Keine Popstars

Erdmöbel Erdmöbel sind gern etwas schräg. Die Band ist mit handgemachter Musik und poetischen Alltagstexten bekannt geworden. Nur manchmal lachen die Fans an den falschen Stellen

Mit jeder neuen Platte schenken Erdmöbel nicht nur ihren Fans neue Songs, sie laden auch Journalisten an ungewöhnliche Orte ein: zu einem Picknick im Park oder einem Besuch im Aquarium. Nur dieses Mal trifft man Sänger Markus Berges und Ekki Maas – Produzent, Bassist und Posaunist – als Vertreter der Band im Konferenzraum ihrer Hamburger Plattenfirma. Weil man aber von dort einen Blick auf die Elbe hat, finden das die Musiker nicht weiter schlimm. Schließlich hielten sie sich an Orten wie Parks oder Zoos üblicherweise auf. Ein Gespräch im Konferenzraum könne da fast exotisch genannt werden.

Der Freitag:

Mit der letzten Platte hat Erdmöbel zum ersten Mal den Sprung in die Charts geschafft, also kurz vor dem Popstar-Status. In einem Band-Zitat heißt es aber: ‚In der Wirklichkeit sind wir lieber keine Stars.‘ Sind Sie lieber Helden des Alltäglichen?

Berges:

Wir sind noch nicht mal Helden, wir sind Musiker. Und auch wenn wir das möglichst gut machen – der Star oder der Held, das ist unsere Musik. Denn von der können wir hinterher sagen, dass wir etwas gemacht haben, das für sich steht. Für den Zuhörer mag es interessant sein, zu sagen, dass wir die tollen Jungs sind, aber im Grund reicht es, dass er den Song hat.

Dann spielt das Etikett ‚Popstars‘ tatsächlich gar keine Rolle?

Berges:

Ich würde schon sagen, dass es im Popbusiness eine besondere Rolle spielt, die Kunst mit der Person zu verbinden. Dazu gehört auch, die Person zu fiktionalisieren, also sich immer wieder neu zu erfinden. Bei uns ist es aber so, dass wir, was unsere Kunst angeht, eigentlich gar nicht so auf Ausdruck setzen, sondern darauf, etwas zu produzieren, mit dem jeder etwas Eigenes erleben kann.

Also etwas, was auch ohne Personalisierung funktioniert?

Berges:

Ganz genau.

Maas:

Obwohl wir auf unserer Homepage oder im Newsletter schon mal lustige Anekdoten von uns selber erzählen. Die allerdings auch nicht immer vollständig wahr sind, das Ganze aber in einen unterhaltsamen Zusammenhang bringen. Denn in Wahrheit geht es wirklich um die jeweilige Platte.

Erdmöbel haben viele langjährige Fans. Da spielt es doch sicherlich eine Rolle, auch mal Persönliches mit reinzubringen.

Maas:

Wir kriegen tatsächlich Zuschriften, in denen es vor allem darum geht, wann wir endlich wieder eine neue Platte machen. Da geht es den Fans in erster Linie um Musik. Natürlich wissen wir, dass das nicht die normale Konsumhaltung Musik gegenüber ist. Der Konsument hat ja oft außermusikalische Dinge im Kopf.

Image?

Maas:

Zum Beispiel. Man geht zu Tina Turner auf ein Riesenkonzert, weil man es toll findet, dass die alte Frau noch so tolle Beine hat.

‚Die alte Frau‘ zu sagen, ist natürlich gemein. Die Erdmöbel-Mitglieder sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Auf das Alter wollte ich noch zu sprechen kommen.

Maas:

Dürfen wir das sagen? (guckt Berges an) Also wir sind schon älteres Semester.

Berges:

Wir sind deutlich über 40, durchschnittliches Bandmitglieds­alter ist Mitte 40. Früher hätte man vielleicht gesagt, dass das schon ein gesegnetes Alter für eine Band ist. Inzwischen ist das nicht mehr so, aber trotzdem ist es auch für uns noch ein ungewohntes Phänomen, dass es Methusalembands wie die Stones gibt. Das ist noch relativ neu, das gibt es seit 20 Jahren, kulturell eine verhältnismäßig kurze Zeit.

Aber jemand wie Frank Sinatra hat auch bis ins hohe Alter Erfolg gehabt.

Maas:

Ja, aber Sinatra hat keinen schmutzigen Rock’n’Roll gemacht.

Den machen Sie aber auch nicht.

Maas:

Stimmt, machen wir auch nicht. Aber die Stones, die mittlerweile älter sind als mancher Politiker, stehen nach wie vor für eine komische Form von Jugendrebel­lion.

