Der Blick von der Bühne ins Publikum ist für manche Bands eine besonders ohrenbetäubende Angelegenheit. Zu Tausenden schreien da die Fans, fallen in Ohnmacht, werfen Unterwäsche und Stofftiere als Zeichen von Lust und Liebe. Aber, es sind ausnahmslos Mädchen und junge Frauen (mit 30 ist man hoffentlich zu alt für diese Art von Begeisterungsausbrüchen), die sich in Ekstase kreischen. Unvorstellbar: Der Haare raufende, hysterische Mann im Publikum, wenn Madonna sich in den Schritt greift. Homosexuelle mal ausgenommen, und die stehen wenigstens zu ihrer Begeisterung.
Warum bloß sind es immer die Mädels, deren Gekreische den Marktwert von Musikern bestimmt? Zwar stellte die Neon neulich mal wieder fest, dass Mädchen zwar schneller heulen, aber deswegen nicht emotionaler sind. Wenn ich mir aber Tränendrüsendrücker Maximilian Hecker im Vergleich zur schlagkräftigen Kelis ansehe, frage ich mich, wer hier die Heulsuse ist.
Trotzdem, es dürften die Hecker-Mädels sein, die frenetisch zusammenbrechen, wenn der zartgliedrige Musiker seine Jaulnummern anstimmt. Und der sitzt noch alleine am Klavier. Wie anstrengend wird es erst bei den diversen Boygroups? Und wann hat dieser ganze Begeisterungssturm eigentlich angefangen? Vielleicht bei dem hier?
Vielleicht aber auch schon mit Frank Sinatra oder Bing Crosby. Richtig groß war die Kreischnummer dann bei den Beatles, die bei so viel entgegen schallender Lautstärke manchmal selber nicht mehr sicher waren, ob es überhaupt noch um ihre Musik ging. Faith Korpi erzählt auf popmatters von dem Beatles-Gig 1964 in Seattle, wo George Harrison das Herausziehen und wieder Einstöpseln seines Verstärkerkabels schulterzuckend mit den Worten kommentierte: „Was für einen Unterschied macht es? Es kann uns doch eh keiner hören.“
Vermeintlich jungfräulich
Egal, ob der frühe Presley, die Beatles oder die Rolling Stones, Frauen als entspannte Zuschauerinnen sieht man bei den frühen Liveaufnahmen dieser Bands kaum. Und so manifestiert sich bereits zu Beginn der Popmusik ein idealisiertes weibliches Fanverhalten, in dem Wissen und Kenntnisse über Bands und Stile keinen Platz finden. Hauptsache, man zeigt den Boys auf der Bühne, wie süß und knackig man sie findet. Kein Wunder, dass die Plattenindustrie mit Boygroups wie New Kids on the Block und den Backstreet Boys bis hin zu Tokio Hotel oder dem jüngsten Unschuldsboy-Übel Justin Bieber für eine ständige Fortsetzung des Kreisch-Trends sorgt.
Der Nachteil dieser Bands, je lauter die Girls schreien, desto weniger nimmt die Musikpresse oder das Feuilleton sie ernst. Das gilt für Tokio Hotel genauso wie für die Boygroup-Überlebenden Robbie Williams oder Justin Timberlake. Andererseits werden Musiker und Musikerinnen just nach diesem sexyness-Faktor aufgestellt – das gilt für Männer wie für Frauen gleichermaßen. Und die anvisierte Zielgruppe ist selten volljährig, meistens sogar jenseits sexueller Erfahrung – aber extrem aufgeladen in ihrer Unschuld. Nicht umsonst müssen die Boys betonen, sie seien noch auf der Suche nach der Richtigen, tragen Keuschheitsringe oder vermarkten wie einst Britney Spears jahrelang ihre vermeintliche Jungfräulichkeit. Angesichts solcher Pseudo-Heiligkeit möchte auch ich laut schreien.
Wie geht männliches Fanverhalten?
Nicht zuletzt kommt das Geschrei bei den Jüngelchen auch als Kassengeklingel an, denn die wirtschaftliche Schubkraft weiblichen Fantums bestätigt Faith Korpi, wenn sie in ihrem Artikel den Fangirls ein großes Quantum an Markt-Macht einräumt, ja, es ihnen sogar dankt, dass Sie Stars wie Frank Sinatra, Elvis oder die Beatles ikonisiert haben. Ohne die Hingabe der Fangirls hätte es so manchen einflussreichen Protagonisten in der Geschichte des Pop nicht gegeben, meint Korpi und hat auch mal direkt rumgefragt, wie lange die Mädels sich an vorderster Front schreien sehen. Ihre liebste Antwort: „Schätzungsweise, bis er heiratet und Kinder hat oder so“. Na dann dürfte dieser Herr wohl jetzt ein paar Fans weniger haben, wenn man dem Gossip um die am Wochenende stattgefundene Hochzeit glauben darf.
Dabei kann Fansein so viel mehr bedeuten. Auch für Frauen. Wer es nicht glaubt, sollte mal einen Blick in Kerstin Grethers Buch „Zungenkuss“ werfen. Dort bschreibt die Pop-Journalistin über ihre Musiksozialisation, in der Fantum groß, aber nicht laut geschrieben wird. In der Rezension auf satt.org schreibt Christina Mohr: „Nick Hornby hat in seinen mittlerweile zu Klassikern avancierten Romanen wie „High Fidelity“ den typischen Popfan für alle Zeiten als nicht-altern-wollenden, meistens weißen, männlichen Nerd charakterisiert. […] Wer wissen will ‚what it feels like for a girl’ muss schon etwas genauer hinsehen, sich auf die Suche begeben.“ Und wo es schon angesprochen wird, dann doch noch ein letzter Blick auf männliches Fanverhalten, das auch mal jenseits von cool und unaufgeregt agieren darf – und über Fußball haben wir hier noch nicht mal gesprochen.
Verena Reygers, Jg. 1976, bloggt auf maedchenmannschaft.net und schreibt als freie Journalistin über Bands, Konzerte und neue Platten. Sie findet, Mädchen sollten wild und gefährlich leben, solange sie stets ein buntes Pflaster in der Tasche haben. Auf freitag.de schreibt sie in einer zweiwöchentlichen Kolumne über Frauen und Musik. Zuletzt von ihr erschienen: Bikini olé
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