Kommen Sie zu uns – profitieren Sie von sicheren Arbeitsbedingungen und schreiben Sie Ihre eigene Erfolgsgeschichte!“ Das Jobangebot liest sich zum Anbeißen. Unbefristeter Vertrag, vielfältige Perspektiven, Fortbildung, DB-Job-Ticket, Isar-Card, München-Zulage, Hilfe bei der Wohnungssuche. Keine Frage: Hier sucht ein Unternehmen so händeringend nach Personal, dass man schon die Headhunter loslaufen sieht.
Das Unternehmen ist die Landeshauptstadt München und die umworbenen Mitarbeiter sind keine IT-Spezialisten oder Herzchirurgen. Gesucht werden Arbeitskräfte, meist weiblich, mit hoher Stressbelastung, geringer gesellschaftlicher Anerkennung und ziemlich lausiger Bezahlung. Erzieherinnen galten vor einigen Jahren noch als „Überhang“, den es abzubauen galt. Jetzt sind sie Mangelware. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab eins haben die Gemeinden eine bis August 2013 kaum noch einlösbare Bringschuld. Schon jetzt geistert durch westdeutsche Rathäuser das Gespenst von der Klagewelle, die abgewiesene Eltern zu Recht lostreten werden, wenn das politische Versprechen scheitert. Es fehlen eben nicht nur geeignete Räume – die Hardware für neue Krippen und Tagespflegeeinrichtungen. Zum nachhaltigen Problem wird vor allem die humane Software – das Fehlen von qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern. Ohne sie werden viele neue Kitas und Kleinkindergruppen schlicht nicht eröffnet werden können.
Störende Realität
Rund 20.000 Erzieher-Fachkräfte mehr bräuchte man im Sommer 2013, haben Wissenschaftler des Deutschen Jugendinstituts in einer gerade aktualisierten Studie errechnet. Eine optimistische Prognose, unter kleingerechneten Bedarfsannahmen. Andere Experten wie der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell, der vor zwei Jahren den Erziehermangel in Rheinland-Pfalz detailliert untersucht hat, prognostizieren eine noch größere Personallücke. Vor allem bei den Tagesmüttern und -vätern, die 30 Prozent der Plätze anbieten sollen, klafft eine Riesendifferenz zwischen politischen Wunschvorgaben und der Realität. In der Praxis wird der Erziehermangel ohnehin größer sein als auf dem Papier. Denn die Personalanalysen basieren auf rechnerischen Idealkonstellationen, die weder Krankheitszeiten einkalkulieren noch regionale Unterschiede. Der Mutter in Prenzlauer Berg, die auf Platz 117 einer Krippenwarteliste steht, nützt es wenig, wenn in Wilhelmshaven eine Erzieherin frei ist.
Die Politik hat sich bisher nicht einmal die Mühe gemacht, den Personalnotstand detailliert zu ermitteln. Dabei war schon beim „Krippengipfel“ 2007, als Bund, Länder und Gemeinden 500.000 zusätzliche Betreuungsplätze für unter Dreijährige versprachen, klar, dass man dafür zusätzliche Fachkräfte braucht. Drei bis fünf Jahre dauert die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erziehungskraft. Damit war der Vorlauf für das Mammutprojekt Krippenausbau abgesteckt. Angesichts der begrenzten Kapazitäten an Erzieher-Fachschulen und eher mäßigem Interesse an dem Beruf, hätte man leicht ausrechnen können, wie viele Absolventen fehlen werden. Stattdessen zogen es Bund, Länder und Gemeinden lange vor, sich gegenseitig die Schuld für das nahende Desaster zuzuschieben.
Reißleine ziehen
Erst vor gut zwei Jahren sind einige der Beteiligten aufgewacht: Gewerkschaften, Berufsverbände und Familienministerien starteten Imagekampagnen für den Erzieherberuf, zusätzliche Ausbildungsstätten wurden gegründet. Auch die flaue tarifliche Entlohnung wurde etwas angehoben. Rund 2.200 Euro brutto verdient eine Erzieherin im ersten Berufsjahr. Verglichen mit anderen sozialen Berufen ist das nicht wenig, gemessen an der langen Ausbildung und den wachsenden Anforderungen aber doch eher mickrig.
Dass dies nicht reichen wird, dämmert der Politik erst jetzt – ebenso wie die Erkenntnis, dass eine nicht eingelöste Krippenplatzgarantie kurz vor der Bundestagswahl politisch katastrophal wäre. Hektisch versuchte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder vergangenen Mittwoch mit einem Zehn-Punkte-Plan den Versäumnissen hinterherzurennen. Nun heißt es: mehr Geld zur Rekrutierung und Bezahlung von Tagesmüttern, mehr Ausbildungsstätten, mehr Werbung und vielleicht auch mehr Lohn für den Erzieherberuf. Nur kommen die Vorschläge viel zu spät, um in vierzehn Monaten das aufzuholen, was die Politik fünf Jahre lang verschlurt hat.
Nun droht bei der Betreuung der Kleinsten, so prognostizieren Experten, vor allem ein qualitativer Absturz: ein Billig-Krippenausbauprogramm nach dem Motto „Masse statt Klasse“. Umzusetzen wäre der Rechtsanspruch bestenfalls noch mit größeren Kindergruppen, einem geringeren Erzieherschlüssel – und Hilfspersonal. „Wir werden mit unausgebildetem Personal arbeiten“, warnt Norbert Hocke, Sozialexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Wir steuern auf ein massives Qualitätsproblem bei der Kinderbetreuung zu.“ Einen Beleg für das drohende Qualitäts-Dumping sehen Fachleute im jüngsten Vorstoß der Kommunalen Spitzenverbände, mit 5.000 Kräften aus dem Bundesfreiwilligendienst die Erzieherlücke zu stopfen. „Absolut abenteuerlich“ nennt Matthias Ritter-Engel, Bildungsreferent der Arbeiterwohlfahrt, die Bufdi-Idee. „Damit vertreiben wir auch noch die erfahrenen Fachkräfte aus dem Beruf, denn auf die käme eine gehörige Mehrbelastung zu.“
"Damit versündigen wir uns"
Auch Sozialwissenschaftler Sell warnt düster: „Ein Billigausbauprogramm wäre das Schlimmste, was passieren kann. Damit versündigen wir uns an den Kleinsten.“ Wenn Krippen zu reinen Aufbewahranstalten würden, stünden bald die Eltern auf den Barrikaden. Die Debatte über den Pflegenotstand in Altenheimen wäre nichts dagegen.
Sell rät deshalb, die Reißleine zu ziehen: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 müsse zeitlich gestreckt werden, andernfalls fahre die Sache „an die Wand“. Besonders belastete Kommunen sollten unter klaren rechtlichen Auflagen mehr Zeit bekommen. Ein gewagter Vorschlag und ein unpopulärer dazu. Familienministerin Schröder hat ihn bereits strikt abgelehnt: „Am Rechtsanspruch wird nicht gerüttelt.“ Auch Sell weiß, dass sein Rat, die Krippenplatzgarantie zu lockern, um die Qualität zu sichern, eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“ ist. Egal für welches Übel man sich entscheidet – die Leidtragenden stehen fest: junge Eltern und ihre Kinder.
Vera Gaserow ist freie Journalistin in Berlin
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