Nur für Erwachsene

Musik-Kolumne Die Fünfziger Jahre der US-Popkultur gelten als Rückschritt gegenüber frivoleren Zeiten. Ein Sampler erinnert jetzt an die singenden Screwball-Ladies von Mae West bis Peggy Lee

Mae West ist schuld. Weil sie in ihren Filmen die gängigen Moralvorstellungen überschritt, wurde in Hollywood die verpflichtende Selbstzensur eingeführt. Kein Sex, keine Gewalt, keine Drogen – zumindest nicht offiziell. Denn wie schon die Prohibition den Alkoholkonsum nicht austrocknen konnte, umgingen die Filmemacher der Dreißiger Jahre die rigiden Zensur-Beschränkungen subversiv: Mit der Screwball-Komödie. Beziehungskomödien, in denen Wortwitz, fetzige Dialoge und intelligente Frauen die Hauptrollen spielten. Frauen, die emanzipiert und unverblümt auftraten. Es heißt gar, die weibliche Hauptperson agiere dem Mann überlegen.

Da der Ton- den Stummfilm gerade erst abgelöst hatte, gab die Leinwand den weiblichen Worten ordentlich Pfeffer. Und da die meisten Schauspielerinnen ihre Karrieren auch als Sängerinnen und umgekehrt bedienten, sind die Screwball-Ladies auch als Songinterpretinnen ein Ohr wert. Und ein Lachen. Denn dass Frauen Contenance bewahren sollten und keinesfalls Grimassen schneiden durften, um ihr komisches Talent zu unterstreichen, dem widersprach Betty Hutton nicht nur mit diesem Song.

An Künstlerinnen wie Betty Hutton und andere Screwball-Interpretinnen der 30er bis 50er Jahre erinnert jetzt der Sampler Head Over High Heels. Renate Heilmeier hat unabhängige Künstlerinnen wie Peggy Lee und die Andrews Sisters mit Diven wie Marlene Dietrich und Ginger Rogers oder Sex-Bomben wie Marilyn Monroe und Mamie van Doren zusammengestellt.

Natürlich singt auch Mae West über „A Guy What Takes His Time“. Und sogar Doris Day, deren Stern erst in den prüden Komödien der späten Fünfziger so richtig strahlte, hat ihren Platz zwischen so viel Stärke und Glamour gefunden.

Denn auch wenn Day in der Rolle des braven Hausmütterchen lächelte, im realen Leben galt sie als politisch aktive und streitbare Frau. Das biedere Image kam erst in den späten fünfziger Jahren, und Renate Heilmeier zitiert den Pianisten Oscar Levant, der über Day gesagt haben soll: „Ich kannte sie, bevor sie Jungfrau wurde.“

Im Film hatten Frauen etwas zu sagen

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg war die Emanzipation auf der Leinwand oft weiter fortgeschritten als im realen Leben. Aber immerhin, schreibt Heilmeier, hätte die gesellschaftliche Wirklichkeit somit ein Vorbild an „klugen Streiterinnen“ gehabt, „die sich nichts gefallen ließen und sich nahmen, was sie wollten“. Im Film hatten Frauen auch mal etwas zu sagen – und wenn es bloß bis zum Abspann war.

Man kann den Screwball-Komödien vorwerfen, die Frauen dort hätten doch auch nichts Besseres zu tun gehabt, als den Mann ihres Herzens vom Platz an ihrer Seite zu überzeugen. Auch der Medienwissenschaftler Hans J. Wulff schreibt, die weibliche Hauptfigur treibe die Handlung mit dem Ziel voran, die „romantische Bindung zwischen ihr und dem nichts ahnenden männlichen Helden“ herzustellen. Dass sie dies aber mit Intelligenz, Selbstbewusstsein und hintersinnigem Humor taten, ist etwas, das heute auf Pro Sieben oder Sat 1 immer weniger stattfindet. Nicht zu vergessen die sexuellen Anspielungen, die sehr indirekt waren, um der Zensur zu entgehen, die auch für das Radio galt.

Dass Songtitel wie „Burn My Candle“ von Shirley Bassey oder „Make yourself Comfortable“ von Peggy King dahingehend missverstanden werden konnten, kann ich mir kaum vorstellen. Genauso wenig wie dieser Song:



Gut, dass Pearl Bailey für die Single „You can replaced“ schon einen entsprechend als Warnung zu verstehenden Albumtitel gewählt hatte: Der Song erschien 1957 auf „Pearl Bailey sings for Adults Only“. Oder Sophie Tucker, die mit dem eher harmlosen „What’ll You Do“ auf dem Sampler vertreten ist, aber auch mit Songs wie „I don’t want to get thin“ auf gängige Schönheitsideale pfiff.

Tatsächlich waren die meisten Sängerinnen bloß Interpretinnen. Aber wie die Screwball-Komödien die Möglichkeit einer eigenständigen Figur für weibliche Charaktere bot, erlangten auch Musikerinnen wie Peggy Lee oder die Boswell Sisters künstlerische Unabhängigkeit. Die Schwestern, von denen eine im Rollstuhl saß, hatten die Entscheidungsfreiheit, die Songs ihrem Geschmack entsprechend zu verändern.



Von Peggy Lee stammt übrigens auch dieser Song.

Im Guardian schrieb die Schriftstellerin A.L. Kennedy 2008, dass es Frauen in diesem Genre erlaubt war, ihren Verrücktheiten freien Lauf zu lassen. Sie waren außergewöhnlich, weil sie mit Witz und Selbstironie all ihre Talente ausspielen konnten.

Allerdings blieb ihnen nur dieses kurze Zeitfenster bis in die 50er Jahre, bevor züchtige Rocklängen und ein distinguiertes Auftreten die Dame von Welt auszeichneten. Und bevor Frauen wie Doris Day wieder „Jungfrau“ wurden. Wovon sich gewisse „böse Mädchen“ aber nicht verunsichern ließen.



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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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