Grüne in der Flaute

Wahlkampf Nie zuvor hat sich die Partei von anderen so wenig unterschieden. 2013 muss sie zeigen, wofür man sie eigentlich noch braucht

Es wird eine aufwändige Prozedur. Aber am Ende wird es noch ihre leichteste Übung sein: Die Grünen wollen ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 per Urwahl bestimmen. Wäre ihre Entscheidung nicht allein einem blamablen Personalgerangel geschuldet – man müsste die Grünen loben. Königskür per Basisdemokratie, das traut sich derzeit keine andere etablierte Partei hierzulande. Und die, die es tun wollen, die Piraten, kriegen es kaum auf die Reihe. Applaus also! Mit ihrer Urwahl sind die Grünen erstmals wieder das, als was sie einst gewählt wurden: Vorreiter und Motor.

Das war‘s aber auch schon. Denn die Zukunft der Öko-Partei entscheidet sich nicht beim Wer der Kandidaten. Die wahre K-Frage heißt: Wofür und mit wem? Auf beide Fragen haben die Grünen ein Jahr vor der Bundestagswahl keine überzeugende Antwort. Noch nie in ihrer Geschichte haben sie sich von anderen Parteien so wenig unterschieden. Sie selbst sind etablierter, realistischer und schlicht auch müder geworden. Die anderen geben sich grüner, weltoffener, moderner.

Dies ist Folge eines allseitigen politischen Abschleifprozesses, mit dem längst nicht nur die Grünen kämpfen. Die CDU hadert mit ihrer pragmatischen Chefin. Die CSU regrediert aus Furcht vor der eigenen Sozialdemokratisierung in Steinzeitkonservativismus. Die SPD flüchtet ins Reichenbashing. Und die FDP irrlichtert um den eigenen Bedeutungsverlust. Allenthalben gerät der Ausweg aus dem politischen Einerlei zum Krampf. Aber keiner Partei nimmt man den Mangel an Konturen so übel wie den Grünen.

Green New Deal

Denn die stehen nach wie vor für ihren Gründungsanspruch von einer besseren Welt und einem anderen Leben. Was das genau sein soll, wissen meist auch ihre Wähler nicht zu sagen. Trotzdem erwarten sie, bitteschön, dass die Grünen der Motor sind auf dem Weg dorthin. Bisher hat das auch leidlich geklappt. 2013 aber könnte es das erste Mal schiefgehen. Denn der Motor hat so viel Grünspan angesetzt, dass er inzwischen ziemlich kraftlos wirkt.

1998 und 2002 war es alles noch so schön bunt. Rot-grünes Projekt, Homo-Ehe, Staatsbürgerschaftsreform, Atomausstieg, Agrarwende – die Grünen konnten sich die gesellschaftliche und ökologische Modernsierung Deutschlands auf die Fahnen heften. 2005, unter der großen Koalition, übernahmen sie dann die Rolle des Lordsiegelbewahrers der eigenen Errungenschaften. Das funktionierte auch noch 2009, als mit Schwarz-Gelb das nukleare Rollback drohte. Mit ihrem „Green New Deal“ hatten die Grünen zudem dem Klimawandel ein Konzept einer ökologischen Wirtschaftsrevolution entgegenzusetzen.

Verblasstes Grün

Und 2013? Ein Jahr vor der Bundestagswahl herrscht grüne Ideenflaute: kein Großprojekt in Sicht, das nicht abgearbeitet oder von anderen Parteien adaptiert ist. Kein identitätsstiftender Kitt, der den Gründungsimpuls Atomausstieg ersetzen könnte. Keine zündende Vision, die zum Vordenken und Mitmachen einlädt. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften? Organisiert sogar die Union. Atomausstieg? Von einer CDU-Kanzlerin im Handstreich erledigt. Soziale Gerechtigkeit? Hat ein schwergewichtiger Robin Gabriel Hood geraubt. Digitale Jugendwelt? Von schiffbrüchigen Piraten gekapert. Euro-Krise? Merkel wird‘s schon richten. Energiewende? Von einem Bundesumwelt-Buddha Altmaier in technokratische Krümel zerbröselt. Plötzlich wird sichtbar, wie die Grünen die vergangenen drei Jahre in programmatischer Denkfaulheit und konzeptioneller Genügsamkeit verdaddelt haben. Darin unterscheiden sie sich zwar nicht von ihrer politischen Konkurrenz. Nur sind sie zur Andersartigkeit vergattert. Die postmaterialistische Grünen-Klientel will ihre Partei weder als Mitläufer noch als Spiegelbild eigener Angepasstheit. Die Wählerschaft ist auf ökologische und soziale Avantgarde abonniert.

Die Grünen müssten deshalb schleunigst wieder Farbe bekennen. Sie müssten die Zukunftsdebatten führen, die unerledigt im Raum stehen. Wie wollen wir leben? Was lassen wir uns das soziale Auseinanderdriften kosten? Wie werden wir Europäer? Muss wachstumsorientierter Lebensstil unter Strafe stehen? Um eine Corporate Identity als politische Vorreiter zurückzuerobern, müssen die Grünen auch wieder kampagnenfähig werden. Dazu können Trittin & Co zwar nicht in alte Brokdorfer Autonomenjacken schlüpfen. Doch mit mehr Mut zu provokanten Aktionen könnte sich die einstige Anti-Parteien-Partei ein Stück alte Unverwechselbarkeit zurückerobern.

Konzeptioneller Energiesparmodus

Wo ist die Kampagne zum Stromboykott „Wir sparen RWE kaputt“? Wo das große Patenschaftsprojekt: „Grüner Soli für Griechenland“? Oder der bundesweite Wettbewerb „Das schenk ich mir“ zum klimafreundlichen Konsumverzicht?

Stattdessen laufen die Grünen derzeit konzeptionell im Energiesparmodus. Strategisch steuern sie in die Sackgasse. Als Lehre aus dem vergeigten Berlin-Wahlkampf vor einem Jahr stellt das Führungspersonal der Partei jetzt die Weichen allein auf Rot-Grün. Der Kurs der grünen Eigenständigkeit, der andere Regierungsbündnisse nicht ausschloss und die Grünen auch für konservativ angehauchte Mittelständler attraktiv machte, hat sich zur Einbahnstraße Richtung SPD verengt.

Politisch ist das paradox und argumentativ zum Verrenken. Ausgerechnet in Zeiten, da die politischen Differenzen zur Union so schmal geworden sind wie nie zuvor, in Zeiten, da eine CDU-Kanzlerin keinerlei Wechselstimmung weckt, drängt es die Grünen in sozialdemokratische Arme. Die aber können bei Bedarf auch schnell in Richtung große Koalition wedeln.

Wofür also brauchen wir die Grünen? Zum Opponieren? Nein danke! Nicht schon wieder. Oder zum Regieren? Dafür reicht allerdings nicht die gemütliche Fahrt im roten Beifahrersitz. Da müssen die Grünen schon den eigenen Motor anschmeißen.

Vera Gaserow ist Journalistin in Berlin. Die Grünen beobachtet sie schon seit vielen Jahren

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