Berges:

Und wenn man uns fragt, ob wir mehr Rolling Stones oder mehr Frank Sinatra sind, wäre das eine Frage, die ich nicht beantworten könnte. Jedenfalls wäre ich nicht damit einverstanden, wenn Sie sagen würden: Wir wären mehr Frank Sinatra, selbst, wenn Sie Recht hätten.

Alter kann ja auch positiv gewertet werden, zum Beispiel, weil Lebenserfahrung hilft, immer bessere Musik zu machen.

Maas:

In Deutschland gibt es das Phänomen, dass die ganz jungen Leute eigentlich gar keine so gute Musik machen. Ganz anders als in den USA oder England, wo es immer mal wieder so 15- oder 18-Jährige gab, die Revolutionäres geschafft haben. Das gibt es in Deutschland nicht.

Berges:

Das ist eine interessante Erfahrung, wenn man als Musiker älter wird und sehr junge Musiker erlebt, die einen umhauen.

Maas:

Darwin Deez zum Beispiel. Toll! Wo ich ohne Neid sagen kann, der ist jung und macht super Musik. Unmöglich, dass dieser komische Typ Deutscher sein könnte. Der hat wohl Eltern gehabt, die schon ziemlich Pop waren.

Stimmt, die Eltern waren Jünger Meher Babas, der wiederum Pete Townshends Guru war. Aber Deez ist ja auch schon Mitte 20 und macht nichts so völlig anderes.

Maas:

Aber er macht Melodien, die ich in der Form noch nicht gehört habe. Melodien, bei denen ich denke, wow! Der denkt da nicht groß drüber nach, der macht das.

Berges:

Mir fällt da ein junger irischer Songwriter namens Fionn Regan ein. Der macht ganz traditionelle Folkmusik, die ich persönlich genial finde. Der Typ ist jetzt auch nicht 17, der ist Anfang 20 oder so, aber das ist so weit von dem entfernt, was ich mit Anfang 20 gemacht habe, dass ich das schwer beeindruckend finde.

Maas:

Und was unsere eigene Arbeit angeht, ist es eher so, dass wir das Gefühl haben, es nötig zu haben, uns ständig weiter zu entwickeln und aus unserer Erfahrung zu schöpfen. Wir haben das große Glück, dass wir unser erstes Album immer noch gut finden, denn als wir unsere ersten Platten aufnahmen, waren wir alle schon etwas älter, so dass die typischen Kinderkrankheiten da gar nicht drauf sind. Dass man zum Beispiel scheiße spielt. Diese Erfahrung des ‚Tagebuchlesens aus der Pubertät‘ blieb uns Gott sei Dank erspart.

Aber über Markus Berges heißt es, er habe schon mit 14 Jahren epigonale Songs geschrieben.

Berges:

Das stimmt auch.

Maas:

Sag doch mal dein erstes Gedicht auf, das mit dem Hund.

Berges:

Das ist zwar nie vertont worden, aber okay. Mein erstes Gedicht habe ich mit sieben geschrieben und es geht folgendermaßen:

Raudi, Raudi, du machst täglich einen Gaudi/Fällt was runter, bist du da, frisst es auf und schmatzt sogar/Bist du hinter Blacky her, machst du erst nach Stunden kehrt/Yippie, heißa hussasa, du bist lustig – das ist wahr.

Für sieben Jahre nicht schlecht. Aber zurück zur Gegenwart: Das Schöne an Erdmöbel ist, dass die Melodien so leichtfüßig daher kommen – es in den Texten aber knallhart zur Sache geht. Spielt da das Alter eine Rolle, dass man kompromissloser wird?

Maas:

Ja, diese Kompromisslosigkeit ist eine Entwicklung. Wir haben jahrelang gedacht, wir würden normale Popmusik machen. Aber mit der Zeit haben wir kapiert, dass das so nicht stimmt. Dass ­jeder, der im normalen Kontext von Popmusik arbeitet, das als schräg bezeichnen würde. So ­spielen uns die meisten Main­streamradios nicht, weil sie Angst haben, dass zu viele Leute anrufen, die meckern.

Ein Vorurteil, das Sie mit der

Maas:

Alle fanden das so schräg, dass wir ernsthaft solche Sachen singen, dass sie gedacht haben: ‚Oh, die meinen das wohl lustig.‘ Da haben wir beschlossen, uns auch nicht länger den Zwang anzutun und einfach die Dinge so zu machen, wie sie kommen. Nicht lange überlegen, ob das verständlich ist oder nicht. Komischerweise haben wir jetzt im Endeffekt gar nicht das Gefühl, dass die neue Platte schräger ist, sondern bloß direkter.

