Mitt Romney? „Das macht mich nicht glücklich“, sagt Jorge Landivar. „Aber immerhin werde ich auch nicht mehr jeden Tag zum Himmel schreien.“ Der 29-jährige Texaner sitzt in Jeans, rotem Polohemd und mit einem Cowboyhut auf dem Kopf im Block seiner Delegation links vom Podium des Tampa Bay Times Forum und erklärt sehr ernsthaft und freundlich, warum der Präsidentschaftskandidat der Republikaner eigentlich zu liberal ist.
Landivars Mann ist Ron Paul, der libertäre Außenseiter, der das Billionen-Dollar-Loch im US-Haushalt in nur zwei Jahren stopfen und dafür die halbe Regierung abschaffen will – der Abgeordnete aus Texas, den sie den Mentor der Tea Party Bewegung nennen. Ihm fühlt sich Landivar als Delegierter auf dem Parteitag der Republikaner verpflichtet, und es regt ihn auf, dass der Mann dort keine faire Chance bekommen hat. Aber sei’s drum. Alles immer noch besser als das tägliche Grauen: „Obama ist schrecklich“, sagt Landivar mit Inbrunst. „Er ist einfach nur schrecklich.“
So also ist die Lage. Die Republikaner haben einen ungelenken und ungeliebten Kandidaten, dem die dreitägige, vom Sturm „Isaac“ durcheinandergewirbelte Krönungsmesse in Florida irgendwie Schub für das große Duell mit Präsident Barack Obama im November geben soll. Die Partei bemüht dafür ziemlich großzügig die Abteilung Pathos und stilisiert die Wahl zur „wichtigsten in der Geschichte der Nation“– so sagt es die Parteivizechefin Sharon Day in ihrer Eröffnungsrede.
Die Demokraten werden nächste Woche dasselbe Spektakel für Obama inszenieren, um dessen enttäuschte Wähler noch einmal rumzukriegen. In Deutschland erreichte der Demokrat in einer Forsa-Umfrage zuletzt 86 Prozent Zustimmung. Zuhause kann Obama davon nur träumen. Nach der neuesten Erhebung von Washington Post und ABC News liegt Romney bei 47 Prozent der Stimmen, Obama bei 46.
Der Staat als Feind
Den gut 2.000 Delegierten der Republikaner begegnet ihr Kandidat in der blau-roten Parteitagsarena zunächst nur auf den riesigen Bildschirmen – mit der nicht gerade vielschichtigen Botschaft: „Ich bin Mitt Romney. Ich glaube an Amerika. Und ich will Präsident werden.“ Die Begeisterung ist, nun ja: verhalten. Die Partei führt mit dem 65-jährigen Ex-Gouverneur von Massachusetts eine Vernunftehe. Die Leidenschaft hebt sie sich auf für einen anderen: den Vizepräsidentschaftskandidaten Paul Ryan.
Als Romney den 42-jährigen Kongressabgeordneten aus Wisconsin Mitte August benannte, herrschte allseits großes Staunen. Der Haushaltsexperte hat sich mit seinem „Ryan Budget“ als Liebling der Tea Party profiliert, als strammer Staats- und Wohlfahrts-Verächter, der den US-Haushalt ebenso radikal zusammenstreichen will wie die Steuerlast von Unternehmen und Gutverdienern. Wie passt so einer zu Romney, der bisher immer auf die Wechselwähler in der Mitte schielte?
Doch die Rechnung des Präsidentschaftskandidaten geht inzwischen anders: Was wirklich zählt, ist die Mobilisierung der konservativen Basis. Und die ist auf Krawall gebürstet, wie sich auch auf dem Parteitag zeigt: Im Streit über den Einfluss des rechten Flügels gibt es zeitweise Buhrufe und Protestgeschrei inmitten der ansonsten so prächtig inszenierten Harmonie. Romney muss dem radikalen Rand etwas bieten, und die Botschaft ist dort auch angekommen. „Dass er Ryan ausgewählt hat, war ein cleverer Schachzug, um Reagan-Republikaner wie mich auf seine Seite zu ziehen“, sagt zum Beispiel Edward Matthias, Ersatzdelegierter aus Pennsylvania, bevor er sich im Parteitagsshop die Romney-iPhone-Schutzhüllen für 40 Dollar anschaut.
