Nach den Helden

Musik-Kolumne Die neuen Frontfrauen singen auf Deutsch und werden mit Lob überschüttet. Aber wenn sie schwermütige Songs singen, dann bitte ohne Klischees, fordert unsere Kolumnistin

Als 1993 der Musiksender Viva an den Sendestart ging, verpflichtete man sich dort, das Programm auch mit einem Anteil an deutschsprachiger Musik zu bestreiten. Damals war das noch ein Kopfschütteln wert, wer sang schon auf Deutsch, ohne die peinliche Schlager- oder Volksmusikschiene zu bedienen? Mittlerweile aber hat sich deutschsprachige Musik bestens etabliert. Nach Jahren voller Bands-mit-Frontfrau wie Juli, Silbermond und Wir Sind Helden, waren es im vergangenen Jahr vor allem Tim Bendzko oder Andreas Bourani, die begeisterten. Die passen gut in die Charts, aber weniger gut in meinen Plattenschrank. Dann doch lieber mit Gisbert zu Knyphausen die Melancholie ins Knie ficken oder sich Nils Koppruchs "Caruso" zu Ohren führen. Und wo sind überhaupt die deutschsprachigen Musikerinnen, die spannend texten und singen? Fündig wird man da relativ schnell, aber richtig überzeugen können nicht alle.

Da gibt es zum Beispiel Toni Kater, die 2006 beim Bundesvision Song Contest mit „Liebe ist“ auftrat. Leider gab es dafür nur den 14. Platz, obwohl der Song gar nicht sooo schlecht war. Gefiel mir auf jeden Fall besser, als das, was die 34-Jährige auf ihrem jetzt erscheinenden dritten Album abliefert.

„Sie fiel vom Himmel“ hat Kater zusammen mit Rudolph Moser von den Einstürzenden Neubauten produziert. Statt allein auf Elektro zu setzen haben die beiden sich auch an Banjo und Zither als instrumentelle Begleitung gewagt. Davon hört man allerdings nicht allzu viel, denn die Melodien wirken eher belanglos, fast einfallslos.

Dazu hat Toni Kater Texte geschrieben, die Tiefsinnigkeit und Melancholie widerspiegeln sollen, sich aber leider viel zu stark an Klischees orientieren. Schade, denn es ist sechs Jahre her, dass die – durchaus talentierte – Songwriterin ein Album veröffentlicht hat und es braucht Frauen ihrer Sorte, die sich mit Jungsnamen, Strubbelfrisur und ungeschminkt ihrem Publikum präsentieren. Vielleicht liegt mein Missfallen auch daran, dass Kater aus dem Umfeld von 2Raumwohnung stammt. Von denen wurde die Wahl-Berlinerin entdeckt und auch das Debütalbum „Gegen die Zeit“ produziert. Ihr Stil scheint aber im Mainstream angekommen. Der Song „Fuchslied“ wurde für die Werbekampagne eines Automobilkonzerns ausgewählt. Besteht als die Hoffnung, dass Toni Kater mit ihrer Musik vorerst über die Runden kommt und uns dann vielleicht mit dem nächsten Album positiver überrascht.

Die richtige Mir-doch-egal-Attitüde legt auch die Hamburgerin Cäthe an den Tag. Vor zwei Jahren trat sie verstärkt in kleinen Clubs auf, ich sah sie beim Reeperbahnfestival und wurde doch mehrfach von ihr vertröstet, ein Album sei in Planung. Das erschien nun endlich im Mai vergangenen Jahres und seitdem erobert sich Cäthe beständig ein größeres Publikum. Unter anderem mit diesem Auftritt bei Inas Nacht:

Cäthes Markenzeichen ist ihre rauchig-röhrende Stimme, die gleichermaßen zu ruhigen wie auch rockigen Nummern funktioniert. Auf Deutsch schreibt die Musikerin weil sie sich so besser ausdrücken könne, sagt sie. Ihre bockige Attitüde, die auf „Ich muss gar nichts“ an allen Ecken und Enden durchschimmert und sich auch in ihrer Konsequenz, von ihrer Musik leben zu können, zeigt, schien fast dem Sex-Sells-Etikett zum Opfer zu fallen als Cäthe vor ihrem Debüt die EP „Señorita“ veröffentlichte. Im zugehörigen Video-Clip räkelte sich die Musikerin gewöhnungsbedürftig in Unterwäsche und mit rotem Schmollmund. Das Blog Lie in the Sounds lästerte berechtigterweise „Was die Singer-Songwriterin Cäthe hier in Form der EP Señorita auftischt, wäre eigentlich lobende Anerkennung wert. Doch das schmuddelige Video zum Lied Señorita paart den Charme heruntergekommener Mietshäuser mit körperlichen Verrenkungen, die man gemeinhin eher in einem Tabledance-Schuppen verorten würde.“

Ebenfalls seit einiger Zeit auf Hamburger Bühnen unterwegs, ist Naima Husseini. Erst trat sie unter dem Namen „Silvester“ auf, der häufig von Plakaten für Newcomer-Shows lächelte, dann kam lange Zeit nichts. Kein Wunder, Husseini zog sich zurück, wog Songs und Album-Veröffentlichung immer wieder aufs Neue ab und veröffentlichte schließlich vergangenen Oktober ihr Debüt unter ihrem eigentlichen Namen Naima Husseini. Darauf auch der Song „Ohne Dich“, den die Musikerin schon zwei Jahre zuvor bei TV Noir erprobt hatte.

