Frauen mit Bart

Musik-Kolumne Das Gesicht von Frauen soll haarlos sein. So lautet die gesellschaftliche Norm. Manche Musikerinnen verstoßen aber gern dagegen – nicht nur um aufzufallen

Ich stehe im Zeitschriftenladen am Bahnhof und mein Blick fällt auf den Titel einer britischen Modezeitschrift, das Coverbild ziert ein Model mit angemaltem Schnurrbart. Frauenzeitschriften go queer, frage ich mich. Mitnichten. Dennoch hat die queere Subkultur in den vergangenen Jahren vermehrt Auftritte auf der Bühne des Mainstreams. Bärte am weiblichen Kinn sind ein untrügliches Zeichen dafür.

Auf dem Cover ihres zweiten Albums Fatherfucker trägt Peaches einen Bart, der auch jedem Kaufmann am Ende des 19. Jahrhunderts zur Ehre gereicht hätte. Die de:bug zog da direkt den Vergleich zu den ägyptischen Pharaoninnen, die sich Barthaare ins Gesicht klebten als Demonstration ihrer Macht. Das war 2003 und der Bart fing gerade an, ein ausgewachsener Trend zu werden.

Nicht zuletzt durch das jüngste Folkrevival, mit dem Musiker wie Devendra Banhart, Iron and Wine sowie die Fleet Foxes Bärte bühnenfähig machten, ging es dann doch ganz schnell. Plötzlich waren sie überall, die "Beardos". Ein Begriff, der alle männlichen Musikerbärte abdecken sollte, aber vergaß, die weibliche Spezies miteinzubeziehen. Wobei diese dann auch weniger im doch eher gewissen altmodischen Traditionen verhafteten Folkgenre zu suchen sind. Das Internetradio Byte FM hat sich in den vergangenen Wochen jedenfalls nicht alleine auf die männlichen Beardos konzentriert, sondern in zwei Sendungen auch auf ein paar Damenbärte hingewiesen.

Auch Coco Rosie präsentierten ihre facial Gesichtspracht auf dem Cover ihres 2010 erschienenen Albums Grey Oceans und eben in dem Video zur Single "Lemonade". Im Interview mit dem uMag erklärt Bianca Casady, die eine Hälfte des Duos, darüber auf, was es schlicht mit den Bärten auf sich hat: "Deswegen kann ich dir auch einfach nur sagen, dass ich mir einen Schnurrbart male, weil er mir steht, oder dass ich Männerklamotten trage, weil ich eben Lust darauf habe."

Natürlich gilt für Peaches wie für die Casady-Schwestern von Coco Rosie, dass ein bisschen Bart im Gesicht nicht überrascht beim ohnehin exzentrischen Habitus, mit dem sich diese Musikerinnen inszenieren. Fehlt eigentlich nur noch Madonna in der Bartträgerinnen-Liste. Oder eine HipHop-Frau. Denn im Rapbiz beanspruchen die Musikerinnen schon längst das Macho-Gehabe ihrer Kollegen für sich, aber sich Haariges ins Gesicht kleben, nee, das dann doch lieber nicht. Es sei denn, man heißt Sookee und macht queeren HipHop. Das Cover ihres letzten Albums, frau ahnt es, ziert die Berliner HipHoperin mit einem fein geschwungenen Schnurrbart und im Titeltrack ihres Albums "Bitches, Butches, Dykes und Divas", der auch beim letztjährigen Slutwalk zum musikalischen Hintergrund gehörte, heißt es: "der Bart um rote Lippen macht, dass sich niemand wundert / sag ma nich dis passt ganz gut zu meinem losen Mundwerk".

Sookee-Fan ist auch die Bloggerin Frau mit Bart, die seit August 2008 über ihren Alltag als Bartträgerin schreibt. Im Gegensatz zu den fancy Musikerinnen und ihrer queeren Mode ist bei dieser Frau der Bart echt. Nach jahrelangen Versuchen, sich der Haare am Kinn zu entledigen beschloss Mariam, ihn einfach wachsen zu lassen und über ihre Erlebnisse als bärtige Frau zu bloggen. Das ist mal lustig und unterhaltsam, oft aber auch traurig und nachdenklich, auf jeden Fall immer spannend. Neben ihren persönliche Geschichten, verlinkt Frau mit Bart auch zahlreiche Infos zum Thema. Brigitte.de hat Mariam ihre Geschichte für eine Fotoslide-Show erzählt.

Ebenfalls echt ist die Gesichtsbehaarung von JD Samson, Mitglied bei den formidablen Le Tigre. Und die habe die Amerikanerin gar zum Sexsymbol gemacht, wie die Visions in der Besprechung des Le Tigre Films Who Took The Bomp schreibt.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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