In Peking haben junge Feministinnen sich jetzt eine interessante Strategie ausgedacht: Sie besetzen Männertoiletten. Nicht nur, um auf den Mangel an öffentlichen Frauen-WCs aufmerksam zu machen. Der Occupy the Men’s Bathroom-Bewegung geht es um Grundsätzlicheres. Maos Kulturrevolution war ein emanzipatorisches Projekt, auch wenn zu Hause die konfuzianische Tradition weiterlebte. Aber wie steht es heutzutage um den Feminismus im Land der Ein-Kind-Politik und der Parteilinie, die ein frühes Heiraten vorsieht? Bei einer Protestwelle gegen häusliche Gewalt auf der chinesischen Internetplattform Weibo, die ähnlich wie Twitter funktioniert, klangen die Slogans, die sich junge Frauen auf ihre nackten Oberkörper geschrieben hatten, wie Paraphrasen maoistischer Sprüche: „Häusliche Gewalt ist eine Schande, aber ein kleiner Busen eine Ehre!“ Handelt es sich bei den Protesten um ein kleines Phänomen, um ein paar junge Frauen, die zufällig gute Kontakte zu ausländischen Medien haben? Oder formiert sich hier eine neue feministische Kraft? Wer sind Akteurinnen?
Holly Hou, Geschlechterforscherin an der Chinese University in Hong Kong, hält die junge Generation chinesischer Feministinnen für unerschrockener als deren Vorgängerinnen. Die Jüngeren seien mit sozialen Medien aufgewachsen, „sie wissen sehr gut, was sie dort abbilden müssen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Etwa Body-Art“. Tatsächlich ahmten etwa Studentinnen der Universität Guangzhou im Frühjahr die aktivistischen Strategien der ukrainischen Gruppe Femen nach, indem sie mit nackten Oberkörpern demonstrierten, die sie mit roten Blumenmotiven statt mit feministischen Statements bemalt hatten. Ihre Forderung nach Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt hielten sie auf Schildern in die Höhe. Doch die jungen Demonstrantinnen agieren vorsichtig, verdecken ihre Gesichter mit Sonnenbrille und Mundschutz. Anders als Femen protestieren sie nicht vor den Türen politisch Verantwortlicher, sondern im geschützten Terrain der Universität. So wirken ihre Interventionen wie eine Probe für die Zukunft – oder ein Shoot, der erst einmal in den sozialen Medien öffentlich gemacht wird.
Die Unverhüllten Mädchen
An der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou lehrt die Feministin und Literaturwissenschaftlerin Ai Xiaoming. Sie ist der Ansicht, Feminismus gehöre nicht in Klassenzimmer und Lehrbücher. Im vergangenen Jahr solidarisierte sie sich im Internet mit der Aktivistin Ye Haiyan, die sexuellen Missbrauch an einer Schule mit der Körperaufschrift „Rektoren, lasst die Schulkinder in Ruhe, geht lieber mit mir aufs Zimmer“ kritisierte. Denn Gesetze gegen sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt fehlen in China. Ai variierte den Spruch: „Geht lieber mit mir aufs Hotelzimmer, und lasst Haiyan in Ruhe!“ Auf dem Portal Weibo verbreiteten sich Ais Fotos in Windeseile: 8.400 Kommentare gab es allein in den ersten 16 Stunden. Viele zeigten sich geschockt, die Professorin entblößt zu sehen. Beliebte Plattformen wie Weibo, Papa oder Weixin hält jeder Chinese buchstäblich in seinen Händen. Entsprechend hoch sind die Nutzerzahlen. Und wenn die Aktivistinnen den Körper als Screen verwenden, umgehen sie die Zensur, einfach weil Algorithmen Schriftzeichen in Bildern nicht so schnell entziffern können wie Getipptes.
Analoge Proteste sind aber längst noch nicht verschwunden. Bäuerinnen demonstrieren derzeit mit großen Bannern, wie in der Mao-Zeit, gegen die patriarchalen Besitzverhältnisse. Lässt sich eine Frau scheiden, hat sie zum Beispiel weder Anspruch auf die Ackerflächen ihrer Eltern noch auf die ihres Ex-Mannes. Auch bei Ehepaaren in Großstädten läuft eine gemeinsame Immobilie auf den Namen des Mannes. Fürs nächste Jahr plant Jiny Lan, Mitglied einer feministischen Künstlerinnengruppe namens Bald Girls, ein Projekt mit den Bäuerinnen. Doch dieser Schulterschluss von Großstadtaktivistinnen und Landarbeiterinnen ist nicht unumstritten. Andere Künstlerinnen mäkeln, die Bald Girls wollten sich nur wichtig tun.
Lange Diskussionen über die Gruppe sind auf Weibo üblich. Etwa nachdem die New York Times über eine von den Bald Girls organisierte Gruppenausstellung in Peking berichtet hatte. Jiny Lan vermutet, dass viele Künstlerinnen die Teilnahme an den geplanten neuen Aktionen verweigerten, um sich nicht unbeliebt zu machen. Andere sagten ab, weil es ihnen wohl eher um persönliche Lust an der Kunst geht, nicht um die Idee des Feminismus. „Dabei sollte sich keine Frau schämen, die Gesellschaft sollte sich schämen, wenn sie Alleinerziehende oder Geschiedene moralisch verurteilt.“
Gao Ling, eine Künstlerin, die es eher als Einzelkämpferin versucht, entwarf BHs aus Metall, die Grabscher in der ShanghaierU-Bahn abschrecken sollen. Mitglieder der Organisation LGBT Rainbow rasierten sich derweil die Haare ab, um bessere Studienbedingungen einzufordern. Eine gewisse Verzagtheit herrscht aber auch hier: So setzte Rainbow-Aktivistin Xiao Tie sich nach der Aktion eine Perücke auf, weil sie die Aufmerksamkeit doch nicht so mochte. Sie trägt lieber japanischen lolly style als radical chic.
Kurz mal sensationell
Nach Einschätzung der Geschlechterforscherin Hou wächst bei den Jüngeren – vor allem bei Gender-Studentinnen – die Offenheit für feministische Ideen. Doch vieles bleibe bislang Symbolpolitik. Nach wie vor gibt es viel Skepsis im Land. Von September bis März unternahm etwa die Künstlerin und Aktivistin Xiao Meili einen „feministischen Marsch“ von Peking nach Guangzhou und sammelte unterwegs 2.000 Unterschriften. Im Internet fanden sich danach etliche Kommentare, die behaupteten, die Aktion sei bestimmt aus dem Westen unterstützt worden, um die kommunistische Partei zu destabilisieren. Xiao selbst betonte immer wieder, sie sei von Online-Unterstützern finanziert worden.
Alles in allem ist der Feminismus im chinesischen Mainstream (noch) kein Thema. Proteste wie die humorvolle Toilettenaktion tauchen kurzzeitig mal als Sensation auf Weibo auf, werden letztlich aber nicht wirklich ernst genommen. Solange Frauen nicht mehr Macht einfordern, sondern lieber ihre Beziehungen mit dem anderen Geschlecht augenzwinkernd ausbalancieren, bleibt der Feminismus – leider – nur eine Übung.
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