Die Dame, die da so eifrig mit ins Mikro singt, ist übrigens Valeska Steiner, eine Hälfte des Duos Boy, das ich an dieser Stelle schon mal wärmstens empfohlen habe.
Husseinis Debüt empfahl Spiegel Online als „eines des bemerkenswertesten deutschen Pop-Alben der letzten Zeit“. Gleichzeitig lobte man die Entscheidung der Musikerin, sich nicht via TV-Casting-Format verheizen zu lassen, sondern ihr eigenes Ding zu machen, selbst wenn das unter dem, übrigens gar nicht abgedroschenen, Motto ‚gut Ding will Weile haben’ läuft.

Diesen Do-it-yourself Modus lobt die FAZ auch bei der Alin Coen Band. Das Quartett aus Weimar um die Hamburgerin Alin Coen mischt ihren akustischen Pop sowohl mit Folk als auch Jazz und gehört ebenfalls zu den Bands, die schon beim Bundesvision Song Contest ihr Glück versuchten. Leider reichte es dort auch nur für einen der hinteren Plätze, aber mit der Beständigkeit, mit der Alin Coen und ihre Band auch über ihr eigenes Label ihre Musik vertreiben, haben sie sich schon eine zuverlässige Fanbase erspielt.

Neben den eigenen Konzerten spielte die Formation außerdem schon als Support für Bands wie Jakob Dylan, Philipp Poisel oder Regina Spektor. Pressestimmen wie „Umwerfend“ oder „Songs von poetischer Kraft“ sind fast schon zu euphorisch, aber die Band lohnt sich live tatsächlich.

Weniger für ihre Live-Auftritte als für ihr lyrisches Talent ist Lydia Daher bekannt. Die Berlinerin, die in Köln aufwuchs und mittlerweile in Augsburg lebt veröffentlicht nicht nur Alben sondern auch Lyrik-Bände. Ihr Konzert vor zwei Jahren im Hamburger Beatlemania war leider nicht sonderlich berauschend. Daher schien wenig mit dem Publikum kommunizieren zu können und auch ihre Songs strahlten weniger als auf ihren beiden bisher veröffentlichten Platten. Mir ist auch ihre Betroffenheits-Attitüde zu leidend und schwierig. Die 31-Jährige hat Soziologie, Psychologie und Medienpädagogik studiert und tritt auch als Spoken Word Poetin bei Poetry Slams auf. Vielleicht überzeugt sie dort mehr mit ihrer Kunst. Ihr selbstbetiteltes Debüt, das 2007 erschien, soll allerdings wirklich sehr schön sein. Die SZ schrieb: Mit großem Sprachwitz stellt Daher immer wieder Allgemeingültigkeiten pointiert in Frage. Lydia Daher ist keine musizierende Dichterin, sondern eine Musikerin, die nebenbei auch noch eine erfolgreiche Poetin ist.


Im Gespräch mit der ZEIT sprach Lydia Daher 2008 über ihre Gedichte und das wiederkehrende Motiv der Sinnlosigkeit in ihnen: „Es ist halt sehr schwierig, diese Thematik zu behandeln und gleichzeitig so etwas wie Haltung oder Rückgrat zu vermitteln. Aber wenn es gelingt, dann kann ein Gedicht eine Niederlage vielleicht in eine Art Befreiung verwandeln, weil es etwas ausspricht, was viele zwar zu fühlen, aber nicht zu denken wagen“.

Es gibt aber auch zweifellos Lichtblicke am deutschsprachigen Popfrauen-Himmel. Egal, ob es der mitreißende Electro-Clash von Großstadtgeflüster ist oder die von Element of Crime Kopf Sven Regener produzierten Songs von Meike Rosa Vogel. Und dann gibt es noch die drei Berlinerinnen von Laing, die ihre Musik als Electric Ladysound beschreiben und uns mit „Morgens immer müde“ tanzbar in den Tag zwingen. Ganz schön wach!

Verena Reygers schreibt in dieser Kolumne über Genderthemen in der Musikbranche. Sie kolumniert immer mittwochs im Wechsel mit Katrin Rönicke, die sich mit Gender- und Bildungsthemen befasst.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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