Reden wir. Backstage!

Musik-Kolumne Unsere Kolumnistin Verena Reygers schreibt seit 15 Jahren über Musik und wünscht sich mehr Frauen in den Redaktionen der Musikmagazine. Und so sollten sie sich wappnen

„Nein, ich stehe nicht für Backstage-Sex an sondern bin wegen des Interviews hier“; so einen Satz musste ich zwar nie sagen, aber es schadet sicherlich nicht, sich als Musikjournalistin eine schusssichere Ausrüstung zuzulegen, die aus mehr als einer prall gefüllten ITunes-Bibliothek beteht. Schaut man ins Impressum von Musikmagazinen sieht man vor allem: Männer. Egal, wie viele Mädchen sich fachmännisch in Plattenläden, auf Konzerten und im Internet herumtreiben, im Musikjournalismus treffe ich sie selten.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Missy-Herausgeberin und Popfeministin Sonja Eismann arbeitete als Redakteurin bei der Intro, die Spex wurde vor dem aktuellen Chefredaktionswechsel von einer weiblich-männlichen Doppelspitze verantwortet und selbst das Altherren-Rockmagazin Rolling Stone hat seit gefühlten Jahrzehnten Birgit Fuss im Redaktionsteam.

Trotzdem: Es gibt so viele junge Frauen da draußen, die für Musik brennen und jede Sekunde ihrer Freizeit in die Entdeckungslust neuer Bands stecken. Was hindert sie daran, ihr Wissen zu professionalisieren und die Männerrunden aufzubrechen, in denen das Gesicht einer Praktikantin meistens nur kurz auf- und dann wieder wegfällt.

Frauen im Musikjournalismus müssen dasselbe tun, wie Musikerinnen auf der Bühne: Einfach drauflos spielen und die Buh-Rufe ausblenden. Es gibt sie, die Männercliquen, aber man kann sie durchbrechen, wenn man das Mitmachen einfordert. Das klappt vielleicht nicht mit dem ersten zögernden Fingerzeig aber mit konsequenter Hartnäckigkeit. Und auch dann ist es noch kein Wunschkonzert....

Joan Baez oder Bob Dylan?

Es bedarf großer Portionen Selbstbewusstseins, um all den Thesen standzuhalten, die einem Musiknerds für gewöhnlich um die Ohren hauen. Ich weiß nicht, wie oft ich mit Männern in zwangloser Runde zusammen saß und sie mir mit unerschütterlicher Selbstverständlichkeit beim Thema Musik ein E für ein U vormachen wollten. Ohne auch nur ansatzweise zu denken, ich könnte womöglich selber Ahnung haben. KFZ-Mechanikerinnen und Ingenieurinnen ergeht es wahrscheinlich ähnlich. Besonders lustig war der Wortwechsel mit dem Kumpel eines Freundes, der mir mit weltmännischer Miene erklärte: „Naja, ich weiß ja nicht, ob du die intro kennst, das ist ein Musikmagazin für Leute, die schon Ahnung von Popkultur haben“. Ich antwortete: „Doch, ich schreibe für die“.

Überhaupt, die Sache mit dem Nerdwissen. Referenzen sind eine unglaublich wichtige Sache im Musikjournalismus: Die Passage klingt wie XY, die Textzeile ist ein versteckter Hinweis auf diesen oder jenen Song. Auch ohne sein Gehalt von der Popdiskurs-Bibel Spex zu beziehen, sind Referenzen für Musikjournalisten das, was Sonnenbrillen für die Blues Brothers sind. Verdammt cooler Shit. Aber Musik ist ein so weites Feld, wie kann da der Rock’n Roller dem HipHop-Fan vorwerfen, er habe keine Ahnung, was gute Musik sei? Frau braucht nicht jede Note der Beatles zu kennen oder seitenweise Bob Dylan Texte rezitieren können, wenn nicht fünf Pilzköpfe sondern Joni Mitchell, Madonna und PJ Harvey ihre Musiksozialisation begleitet haben.

Denn wer sagt, dass eine Joan Baez weniger Berechtigung hat als ein Bob Dylan? Dass John Lennon der Held und Yoko Ono die Hexe ist. Die eigenen Hörgewohnheiten und Fanvergangenheiten haben genauso ihre Berechtigung wie der sich zu Tode langweilende Musikkanon alter Schule, der neben den Beatles, den Stones und David Bowie keine anderen Götter auf dem Titel duldet. Das heißt nicht, dass ein Mädchenzimmer voller Boygroupposter eine gute Investition in die musikjournalistische Zukunft ist, es heißt, dass frau die Musik hören und mögen sollte, die sie sich aussucht und nicht die, mit der sie bei den männlichen Musiknerds Eindruck schinden kann. Bowie sollte man natürlich trotzdem hören.

Klüngelt mehr!

Außerdem: Die Texte der Kolleginnen lesen und sie verbreiten oder in den eigenen Arbeiten auf sie verweisen. Mädels, klüngelt mehr und bleibt damit bloß nicht unter euch! Klar, die Riot Grrrls mit ihren Zines und Ladyfesten sind eine super Errungenschaft, auf die wir auch heute nicht verzichten wollen. Aber mischt euch unter die Jungs und lasst auch die Jungs mitmischen. So wie die Grether-Schwestern, welche die Besetzung ihrer aktuellen Band Doctorella nicht allein auf Pussy Power beschränken. Denn wie können sich die Namen im Impressum der Musikmagazine ändern, wenn die Frauen in der Musikjournaille zu wenig Präsenz und Meinung zeigen?

Und wenn wir schließlich so weit gekommen sind, schleicht sich von hinten doch noch der K.O.- Schlag namens Kritik an. Denn es wir immer jemanden geben, der mit unserer Arbeit unzufrieden ist. Ob berechtigt oder nicht, nehmt Kritik ernst, aber erschießt euch nicht ihretwegen. Und das gilt nur für die Kritik des Auftraggebers, nicht für die irgendwelcher Leser oder User, die meinen, bloß weil ihr eine Frau seid, könne man euch im höheren Bogen ans Bein pinkeln. Ignoranz erleichtert das Leben ungemein. Vor allem, wenn man gerade nur noch Ohren für die neueste Single der aktuellen Lieblingsband hat.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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