Sie will es doch auch

Sex Feministische Pornos helfen, Lust neu zu denken. Klassischer Macho-Hardcore muss aber nicht böse sein
Ausgabe 14/2019

Als die Porno-Regisseurin Erika Lust Mitte Februar in Berlin über ihre Arbeit sprach, tat sie das nicht wie zu erwarten beim alljährlichen „Feminist Porn Award“, sondern im Rahmen der Berlinale. Unter dem Motto „Reinventing Porn“ stellte Lust ihre Reihe XConfessions vor, ein Projekt, das anonym mitgeteilte Fantasien von Frauen in Pornokurzfilme übersetzt. Das Konzept ist nicht neu – seit 2013 produziert die 42-jährige Wahlspanierin die Serie. Die Idee dient nicht nur dem Zweck, aus den erotischen Vorlagen anderer Kapital zu schlagen, sondern auch Lusts selbsterklärtem Ziel: Die Pornobranche zu revolutionieren. Je mehr Frauen ihr Begehren erkennen, definieren und mitteilen, desto freier können sie ihre Sexualität leben, so der Anspruch.

Auch mal Kontrolle abgeben

Bloß: Wie frei ist dieses Begehren tatsächlich? Was sagt eine Reihe mit dem Namen „Confessions“ über die selbstverständlich artikulierte Lust von Frauen aus? Impliziert ein „Bekenntnis“ oder gar eine „Beichte“ nicht das Gefühl von Scham? Der Auftritt einer Pornoproduzentin im seriösen Berlinale-Rahmen ändert an der Tabuisierung des weiblichen Begehrens wenig. Wäre es so selbstverständlich, müsste nicht ständig Erika Lust als Beweis dafür herhalten und die ewig gleichen Mantren herunterbeten. Etwa wie wichtig es ist, ein Gegengewicht zur männerdominierten Pornobranche zu etablieren, in der Frauen nicht nur Erfüllungsgehilfinnen seines Begehrens sind. Oder wie notwendig ein Setting ist, das Körpernormen aufbricht und Diversität betont.

Dass ausgerechnet Erika Lust das Prädikat „feministische Pornografie“ so erfolgreich vertreiben kann, liegt daran, dass sie ein heterosexuelles Publikum bedient, dessen sexuelle Berührungsängste immer noch hoch zu sein scheinen. Ganz anders als queerfeministische Pornomacher*innen wie Tristan Taormino, Candida Royalle, Mia Engberg oder Jennifer Lyon Bell. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn was in der sexpositiven Queerszene selbstverständlich ist, ist im heterosexuellen Kontext noch die Ausnahme: Das Selbstbewusstsein, weibliches Begehren nicht zu mystifizieren, sondern einfach in all seinen Facetten auszuleben – und mehr noch, es unabhängig vom Mann zu denken.

Dass das durchaus auch ein Problem für lustvoll aufgeklärte Heterofrauen ist, hat die Autorin Anna Gien Anfang des Jahres in einem Essay für die Zeit beschrieben. Ihr Text beginnt mit dem „Bekenntnis“ der Autorin, sich am zuverlässigsten an einer Hardcoreszene aufzugeilen, in der die Darstellerin sich von Pornostar Rocco Siffredi aggressiv von hinten nehmen lässt, bevor er ihren Kopf in eine Kloschüssel drückt und ihr anschließend den obligatorischen Cumshot ins derangierte Gesicht schlotzt. Weder Gien noch ihre Heterofreundinnen, die sie im Zuge der Recherchen konsultierte, konsumieren feministische Pornografie, weil sie keine zuverlässigen Orgasmusgaranten seien. Das führt die Autorin schließlich zu der Frage, ob ihre Lust nur dann funktioniert, wenn sie sich in die althergebrachte Vorstellung des Objekts hineindenkt, sprich: Frau will, dass er sie will. Das hinterlässt in Zeiten von #metoo kein gutes Gefühl.

