Auf dem Schaufenstersims stehen einige dieser filigranen asiatischen Teeschalen aufgereiht auf einer Bastmatte. Im Inneren des Ladens in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte wird die kleine Form mit großen, schweren Sesseln kontrastiert. Die Sessel sind so wuchtig wie jene Fauteuils, in denen schon 1972 Richard Nixon und Mao Zedong oder später Ronald Reagan und Deng Xiaoping vor der Weltöffentlichkeit saßen. Mit gehörig großem Abstand zwischen den Personen, wie es sich in der politischen Arena gehört.
Doch Le Ying, die Inhaberin des neu eröffneten Teeladens Thirsty Moon, erzählt, dass auch in privaten Wohnzimmern in China solche Sessel mit den Rücken zur Wand stehen, so dass sich eine gemütliche Teegesellschaft ihre Worte laut zurufen muss. Neben diesen großen Sesseln, die auch heute in China allerorten in amtlichen wie familiären Umgebungen herumstehen, möblieren den Laden eine ganze Reihe anderer interessanter Möbelstücke, die eine Geschichte haben. So etwa ein okkulter Art-déco-Schrank in Jukebox-Dimension aus den 30er Jahren, als Shanghai längst internationale Handelsstadt war. Dann ein neuer, blau bezogener Stuhl im dänischen Designstil, der zurzeit unter Shanghaiern sehr gefragt ist. Transnationale Flows haben sich schon früh in die kulturelle Produktion eingeschrieben, nicht erst seit es Popkultur und Internet gibt. Die Teekultur selbst ist von diesen Wellen weitgehend unbeirrt geblieben.
Der dritte Aufguss
Le Ying hat die Stücke in Shanghai und auf Taobao, dem chinesischen Ebay, gefunden und in einen Container verfrachtet. Darunter befindet sich auch ein runder dunkler Holztisch, den sich ein Chinese in Europa gekauft hatte. Da das Mobiliar die Dimensionen durchschnittlicher Shanghaier Wohnzimmer sprengte, wollte er das Ding wieder loswerden. Le Ying hat den Tisch also wieder an seinen kulturellen Ursprung zurückgeholt. China-Restaurants und Teegärten müssen heute längst nicht mehr als rot-goldene Paläste leuchten.
Wie sieht China also heute außerhalb von China aus? Muss ein Laden so verpackt sein, dass er auf einen Blick als chinesisch verstanden wird? Umgekehrt kennt man das auch, ein Münchner Hofbräuhaus in Shanghai oder eine Konstanzer Bäckerei in Peking. Diese Stereotype verändern sich nur langsam. Die unmittelbare Nachbarschaft des Berliner Ladens entwickelt sich generisch, ein Westberliner Gastro-Italiener kündigt ein Cappuccino Grand Café an, und um die Ecke kommt Tee aus dem Samowar.
Eigentlich möchte Le Ying vor allem die Kultur des Teetrinkens, die Langsamkeit dieser Kultur vermitteln. Seit Li Kepiang das Land regiert, spielt die chinesische Tradition – Stichwort Chinese Dream – eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit, Traditionen wie das Verschenken von Tee unter Parteimitgliedern sind wieder en vogue. Sogleich stiegen die Teepreise.
Als Simone de Beauvoir in den 50er Jahren China bereiste, beobachtete sie in Shanghai Unmengen an Leuten mit Thermosflaschen. Teehäuser waren mit hölzernen Tischen und Stühlen möbliert. Michelangelo Antonioni filmte später in seinem Dokumentarfilm Chung Kuo – Cina Arbeiter, die auf der Straße oder in Teehäusern sitzen, Tee schlürfen und rauchen. Le Ying geht mit solchen China-Projektionen spielerisch um und mixt und kombiniert etwas Neues, Hyperkulturelles. Auf diese Weise entsteht ein bewusst verflachtes und unscharfes Bild von China, aus dem die Teekultur als feste Größe herausragt.
Darin trifft sie sich konzeptuell mit einer Künstlerin wie der im Senegal geborenen New Yorkerin Fatima Al Qadiri, deren Album Asiatisch im Frühjahr erschien. Beide lassen binäre Konstruktionen von Original und Kopie einstürzen, vielleicht auch von Tradition und Moderne. Die Malerin Chiara Minchio hingegen hat sich über Monate in den chinesischen Alltag gestürzt, das Ergebnis ist ungleich wilder und hybrider. Minchio nahm chinoise Motive wie das erste Packungsdesign des Opium-Parfüms von Yves Saint Laurent, das stilisierte Bambusblätter zierten. Zusammen mit bestehenden Elementen aus ihrem malerischen Repertoire ließ sie das Motiv auf Tennissocken drucken. Dieses Produkt made in China versteht sie als Marketingteaser für ihre Malerei.
In Le Yings Raum soll das Teetrinken geprobt werden. Das Anliegen ist ernst gemeint, es gibt viel zu lernen. Warum die Teekanne so klein ist – nicht etwa aus asiatischer Possierlichkeit, sondern um den wertvollen Tee zu dosieren; eine Kanne europäischen Formats könnte sich davon keiner leisten. Tee ist hier Genussmittel. Und macht der Berliner Zelebrierung des Filterkaffees Konkurrenz. Man schaut nun lieber beim xing cha, dem Aufwecken des Tees, zu und freut sich auf den dritten Aufguss.
So beginnt das zeitgenössische China-Bild produktiv zu werden. Erschien China zur Zeit von Beauvoir und Antonioni noch weit weg, so lassen sich die besprochenen Exempel als Beweis für den Spaß am Produzieren und Verbreiten im chinesischen Sinne lesen. Damals war die Chinoiserie keine kulturelle Auseinandersetzung, sondern eine flimmernde Projektion aus der Sicht westlicher Kulturen. Doch jetzt ist die Reflexion bereits enthalten, es ist klar zu sehen, was vor sich geht. Es sind reflektierte Chinoiserien besten Wissens.
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