Proteste nur am Stadtrand
Der Journalist Joel Achenbach formulierte es in der Washington Post so: „Ryan speist die volle Koffein-Dosis Ideologie in die Präsidentschaftskandidatur ein.“ Im Kern heißt diese Ideologie: Der Staat ist der Feind, der den Bürgern das Leben schwer macht. Drumherum drapiert sich die konservative Sehnsucht, die verhassten gesellschaftlichen Reformen der letzten Jahrzehnte irgendwie zurückzudrehen.
Das Recht auf Abtreibung? Noch vor zehn Jahren setzte sich Romney dafür ein, Frauen die Wahl zu lassen. Nun steht ein striktes Abtreibungsverbot auf der republikanischen Agenda. Homoehe? Einst eierte Romney noch herum, als es um die Rechte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ging. Jetzt will er sich für ein verfassungsrechtliches Verbot einsetzen. Klimaschutz? Als Gouverneur von Massachusetts verhandelte Romney monatelang über ein regionales Emissionshandelssystem. Jetzt lehnt er es strikt ab und zweifelt wie Ryan öffentlich am menschlichen Zutun zur globalen Erwärmung. Und so weiter: Obamas Gesundheitsreform? Widerrufen. Krankenversicherung für Senioren? Privatisieren. Steuern? Runter. Waffenrechte einschränken? Niemals.
Kurios an der Idee vom bösen, krakenhaften Staat ist nur, dass sie bisweilen schon an der nächsten Ecke endet – in diesem Fall ein paar Meter vor dem Tampa Bay Times Forum. Dort hat der verpönte Staat Barrikaden aufbauen lassen, um die Parteiveranstaltung zu schützen. „Anarchisten“ sollen Übergriffe planen. Und zur Abwehr gibt es nicht nur eine, sondern gleich drei Verteidigungslinien mit Straßensperren, Gitterzäunen, Betonbarrieren und quer gestellten Lastwagen.
Gesichert werden die Absperrungen von sechs, sieben verschiedenen Sorten Sicherheitskräften – von der normalen Polizei, die zum Teil auf Fahrrädern durch die ausgestorbenen Straßen der tropisch dampfenden Küstenstadt patrouilliert, über State Troopers, FBI, Secret Service, die Nationalgarde, Anti-Terror-Spezialisten der Critical Intervention Services und Uniformierte des Department of Homeland Security. Leise schleicht sich der Gedanke ein, der sicherheitsstaatliche Krake habe in diesem Fall tatsächlich ein paar Arme zu viel.
„Die haben sich auf einen Krieg vorbereitet“, meint jedenfalls Rick Bishop, der sich vielleicht hundert Meter vor dem ersten Kontrollpunkt ganz alleine mit einem Plakat aufgebaut hat. „You’re not welcome here!“ hält er den Republikanern entgegen: Wir wollen euch hier nicht! Ansonsten verhält sich Bishop – der sich selbst als Angehöriger der 1-Prozent-Millionärsschicht beschreibt und als glühender Obama-Fan outet – möglichst unauffällig. Der Uniformierte an der Straßenecke schaut immer mal zu ihm rüber, lässt ihn aber fürs erste dort gewähren.
Ganz im Gegensatz zu den Aktivisten von resistRNC.org und Occupy, die sich mit ihren Zelten weit ab vom Zentrum hinter dem Busbahnhof niederlassen mussten. Täglich formieren sich von dort Demonstrationen zu einer offiziell erlaubten „Protestzone“ hinter dem Kongresszentrum, wo garantiert kein Republikaner etwas von den Forderungen nach Jobs und Wohnungen oder dem Slogan „Kapitalismus ist Kannibalismus“ mitbekommt.
„Wir marschieren, und niemand merkt es“, meint Gregory Walker, ein 25-Jähriger aus Connecticut. „Das macht nicht so viel Spaß.“ Andererseits sieht er das mit dem Protest ziemlich locker, er findet das ganze politische System sowieso korrupt und absurd. Romney oder Obama? „Hey, das ist so was von egal!“, sagt Gregory. „Für mich macht das nicht den geringsten Unterschied.“
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