Berges:

Ob das etwas mit Alter zu tun hat, weiß ich nicht. Aber es hat schon etwas damit zu tun, dass wir schon so viele Platten gemacht haben. Es lag jetzt einfach an, so etwas zu machen. Wir haben uns mit dem

Gab es die Angst, dass der Schwenk zum musikalisch weniger Gefälligem vielleicht nicht mit den Texten, die die Banalitäten des Alltags beschwören, harmonieren würde?

Maas:

Wir wollen ja, das gewöhnliche Sachen besonders sind. In dem Song Brasilia zum Beispiel kommt ausschließlich Fantasie drin vor, das ist alles ausgedacht. Sachen, die es gar nicht gibt, die also eigentlich unwichtig sind, in diesem Song aber das Wesentliche bilden. Man macht Sachen, die unwichtig sind, zu etwas Wichtigem. Das ist der Trick bei unseren Songs.

Berges:

Und das passiert auf der Textebene eigentlich ganz genauso. Insofern passt das ganz gut zusammen.

Sehen Sie sich in der Tradition US-amerikanischen Songwritings?

Berges:

Genau. Neben allem Respekt, den wir für bestimmte deutschsprachige Popmusik haben, sehe ich hier zwei Pole, zwischen denen wir eigentlich nichts zu suchen haben. Der eine ist Provokation und Widerstand, der andere ist Humor. Und das sind Dinge, die wir uns in dieser Form nicht auf die Fahnen schreiben. Wir haben schon eine widerstän­dige Grundhaltung, auch weil wir immer wieder gegen uns selbst ­arbeiten. Gerade als Band älterer Menschen könnte man ja die Grundhaltung pflegen: ‚Ach Gott, das letzte Album war auch ­irgendwie geil. Komm, machen wir wieder so eins, wie schon das­ ­vorletzte.’ Wir sind aber keine ­Mucker, wir sind Künstler. Und ­genauso wenig sind wir Humoristen. Ich krieg’ keine Hassgefühle, wenn ich höre, wie Musiker witzig sein wollen, aber das Herz geht mir nicht auf.

Maas:

Aber Humor ist ein Mittel dagegen, dass wir uns selber so absolut setzen. Für uns ist Humor ganz wichtig, insofern, dass wir es okay finden, wenn die Leute über uns lachen, wenn wir auf der Bühne stehen. Die müssen uns dort nicht bierernst nehmen. Aber es ist keinesfalls so, dass wir für einen guten Gag unsere Großmutter verkaufen würden, wie andere das machen. Wir würden die Großmutter gerne behalten.

Mehr Nachdenken als Lachen?

Berges:

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es geht mir nicht darum, was derjenige genau damit macht, denn es gibt so viele verschiedene Weisen, damit umzugehen. Auch Sachen, die ich als Reaktion erst mal seltsam finde. So wie ein Fan mal meinte: ‚Ihr seid so geil. Wenn ich mal richtig mies drauf bin, dann lasse ich die Jalousien runter, mache mir ’ne Flasche Rotwein auf, lass mich volllaufen und höre mir eure Platte an.‘ Wenn das so ist, ist es auch in Ordnung.

Maas:

Aber wir wollen nicht zum Nachdenken anregen, sondern die Musik soll denjenigen, der sie hört, berühren. Das mag heißen, dass er irgendwas fühlt, dass er irgendwas denkt, oder dass er sich an etwas erinnert, von dem er denkt, es käme in dem Song vor.

Das Gespräch führte Verena Reygers. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne jeweils montags über Frauen und Musik.

Krokus ist das achte Album der Band Erdmöbel, die sich 1995 in Münster gründete, aber schon viele Jahre in Köln beheimatet ist. Benannt nach einem DDR-Wort für Särge, legen die vier Musiker Wert auf handgemachten Pop, in dem die Melodien mindestens eine so große Rolle spielen, wie die das Alltägliche herausfordernden Texte von Markus Berges. Zeitgleich zum neuen Erdmöbel-Album erscheint am 17. September auch der Debütroman von Berges, Ein langer Brief an September Nowak, bei Rowohlt Berlin. Erdmöbel wurden vor allem für ihr Cover-Album No. 1 Hits (2007) von den Kritikern gefeiert. Spiegel Online schrieb etwa, sie seien schlau, melancholisch und in höchstem Maße poetisch. Neben Maas und Berges komplettieren das Quartett Wolfgang Proppe am Keyboard und Christian Wübben am Schlagzeug. Von Krokus sprechen Erdmöbel als ihrem selbstbewusstesten, eigenwilligsten, kurzum besten Album. Das sagen Musiker zwar bei jedem neuen Album, aber hier stimmt es sogar! VR

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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