Brav wie Bruni

Musik-Kolumne Lady Gaga klingt wie Madonna, Flip Grater wie Frankreichs Première Dame. Recyceln gehört zum Musikgeschäft. Im Moment klingt das ziemlich soft

Niemand erfindet sich heute im Popgeschäft noch neu. Nicht mal Lady Gaga. Seit knapp zwei Wochen ist ihre neue Single „Born This Way“ auf dem Markt und direkt meckerten die ersten: Uh, klingt wie Madonnas „Express yourself“.


Ob Kopfnicken oder Kopfschütteln: Innerhalb weniger Tagen ist „Born this way“ in 23 Ländern auf Platz 1 der Charts geschossen und wurde mehr als eine Million mal verkauft. Und warum sollte ausgerechnet Lady Gaga das musikalische Rad neu erfinden? Fakt ist, „Born this way“ hat alles, was ein Gaga-Song braucht: Drama, Beats, Dancefloortauglichkeit. Das dachten auch die Musikexpress-Redakteure Albert Koch und Stephan Rehm beim Echtzeitkommentar: Riesenhit, gell!

Eine mindestens ebenso Karriere kalkulierende Künstlerin wie Lady Gaga und Madonna ist auch Carla Bruni, Nur dass man ihre Platten seit ihrem Job als französische First Lady bei meinen Freunden nicht mehr auflegen darf. Wie gut, dass es dafür jetzt Flip Grater als Ersatz gibt. Die Neuseeländerin, deren Ponyfrisur an Feist und Cat Power erinnert, macht wunderbar poetischen Akustikpop, den auch schon mal ein Hauch Country umweht.

Im März kommt Flip Grater das erste Mal auf Deutschlandtournee. Ihr aktuelles Album „While I’m Awake I’m at War“ wird dann hierzulande auch zu haben sein, denn der Sommer mit seinen lauen Abenden auf dem Balkon kommt bestimmt.

Für lange Sommernächte eignen sich auch die Franzosen von Nouvelle Vague und deren Bossa-Nova-Soundgewand, das sie diversen Klassikern der Popgeschichte für gewöhnlich überstreifen. Auch wenn ihr aktuelles Album „Couleurs sur Paris“ mich persönlich nicht restlos überzeugen konnte. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass sie Sängerin Phoebe Killdeer offensichtlich an eine erfolgreiche Solokarriere verloren haben. Schlecht für Nouvelle Vague. Gut für uns.

Und schon wieder eine Ponyfrisur. Aber eine, die rockt. Live prescht Phoebe Killdeer mit ihrem vom Surf Noir inspirierten Indierock ordentlich voran. Ihr Konzert vergangene Woche im Hamburger Hafenklang habe ich leider verpasst, aber das wunderbar gänsehäutige „The Fade Out Line“ lief bei mir auf Heavy Rotation.

Phoebe Killdeer ist dem Lolita-Look als Nouvelle Vague Frontfrau also noch rechtzeitig von der Stimmgabel gesprungen. Das französische Soundkollektiv hat stattdessen Nadeah Miranda als eine ihrer wechselnden Sängerinnen engagiert und damit auch einen Trend recycelt. Den der Brigitte-Bardot-Lookalikes: Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Schmollmund – besonders bei einem Cover von The Clash, aber soft ist gerade ohnehin angesagt. So auch beim Trend Dreampop. Der Name sagt schon alles. Pop mit wattegebauschten Luftschlössern. Ein bisschen 80er, ein bisschen Softporno. Nun auch als rosa Mädchenschlafzimmer mit einem Hauch von Glitzerdiscotune zu haben.

Das Internetblog Gorillavsbear.net stellte in den vergangenen Wochen zwei aktuelle Dreampopsongs vor: das etwas luftigere „Firestarter“ von Blouse und das süße „Silky Eyes“ von Puro Instinct. Wirkt arg jungfräulich, macht aber trotzdem Laune. Und die kann man brauchen, wenn die Charts in den kommenden Wochen von Lady ‚Madonna’ Gaga dominiert werden.

Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt: "Das Lied des Nahen Ostens"

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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