Auf dem Prüfstand

Musik-Kolumne Das Debütalbum von Lana del Rey befeuert den Hype um sie neu. Wie geht die Kritik mit dem Phänomen um? Unsere Kolumnistin hat sich die Lana-del-Rey-Rezeption angeschaut

Besäße der Winter ein Sommerloch, Lana del Rey hätte es gefüllt. Seit die Amerikanerin im letzten August erst ihren Videoclip zu "Video Games" und anschließend zu "Blue Jeans" ins Rennen um virale Verbreitung via Youtube warf, ist sie omnipräsent in Blogs, Zeitschriften und Feuilletons. Eine passende Zusammenfassung des rasanten Aufstiegs liefert NPR Org. Dabei geht es seltener um ihre Musik – eine Mischung aus schmachtendem Retro-Pop, gepaart mit augenklimperndem Jazz und Softcore-HipHop (was wüster klingt, als es ist ...) – als vielmehr um ihr vermeintlich inszeniertes Auftreten, ihre Authentizität und natürlich auch um die Frage nach der Berechtigung des Hypes.

In der vergangenen Woche ist ihr Album Born To Die erschienen, das niemand in den Himmel lobt, einige sehr wohl aber mit Füßen treten. Plattentests.de hält die Ablieferung eines "prima Albums" anstelle des "großartigen Meisterwerks" für genau richtig und bespricht die Songs zwischen Pop-Appeal und Lyrics, in denen Lana del Rey sich gleichermaßen als fordernde Verführerin wie als Opfer unerfüllter Liebe stilisiert. Bei "Off The Races" gelinge ihr gar der Spagat "zwischen unterwürfiger Kindlichkeit im Stile Marilyn Monroes im Refrain und reflektiert-dominantem Sprechgesang in den Strophen". Beinahe bemerkenswert, dass nun auch mal hinter den Bambi-Blick der Künstlerin geblickt wird.

50 Prozent Credit für den Mann?

Die Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und Songwriting-Talent werden Lana del Rey derweil bei der Süddeutschen Zeitung munter abgesprochen und mit der Bitte verknüpft, ruhig auch mal auf die Geigen zu verzichten. An dem Punkt war man doch schon mal und Lana del Rey war immerhin klug genug, dem Observer gegenüber mit dem Satz zu antworten, dass, wenn du als Frau einen Song schreibst, während noch ein Mann mit im Raum ist, der Mann immer 50 Prozent der Credits bekommt.

Die Musik-Kritikern des Observer, Kitty Empire, betont in der Album-Rezension die dunklen Abgründe, die hinter Lana del Reys Augen lauern. Die Hälfte der Songs auf Born To Die verweisen auf den Tod. Das Video zum Titeltrack endet mit einer toten Lana del Rey, die von ihrem Lover aus der Flamenhölle eines Verkehrsunfalls getragen wird. Songs wie "Dark Paradise" oder "Summertime Sadness" überarbeiteten die Themen hilfloser Hingabe und hedonistischer Leere, aber nicht, ohne mit einer Textzeile oder einem überraschenden Gitarrensound die Hörer davon abzuhalten, seine Pulsadern mit Cocktailschirmchen zu malträtieren, schreibt Empire auf unterhaltsame Art.

Nicht ganz einverstanden zeigt sich die Autorin allerdings mit den Live-Qualitäten Lana del Reys. Auch da ist sie nicht die erste. Als unbeholfen, ungelenk und wenig charismatisch wurden die Auftritte der Sängerin schon vorher beschrieben. Der obige Auftritt von vor drei Jahren zeigt eine ebenso wenig ausgereifte Bühneperformance der Künstlerin wie ihre Shows infolge des Hypes. Wenn das mal nicht gegen die Theorien des alles bestimmenden und inszenierenden Managements spricht ...

Kritik aus den Blogs

Aber zurück zur Platte. Wirklich mies schneidet Born To Die bei den tonangebenden Blogs ab. "Eine Kollektion an Torch Songs ohne Feuer", schreibt pitchfork. Und stereogum befindet – nach einem absonderlichen Vergleich mit Fiona Apples Erfolgen in den 90er Jahren – Born To Die sei "schlecht, wirklich schlecht". Im Gegensatz zu dem trashigen Glamour der ersten Singles schlage die Verbindung von Sex und Reue auf dem Rest des Albums fehl. Ganz so arg sollte man das nicht sehen, denn die Mischung aus White Trailerpark Trash und Femme Fatale Retro-Glam verfolgt Lana del Rey auch in ihren schwächeren Songs konsequent. Dass es dabei nicht immer die alles überglitzernde Nummer sein muss, sie aber trotzdem charmant bleibt, zeigt ein altes Interview, das sie in dem New Yorker Trailerpark gab, in dem sie einige Zeit lang lebte.

Ebenfalls nie aus dem Fokus verloren wird Lana del Reys musikalische Vergangenheit unter ihrem bürgerlichen Namen Lizzy Grant. 2010 veröffentlichte sie als eben diese ihr Debütalbum, das nach wenigen erfolglosen Monaten wieder vom Markt genommen wurde. Nicht, weil sie ihre Songs verstecken wolle, wie sie mir im Interview erzählte sondern, weil sie erst mit ihren neuen Songs für Aufmerksamkeit sorgen wolle, bevor sie die älteren Stücke neu veröffentlicht. Dass dies ein konkreter Plan ist, meldete Tonspion Anfang der Woche. Auf der selbstbetitelten Platte sei die Musikerin "ganz ohne Polsterlippen und Dauerwelle pur und ungekünstelt" zu hören. Mit Dauerwelle und den unpraktisch-kralligen Fingernägeln trat Lana del Rey aber schon als Begleitung von Mando Diao bei deren Unplugged-Konzert im selben Jahr auf.

Verena Reygers schreibt in dieser Kolumne über Genderthemen in der Musikbranche. Sie kolumniert immer mittwochs im Wechsel mit Katrin Rönicke, die sich mit Gender- und Bildungsthemen befasst.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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