige Bundestagsabgeordnete der Linken Fabio De Masi hat keine Angst vor möglicher Konkurrenz für seine Partei: „Das Internet, Easyjet-Flüge und Europafähnchen schaffen noch keine europäische Öffentlichkeit. DiEM25 ist momentan eher virtuell. In der Politik wie im Leben gilt: Facebook-Freunde sind nicht immer wahre Freunde.“ De Masi und Varoufakis haben mehrfach zusammengearbeitet, etwa um die Europäische Zentralbank zu zwingen, bisher geheime Informationen über ihr Agieren gegenüber Griechenland im Sommer 2015 zu veröffentlichen – die EZB drehte dem Land den Geldhahn zu, um dessen Regierung zu zwingen, sich neuerlichen Sparauflagen zu beugen. Er wird auch weiter mit Varoufakis zusammenarbeiten, sagt De Masi. „Aber wenn DiEM der Linken mit ein bisschen Twitter, Uni-Seminar und viel Illusion über das Europa der Konzerne und der Rüstung Stimmen abfischen will, dann bitte. Sparringspartner fürchten wir nicht.“

Im Dezember hat DiEM25 das National Collective für Deutschland neu gewählt, und Anfang des Jahres begann die gesamte Bewegung mit den Vorbereitungen für die Kandidatur. Ende Februar soll ein europaweiter Aufruf starten, um im März bei einem Treffen in Neapel einen Rat zu formen, der die transnationale Partei anleitet. Das finale Programm wie die Kandidaten und Kandidatinnen sollen im Juli feststehen. Zwischen 9. und 11. Februar feierte DiEM25 seinen zweiten Geburtstag mit einer Party in Berlin-Kreuzberg und einem Kongress in Räumen der Technischen Universität Berlin. Zur Debatte stand etwa diese Frage: „Wie können die Wahlplattform und die Bewegung koexistieren und die Veränderungen in Gang bringen, die wir brauchen?“

Judith Meyer ist überzeugt, dass DiEM25 im Kern eine Bewegung bleiben wird. „Parteien entwickeln immer ein Eigenleben. Wir brauchen die Bewegung, damit wir ideologisch das machen, was wir uns vorgenommen haben, und uns auf keine faulen Kompromisse einlassen.“

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