Und genau das ist das Problem: Giens Verwirrung darüber, von einer Szene angetörnt zu sein, die sich mit ihrem feministischen Selbstverständnis nicht verträgt, ist ein Beispiel dafür, wie wenig facettenreich weibliche Lust gedacht wird. Entweder als vermeintlich empowerndes Äquivalent zum männlich definierten Sex, des Sich- Nehmens was man will, oder als Weichzeichnerfantasie, die keine Explizitheit verträgt und verschämt „bekennt“. Wo aber ist der Platz für Vielfalt – für Fantasien und Perversionen, die keinen Rückschlüssen auf unsere real verhandelte Sexualität standhalten müssen? Weder in Giens Essay noch in Lusts Filmen geht es um Sex, es geht um Wichsvorlagen. Um Wichsvorlagen, die Frauen nach Lust und Laune konsumieren können, um es sich wann auch immer und wie auch immer zu besorgen. Fantasien, die weder beurteilt noch zensiert gehören, sondern denen mit Experimentierfreude gefrönt werden darf. Die Vorstellung, Frauen, die zu Vergewaltigungsfantasien masturbieren, wollen real vergewaltigt werden, haben Feministinnen und Sexualtherapeut*innen schon in den 70ern widerlegt – auch wenn es bis 2017 brauchte, „nein heißt nein“ gesetzlich zu verankern. Wo bitte dürfen Frauen die Kontrolle auch mal abgeben, wenn nicht beim Sex mit sich selbst? Unterwerfungsfantasien sagen mehr über den Wunsch aus, unkompliziert zum Orgasmus gebracht zu werden als darüber, dass Frauen sich insgeheim doch ein Leben am Herd wünschen. Es sind nicht ohne Grund oft Managertypen und Karrieremacher, die von Dominas erniedrigt werden wollen. Dabei geht es um Abgabe von Kontrolle. Ein menschliches Bedürfnis, auch eins von Frauen. Das bedeutet lange nicht, dass man Frauen deswegen schlechter bezahlen, über sie bestimmen oder sie vergewaltigen darf. Manager müssen ihre Boni ja auch nicht abgeben, weil sie davon träumen, sich auspeitschen zu lassen.

Der Wunsch nach unkontrolliertem Geficktwerden widerspricht der Vorstellung, ein weiblicher Orgasmus brauche geschmackvolles Licht und ausgiebiges Vorspiel. Nein: Einfach nur geil zu sein und ein Soloquickie zur Triebabfuhr, das können Frauen auch. Der Weg in die eigene Hose ist für sie genauso kurz wie für Männer. Es ist ein sich hartnäckig haltender Sexismus, weibliches Begehren per se als mystisch, komplex und anspruchsvoll zu deklarieren. Jede Frau, die regelmäßig masturbiert, weiß, welche Knöpfe sie drücken muss – und wie schnell sie damit zum Ziel kommt.

Vieles geht, nichts muss

Sind das – wie bei Anna Gien – durch Rocco Siffredi gedrückte Knöpfe, dann sagt das viel mehr über eine Gewohnheit als über unveränderliche Vorlieben aus. Wir sind sexuelle Gewohnheitstiere, die ihre Lust-Mechanismen durch Wiederholung kultivieren. Verändern wir etwas, probieren wir eine neue Stellung, eine neue Technik aus, braucht es Zeit, den Körper darauf einzustellen. Und oft fehlt hier die Geduld, wenn es nicht zuverlässig zum Höhepunkt führt. Sich bewusst an eine andere Spielart, ein anderes visuelles Konzept heranzuführen, braucht Zeit. Natürlich ist es viel einfacher, bequemer und auch finanziell günstiger, sich wahllos durch YouPorn und Co. zu klicken, wenn frau noch fünf Minuten hat, bevor sie los muss, anstatt für Geld einen eineinhalbstündigen, feministischen Hochglanzporno zu konsumieren. Das ist in Ordnung und Privatangelegenheit. Und kein Argument dafür, Frauen überholte Rollenstereotype anzudichten.

Feministische Pornografie ist ein Angebot, heteronormative Sexualität zu überdenken – für Männer wie für Frauen. Ein „vieles geht, nichts muss.“ Entsprechend sollten wir aufhören, feministische Pornografie als reglementierten oder reglementierenden Frauenporno zu sehen, sondern als Chance, weibliche Lust zu inszenieren. Wenn eine Frau dann trotzdem Hardcore-Pornos à la Siffredi geil findet, verrät sie nicht zwingend den Feminismus. Sie ist vielleicht bloß bereit, Widersprüche auszuhalten, sich nicht zu zensieren, sondern neugierig und aufgeschlossen ihren Fantasien gegenüber zu sein. Wie diese dann genutzt werden können, unsere mit anderen gelebte Sexualität selbstbewusst und dem individuell erkundeten Begehren entsprechend zu gestalten, das ist wiederum eine völlig andere Frage.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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