Die grüne Angela

Neuanfang Katrin Göring-Eckardt ist zur neuen Fraktionsvositzenden der Grünen gewählt worden. Sie besinnt sich auf die alten Kernthemen der Partei - und gibt Rätsel auf
Ausgabe 40/2013
Wie Angela Merkel kann auch Katrin Göring-Eckardt abwarten, Rätsel aufgeben und ohne viel Aufhebens über politische Kurswechsel weghuschen
Wie Angela Merkel kann auch Katrin Göring-Eckardt abwarten, Rätsel aufgeben und ohne viel Aufhebens über politische Kurswechsel weghuschen

Foto: Adam Berry/ AFP/ Getty Images

Wie soll man das eigentlich nennen, was Katrin Göring-Eckardt da im Moment macht? Ein Wegducken vor ihrer Mitverantwortung für die Wahlniederlage? Nachdem Claudia Roth, Renate Künast und Jürgen Trittin die Konsequenz aus dem versemmelten Wahlkampf gezogen haben, wollte die Gerade-noch-Spitzenkandidatin der Grünen nun den Fraktionsvorsitz haben – und hat ihn bekommen. Dafür hat sie auch ein Amt niedergelegt, aber ein ganz anderes: als Spitzenfrau der Evangelischen Kirche.

Nach der Wahl möchte sie nun in ihrer Partei nicht weniger, sondern mehr als früher mitmischen. In jedem Fall gehört dazu zweierlei: Machtbewusstsein und ein Gespür für die Gunst der Stunde. Katrin Göring-Eckardt, die abwägende, manchmal sphinxtisch in sich ruhende Politikerin der leisen Töne, hat beides.

Die Grüne aus Thüringen verfügt nämlich über Merkel’sche Politiktechniken: Sie kann abwarten, wie sich politische Debatten entwickeln. Sie gibt Rätsel auf, man weiß nie so recht, ob man sie gerade über- oder unterschätzt. Sie huscht geräuscharm über politische Kurswechsel weg und kann aber im günstigen Moment zupacken. So wie einst Angela Merkel die Krise ihrer CDU nach der Spendenaffäre zum Aufstieg nutzte, hat Göring-Eckardt jetzt das Macht- und Konzeptvakuum ihrer Partei zum Weg nach vorne genutzt.

Zu schwach verankert

Dabei schien sie nach einem politischen Senkrechtstart längst wieder in die hinteren Reihen gerückt: 1998 war die studierte Theologin und DDR-Bürgerrechtlerin für die Bündnisgrünen in den Bundestag eingezogen. Schon vier Jahre später manövrierte sie ihre Partei als Fraktionschefin durch rot-grüne Koalitionsklippen. Doch mit dem Ende der Regierungsära verlor KGE, wie sie in der Partei genannt wird, an Einfluss. Die einstige Verfechterin der Schröder’schen Agenda-Politik agierte vielen zu realpolitisch, als Pastorenfrau und evangelische „Kirchentante“ dachte sie zu machtpolitisch, als Oppositionspolitikerin war sie zu pastoral und zu konturlos. Sie war in der westgeprägten Öko-Partei einfach zu schwach verankert.

Während die Grünen Göring-Eckardt aus allen Führungsgremien rauswählten, erntete sie als Bundestagsvizepräsidentin parteiübergreifend Respekt. Im Jahr 2009 dann die größte Anerkennung: Als erste Grüne wurde sie zur Vorsitzenden der Synode der Evangelischen Kirche gewählt. Dort schien sie ihre Rolle gefunden zu haben, und so war es eine Überraschung, als sie sich im vergangenen Jahr von einigen Realo-Freunden breitschlagen ließ, bei der Kür der grünen Spitzenkandidaten gegen die Urgesteine Claudia Roth und Renate Künast anzutreten. Und noch überraschender war, dass sie diese Wahl gewann. Ihr Sieg war ein echter Coup, aber auch ein sehr klares Signal: Die grüne Basis wollte, auch nach der Niederlage von Renate Künast in Berlin, endlich jüngere Gesichter.

Als ein wahres Dream-Team wurde das Spitzen-Duo vor dem Wahlkampf gefeiert: auf der einen Seite der scharfsinnig-polternde linke Stratege Jürgen Trittin, der die Stammwählerschaft mobilisert. Auf der anderen die wertkonservative Kirchenfrau, die bürgerliche Wählerschichten erschließen kann, als eine Art weiblicher Winfried Kretschmann.

Ein "Wir" ohne sie

Spätestens am Wahlsonntag ist diese Hoffnung knallend geplatzt. Sechs Tage später steht Katrin Göring-Eckardt auf der Bühne des kleinen Berliner Parteitags. Dort schreddern die Grünen mit irritierender Selbstzerstörungswut Kernpunkte ihres einst einhellig beschlossenen Wahlprogramms. Und der Spitzenkandidat Jürgen Trittin bekennt halbherzig persönliche Verantwortung für die Wahlschlappe, verteidigt aber die jetzt abgewatschten politischen Inhalte.

Seine Co-Kandidatin Göring-Eckardt räumt pflichtschuldig ein: „Ich selber habe Fehler gemacht.“ Welche aber sagt sie nicht. Und dann wechselt sie rasch vom Ich zum Wir: „Wir haben einen Wahlkampf geführt, in dem wir alles besser wussten. Die Leute haben sich von uns bedroht und belehrt gefühlt“. „Wir haben übersteuert“. „Wir“ haben mit „Klassenkampfrhetorik“ Wähler verprellt. Göring-Eckardts „Wir“ ist ein Wir ohne sie. Es sind vor allem die anderen, die die Wahl vergeigt haben, die Parteilinken nämlich.

Die 47-jährige Spitzenkandidatin a.D. fordert einen „Neuanfang“, eine Rückbesinnung auf „unser Kernthema Ökologie“, „mehr Brücken zur Wirtschaft“ und weniger „Angriff“. Will gar die FDP beerben. „Wir müssen aus der Konfrontationsrhetorik rauskommen.“ Warum hat sie das alles im Wahlkampf nicht thematisiert und praktiziert? Warum hat sie selbst die jetzt so viel beschworene bürgerliche Mitte nicht umworben, sondern war eher als Anwältin der Armen und Entrechteten unterwegs? Warum hat sie den grünen Fokus auf das Thema soziale Gerechtigkeit gelenkt?

Die Delegierten des kleinen Parteitags fragen nicht nach. Sie spenden ihrer Rede höflichen Beifall, die zugleich die Bewerbungsrede für den Posten als Fraktionschefin war. Am heutigen Dienstag hat sie diesen Job tatsächlich bekommen.

Anders als Angela Merkel damals hatte Göring-Eckardt auf ihrem Weg nach oben eine weibliche Konkurrentin: Kerstin Andreae, eine Reala aus Baden-Württemberg. Andreae ist jung, ehrgeizig, wirtschaftsaffin, so wie KGE, ohne das jetzt eingeforderte klare Öko-Profil, aber dafür ein wirklich neues Gesicht in der grünen Landschaft. Kerstin Andreae gilt einigen als Protagonistin einer „Kretschmannisierung“ der Grünen – von den einen erhofft, von anderen gefürchtet. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die grüne Fraktion in dieser Polarisierung lieber für die vermittelnde Göring-Eckardt entschieden hat.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Ausgabe 40/13 vom 02.10.2013. Nach der Wahl zur Fraktionsvorsitzenden wurde er entsprechend angepasst

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