Hauptsache, es flasht!

Live-Auftritte Verena Reygers hüpft ein Konzert lang zu Balkanpopbeatglitter. Und fragt sich anschließend: Was macht eigentlich gute Live-Auftritte wirklich aus?

Ich hüpfe mit 300 Miss Platnum Fans um die Wette – es ist der knallende Höhepunkt von anderthalb Stunden Balkanpopbeatglitter. Ich bin beim Osnabrücker Popsalon, dem Musikfestival, das vergangenes Wochenende zum ersten Mal über die Bühnen der niedersächsischen Kleinstadt tobte.

Ja, tobte! Denn ich hüpfe mir nicht nur freitags die Füße wund, samstags geht es mit Katzenjammer weiter.

Die vier Norwegerinnen haben sich europaweit einen einzigartigen Live-Ruf erspielt. Kein Wunder, denn dieser instrumentale Powermix walzt nicht nur die ersten drei Zuschauerreihen um. Und so frage ich mich, was brauchen Musikerinnen als Live-Qualitäten, was erwarten wir von ihnen auf der Bühne? Power, krasse Stimme, geiles Outfit oder reicht die Virtuosität an Instrument oder Songwriting? Oder ist das alles egal, wenn man einfach nur geflasht den Saal verlässt? Denn dann kann eine geschmeidig über die Bühne gleitende Cat Power genauso begeistern wie die dem Fitnessinfarkt entgegen springende Madonna.

Letztlich ist das wohl alles Geschmacksache. Ich erinnere mich an eine Live-Performance von Neko Case, bei der sie ihren Hausschlüssel am Hosenbund trug und ein merkwürdiges, zu klein geratenes, T-Shirt mit einer abgewetzten Comicfigur drauf. Meine Freundin meinte, na, ein bisschen zurecht machen könne man sich aber doch, wenn man vor Leuten auftritt. Mich aber entschädigte die Stimme der Kanadierin für alle schlecht sitzenden T-Shirt der Welt.

Klar, beim Stichwort Style denkt zurzeit alles an Lady Gaga, aber auch die Damen von Coco Rosie oder Ex-Moloko-Sängerin Róisín Murphy lieben ausgefallene Kostüme, während Joss Stone oder Heather Nova ausnahmslos barfüßig auf der Bühne stehen.

Jede und jeder nach seiner Façon würde ich sagen. Und wenn es der Künstlerin ein gutes Gefühl gibt, Papageienfedern als Kopfschmuck zu tragen, bitte sehr! Das Outfit muss keinesfalls an der künstlerischen Überzeugungskraft kratzen. Da können ganz andere Sachen in der Performance stören. Und oft von Künstlerinnen, von denen man es gar nicht erwartetet hätte, denn live langweilig und enttäuschend fand ich oft Musikerinnen, denen ich wochenlang entgegen gefiebert hatte: Sarah McLachlan, Katie Melua, selbst PJ Harvey oder Tori Amos konnten mich nicht begeistern. Obwohl das expressive Pianospiel letzterer legendär ist.

Vielleicht lag es aber auch bloß an dem uncharmanten Ambiente der Hamburger Messehallen, das das „Cornflake Girl“ zu verhaltenerem Auftreten veranlasste. Wirklich wütend machen mich die Musikerinnen, die auf der Bühne das kleine Mädchen geben, an ihren Haarlocken drehen und verschüchterte Blicke ins Publikum werfen, das in den ersten Reihen ausschließlich aus sabbernden Männern besteht. Nicht falsch verstehen – Lampenfieber muss schrecklich sein und nicht jede Musikerin ist die geborene Performerin, aber gespielte Infantilität nervt. Leona Naess ist so ein Fall oder auch Suzie Kerstgens von Klee – obwohl die gleichzeitig auch gerne mal eine Flasche Bier ext.

Besser gefallen mir dagegen die ungekünstelten Singer/Songwriterinnen, die mit nichts als ihrer Gitarre auf der Bühne stehen, diese aber genauso souverän beherrschen wie ihre Geschichten, mit denen sie das Publikum unterhalten. Sehr beeindruckt haben mich hier Aimee Mann, Eleni Mandell oder auch die Schwedin Ane Brun bei ihrer ersten Deutschlandtournee vor ein paar Jahren.

Das ist alles sehr solide und keinesfalls mit den Rampensäuen von Katzenjammer oder Miss Platnum zu vergleichen. Aber alles zu seiner Zeit. Und dort in der Osnabrücker Lagerhalle erinnerte ich mich noch an ein anderes Konzert. Denn ein paar Jahre zuvor sausten Großstadtgeflüster über dieselbe Bühne. Auch hier stimmten Beats, Style, Stimme und Performance. Und die Message war ebenfalls nicht zu verachten. Also, auf die Plätze, los ...

Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt: Guck mal, ein Arsch.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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