Paint it rock

Musik-Kolumne Nur mit Stimme und Gitarre: Die Britin Anna Calvi verzaubert Fans und Journalisten mit ihren Pop-Rock-Songs. Sie braucht weder Glamour noch Skandale – denn sie ist echt

Flächendeckend überzeugt hat in diesem noch jungen Jahr Anna Calvi. Die Britin, die die BBC vor einigen Wochen auf ihre Newcomer-Liste 2011 setzte , hat auch in Deutschland so viel wohlwollende Presse geerntet, dass sich der Zeitungsstapel bei ihr bis unter die Decke türmen könnte. Wie gut, dass es das papiersparende Internet gibt.

Mit ihrem dramatisch galoppierenden Cover von Edith Piafs „Jezebel“ ergriff Anna Calvi vergangenen November auch das deutsche Publikum, als sie im Vorprogramm von Nick Caves Side-Projekt Grinderman auftrat. Am 14. Januar nun folgte die Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debüts, das unter anderem "Album der Woche" bei Radiosendern wie Byte FM oder Radio Eins wurde.

In dem Zusammenhang fällt auch der schöne Satz mit dem Brian Eno die 28-Jährige empfiehlt: „She’s going to be the biggest thing since Patti Smith.“ Na, der muss es wissen, schließlich hat Eno als Mitbegründer von Roxy Music Musikgeschichte geschrieben. Eno gilt als Calvis Entdecker, nachdem diese ihre Songs anfangs in einem dunklen Kellerstudio aufnahm, ohne auch nur ansatzweise einen Plattenvertrag in greifbarer Nähe zu wittern. Dank Eno aber folgte der Deal umgehend.

Aber, wie Anna Calvi mir im Interview erzählte, sie hätte diese Platte auch produziert, ohne die Chance, sie je zu veröffentlichen. Im echten Leben, ohne Gitarre und Bühne ist die Musikerin eine eher zurückhaltende Person, sehr klein und zierlich und auch wenn ihre Körpergröße nicht ungewöhnlich ist für Showbizler, dass sie eine derart starke Energie auf der Bühne verbreitet, ist schier unglaublich. Für Anna Calvi ist das kein Widerspruch: "Auf der Bühne kommt eine Seite von mir zum Vorschein, die im Alltag zu zeigen mir eher schwer fällt. Mit der Musik aber gelingt mir das und ich fühle mich dann auch absolut wohl damit."

Dass derzeit keine andere junge Musikerin so klingt wie Anna Calvi sagt Eric Pfeil in der FAZ, die "Anna Calvi" ebenfalls zu Platte der Woche erkoren hatte. Auch wenn Pfeil manches „nervtötend“, „gespreizt“ oder „überdehnt“ findet, so ist er doch erfreut, mal etwas anderes als Retro-Soul von einer englischen Nachwuchsmusikerin zu hören. Und ganz besonders gut gefällt ihm ein „echter Song“ wie "Blackout":

"Blackout" sang Calvi übrigens auch bei ihrem Auftritt in „One Shot Not“ bei arte, zusammen mit der, ebenfalls von Pfeil sehr gelobten Begleitband aus Mally Harpaz und Daniel Maiden-Wood.

Obwohl Calvi als Solokünstlerin zu verstehen ist, sind ihre beiden Mitmusiker ein enorm wichtiger Einfluss für die Musik – nicht nur live, sondern auch im Studio. Unter das Motto „Die schwarze Seite der Gefühle“ stellt die taz ihre Besprechung von „Anna Calvi“. Zwar schaffe die Musikerin mit ihrem von Klassik und Blues durchkreuzten Pop, den sie ausgiebig mit den Zutaten Noir,Wave und David Lynch gewürzt hat, nichts ultimativ Neues, aber sie sei trotzdem mehr als eine Kopie, schreibt die taz. Und genauer: „Dieses Debüt einer jungen Engländerin, die nicht auf Plastikglamour setzt, nicht auf Verwandlung, Jugendkultur und Hipness, sondern auf vermeintliche Zeitlosigkeit, schafft es, etwas durch und durch Produziertes, Künstliches irgendwie echt klingen zu lassen und umgekehrt.“

Dem Gegenspiel von Künstlichkeit und Authentizität setzt Zeit Online einen weniger gelungenes Begriffspaar entgegen. Von dem „Zusammenspiel zwischen Vamp und Walküre“ ist das die Rede. Noch besser: Die 28-Jährige wird mal locker als „Küken“ bezeichnet. Einem Jimi Hendrix würde so etwas nicht passieren, und der wurde nur 27.

Apropos Hendrix, den Gitarrenvirtuosen zählt Anna Calvi genauso zu ihren Vorbildern wie Django Reinhardt. Überhaupt, das Gitarrespielen stand bei Calvi jahrelang an oberster Stelle, bevor sie auch den Gesang für sich entdeckte. "Gitarre zu spielen ist sehr wichtig für mich, das Instrument ist wie ein Teil von mir. Mit der Gitarre erschaffe ich mir meine Welt und ich finde es spannend, mit dem Instrument das auszudrücken, was die Worte für die Songs sind. Manchmal will ich sogar, dass die Gitarre wie eine Stimme ist."

Ein weiteres lesenswertes Interview mit Anna Calvi gibt es bei motor.de. Und wer auch in Zukunft über die vielversprechende Nachwuchskünstlerin im Bilde bleiben will, der kann Anna Calvi via Twitter folgen.

Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf maedchenmannschaft.net und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt: Viva la VJane

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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