Haut zeigen

Musik-Kolumne Wer in der Musik-Branche was auf sich hält, muss eine Mindestanzahl an Tattoos vorweisen. Interessant wird es, wenn man die persönlichen Geschichten dahinter erfährt

Wenn es darum geht, die eigene Musik an den Mainstream zu bringen, reichen oft weder eine gute Stimme noch gute Songs. Auch das Aussehen muss was hermachen. Das ist nichts Neues. Interessant aber wird es, wenn nicht Wallehaar, Wespentaille und Klimperwimpern optisch hervorgehoben werden, sondern ein ganz spezieller Körperschmuck: Tattoos.

Pop-Sternchen Christina Perri – von der ich noch nie gehört hatte, bevor ich bei Google die Wörter Musikerin und Tattoo eingab – zählt alleine 45 Bilder auf der Haut. So ungefähr, denn ganz sicher ist sie sich nicht, wie sie einem Promimagazin im Interview erzählte. Keine Unsicherheit zeigt sie dagegen in der Wahl ihres Lieblingstattoos. "La mia famiglia" steht auf ihrem Brustbein, was übersetzt "Meine Familie" heißt. Ist doch schön, wenn so vermeintlich wilde Tattoomädchen noch wissen, wo sie herkommen. Das war bei Amy Winehouse nicht ganz so harmonisch. Dafür hatten ihre Tattoos einen eigenen Song:

Manchen reicht bloß ein markantes Tattoo an einsehbarer Stelle, wie der Anker mit dem Mama-Schriftzug bei der Gossip-Sängerin Beth Ditto, andere Musikerinnen verschwinden mehr und mehr hinter ihrer gestochenen Hautbemalung. Sehr schön zu beobachten ist das zum Beispiel bei Jennifer Weist, Frontfrau der Deutsch-Pop-Punker von Jennifer Rostock. Mit jedem Album sieht man weniger von Frau Weist, dafür blickt von ihrem Hals ein Madonna-Antlitz auf den Betrachter herab. In einem Interview mit n-tv erzählte die Sängerin, dass nach Rücken, Armen und Hals nun der Bauch dran sei.

Ihren Bauch zeigt auch Punk-Lady Bif Naked gerne. Die kanadische Straight-Edge-Vertreterin soll sogar Pink schon als heiße Tattoo-Braut ausgestochen haben. Genau das dürfte die Musikerin, deren Songtexte immer wieder von Befreiungsschlägen weiblicher Unterdrückung handeln, nicht sonderlich interessieren. Ihr erstes Tattoo, ein ägyptisches Auge, ließ sie sich mit 18 stechen. Damals noch, weil ihr Freund auch tätowiert war, später sei es eine Sache der Symmetrie gewesen. Ihr wichtigstes Tattoo trägt Bif Naked auf dem Arm: Survivor. Gestochen hat sie es sich nach einer überstandenen Brustkrebserkrankung.

Ungewöhnlicher sind Musikerinnen-Tattoos in anderen Genres als Rock und Punk. Zum Beispiel bei einer Chansonsängerin wie Coeur de Pirate. Deren Körperverzierungen waren sogar Spiegel Online eine Story wert, in der genau so ein Satz fiel: "Zum anderen sind Chansonsängerinnen gemeinhin eher nicht tätowiert." Und siehe da, ihrer Tattoos ließ sich Béatrice Martin während ihr wilden Teenagerjahre als Punksängerin stechen. Schade eigentlich, denn warum sollten Tattoos nur ausgewählte Musikgenres untermalen? Martin jedenfalls kommen ihre Tattoos zu Gute, wenn sich nicht nur Musikmagazine, sondern auch Tattoozeitschriften für sie interessieren. Dem amerikanischen Tattoomagazin Inked erzählte sie, dass ihr erstes Tattoo eine blaue Rose über den Rippen war, und dass sie sich von dort aus schnell Richtung Brust vorarbeitete. Für jede wichtige Person in ihrem Leben habe sie ein Tattoo auf der Haut. Es scheint also eine Menge wichtiger Menschen in dem Leben der Musikerin zu geben.

Als Musikjournalistin hat man den Vorteil, Tattoos von Künstlerinnen zu sehen, die anderen vorerst verborgen bleiben. Als Anastacia vor mehr als zehn Jahren mit ihrem ersten Hit "I’m Outta Love" in den Startlöchern stand, zierte die Single ein Foto ihrer Rückenansicht mit einem Tattoo über dem Steißbein. Im Interview sprachen wir drüber und ehe ich mich versah, zog sie sich mit den Worten "because you are a girl" den Pulli über die Schulter, um mir ein weiteres Tattoo zu zeigen. Kurz zuvor war mir etwas Ähnliches schon mit Eileen Rose passiert, die ein Tattoo auf dem linken Oberarm trägt. Eine Elfe, wenn ich mich richtig erinnere. Natürlich gab es auch eine Geschichte dazu, aber wahrscheinlich hätte ich einfach aufmerksamer hingehört, wenn ich zu dem Zeitpunkt schon selbst tätowiert gewesen wäre.

Verena Reygers schreibt in ihrer Kolumne über Genderthemen in der Musikbranche. Sie kolumniert immer mittwochs im Wechsel mit Katrin Rönicke, die sich mit Gender- und Bildungsthemen befasst.


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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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