Als Sarah McLachlan 1997 die "Lilith Fair Tour" ins Leben rief, tat sie dies als Reaktion auf das männlich dominierte Musik- und Tourbusiness, aber auch als Netzwerkinitiative für Musikerinnen.
Mit dem Konzept, ausschließlich Frauen auf Festival-Tournee zu schicken, traten Künstlerinnen wie Fiona Apple, Sheryl Crow, Emmylou Harris oder Juliana Hatfield in diversen US-amerikanischen und kanadischen Städten auf. Im Jahr darauf waren es noch mehr Künstlerinnen und noch mehr Auftrittsorte. Hier singen Sarah MacLachlan, Jewel, die Indigo Girls und andere Joni Mitchells Big Yellow Taxi:
Comeback nach zehn Jahren
Nach zehnjähriger Pause nun meldet sich das Festival zurück. Mit einem schier unermesslichen Aufgebot an Stars, etablierten Künstlerinnen und Geheimtipps. Carly Simon, Norah Jones, Erykah Badu oder Cat Power sind die großen Namen, Butterfly Boucher, Serena Ryder oder Jesca Hoop die kleinen.
Mir schwirrt der Kopf und bricht das Herz, dass "Lilith Fair" bisher noch nicht den Sprung über den Atlantik geschafft hat. Der sei für nächstes Jahr geplant, heißt es und derweil sorgen Europäerinnen wie Kate Nash, Katzenjammer oder Marina and the Diamonds für den transnationalen Austausch. Genauso wie diese Hamburgerin mit nigerianischen Wurzeln:
Aber trotz aller Euphorie, "Lilith Fair" ist und war nie unumstritten. Nicht nur bekamen die 90er Jahre-Sessions so abwertende Beinamen wie "Breast-fest" oder "Lesbopalooza", weil auch viele lesbische Musikerinnen auftraten, beziehungsweise ein lesbisches Publikum anzogen, auch hieß es, das Festival stelle ausschließlich weiße Singer/Songwriter-verwandte Musikerinnen auf die Bühne.
Einen Vorwurf, den auch Anne Clark alias St. Vincent im Interview mit spinner.com äußerte: Ihre Erinnerung an die Lilith-Tour der 90er Jahre seien „weiße Leute, die die Indigo Girls spielen sehen wollten“, sagt Clark und außerdem hätte das Festival die Ansicht unterstrichen, Frauen würden ausschließlich sentimentale, ernsthafte Akustik-Musik machen.
Ob sie Tegan and Sara nicht kenne, kontert Festival-Organisatorin McLachlan im Interview mit dem kanadischen Magazin Maclean’s auf Clarks Vorwürfe.
Jedem gefallen geht nicht
Das kanadische Geschwisterpaar selber betont, wie sehr ihnen die Auftritte bei "Lilith Fair" zu mehr Popularität verholfen hätten. Und – let’s face it – nach wie vor seien 90 Prozent der Künstler auf Festivals Männer. Trotz der sogenannten weiblichen Chartsoffensive in Großbritannien in den vergangenen Monaten, auch auf deutschen Festivalbühnen sehe ich unter den fett gedruckten Headlinern so gut wie keine Frauen. Und während die 368ste Tour der Rolling Stones noch immer auf ein genauso breites Medienecho trifft, wie die Ufo-Tourneen U2s, ist es merkwürdig still in der Musikpresselandschaft in Bezug auf "Lilith Fair" – und das obwohl bis Mitte August Konzerte überall in den USA und Kanada stattfinden. Und eben nicht nur mit klampfenden Akustikgitarren sondern auch mit Elektrorock und Queerpower von Bands und Musikerinnen wie The Gossip, La Roux oder Ke$ha.
Nicht nur Sarah McLachlan äußerte sich zur Kritik an "Lilith Fair", auch die Indigo Girls reagierten auf den Vorwurf, ein "weißes" Festival zu bespielen. Auf dem Musikblog Wears-The-Trousers erklärte das Duo, dass "Lilith Fair" auch Künstlerinnen wie Lhasa, Yungchen Lhamo oder Angélique Kidjo ein Forum geboten hätte, genauso wie Queen Latifah, die auch dieses Mal wieder mit dabei ist, oder der Neuseeländerin mit chinesisch-malayischen Wurzeln Bic Runga.
Als weiteren Grund, warum Lilith Fair unerlässlich ist, nennen die Indigo Girls die Vorbildfunktion für junge Frauen. Sie sollen sehen, dass Musikerinnen auf der Bühne stehen können, egal wie sie aussehen, wie alt sie sind, oder welche Art von Musik sie machen. Auch die Soul-Sängerin Mary J. Blige sieht das so: "Wenn du auf das Klassenzimmer verzichtest, lernt niemand etwas", und Jill Scott bringt es mit "Sisterhood is Power" genauso treffend auf den Punkt.
Gleichzeitig verfolgt "Lilith Fair" einen karitativen Ansatz. Von den bisher 1,5 Millionen Tickets sind zehn Millionen Dollar der Verkaufserlöse an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen gespendet worden. Rock am Ring oder Rock im Park verfolgen wohl kaum solch hehren Ziele.
Aber wie auch immer die Kritik an "Lilith Fair" gemünzt sein mag, eines hat Sarah McLachlan mittlerweile begriffen: Es gebe immer Leute, die so ein Event zu feministisch fänden oder nicht feministisch genug, zu lesbisch oder nicht lesbisch genug, zu sehr dieses, zu wenig jenes, sagt die Künstlerin, aber man könne nicht jedem gefallen. Und diese Einstellung ist für junge Musikerinnen mindestens ebenso wichtig wie ein Festival wie "Lilith Fair".
Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt von ihr erschienen: Gegen die Penis-Zensur.
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