Der Mythos der jagenden Teufelskerle

Politiker-Interviews Welcher Politiker spricht mit welchem Journalisten und und warum? Hinter exklusiven Interviews steckt oft genug das Kalkül dessen, der sie gibt

Es gibt Interviews, für die mancher Journalist schwimmend den Ärmelkanal durchquert hätte. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zählt dazu sein Gespräch mit dem aus der Versenkung emporgezogenen Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg. Di Lorenzo musste nicht schwimmen, wohl aber drei Tage mit dem Verpönten in einem Londoner Hotelzimmer aushalten und Guttenbergs Buchbeichte mit seinem Namen adeln – alles als „Mittel zum Zweck, um das Exklusiv-Interview für die Zeit an Land zu ziehen“, wie er dem Spiegel sagte.

Das klingt irgendwie heroisch im Dienste der Öffentlichkeit und auch ein bisschen nach publizistischem Teufelskerl. Die Realität der allermeisten Politiker-Interviews ist allerdings ziemlich banal. Im Innern der großen Nachrichtenmaschine herrscht ein knallhartes Kalkül – und zwar in der Regel weniger das Kalkül des Interviewers als das des Schlagzeilenlieferanten. Was bringt mir das? Was bringt mir das jetzt? Wo bringt mir das am meisten? „Bei jedem Interview spielen die Interessen des Interviewten eine Rolle“, weiß auch di Lorenzo.

So ist es natürlich kein Zufall, dass Parteichef Philipp Rösler den FDP-Mitgliederentscheid ausgerechnet in der Bild am Sonntag voreilig für gescheitert erklärte. Der Mann wollte maximalen nachrichtlichen Wumms für seine Geschichte – auch wenn der in diesem Fall nach hinten losging –, und dafür passen für Regierung wie Opposition oft am besten Bild und BamS und vielleicht noch der Spiegel. Wer wirklich was zu verkünden hat, ruft bei Springer an oder bucht sich – wie zuletzt Kanzlerin Angela Merkel – gleich bei einer Sonntagabend-Talkshow ein.

Persönlicher Bezug

Ausnahmen sind jene, die mit einem der gängigen Massenmultiplikatoren persönliche Händel austragen. Dazu zählte im Fall des Spiegel Merkels Vorgänger Helmut Kohl, der die Jungs aus Hamburg aus gekränkter Eitelkeit zeitweise links liegen ließ. Die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (siehe Artikel links) wiederum mied nach Worten ihres ehemaligen Sprechers Klaus Vater so weit wie möglich die Bild, weil sie dort wenig zu gewinnen hatte. Stattdessen arbeitete die SPD-Frau am liebsten mit dem Berliner Korrespondenten ihres Aachener Heimatblatts. „Da gab es einen persönlichen und einen lokalen Bezug“, sagt Vater. „Der hat nie versucht, sie zu betuppen.“

Der inzwischen pensionierte Kommunikationsprofi, der auch für ein paar Wochen stellvertretender Regierungssprecher der Großen Koalition war, beschreibt die Vergabe politischer Interviews zwar als streng rationalen Prozess, als „Mechanismus mit mehreren Komponenten“. Die Pressestelle macht demnach einen Vorschlag nach den Kriterien: Wer war lange nicht mehr dran? Wer gibt sofort eine Meldung an die Nachrichtenagenturen? Wo kann man eine Äußerung loswerden, auch wenn der Nachrichtenwert nicht so bombig ist?

Aber bisweilen, auch das gibt Vater zu, fällt die Entscheidung dann doch auf der abschüssigen Bahn der Emotion. Hat die nicht auf der letzten Pressekonferenz so eine blöde Frage gestellt? War der nicht neulich im Kommentar so böse? Einige Kollegen, erklärt Vater aus der sicheren Distanz des Ruhestands, hatten bei Ulla Schmidt so gar keine Chance auf ein Interview. Und zwar nicht unbedingt wegen persönlichen Streits oder wegen der politischen Linie des Blatts. Sondern gewissermaßen aus chemischen Gründen: Die Ministerin wollte mit bestimmten Journalisten einfach nicht aus der Nähe zu tun haben.

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

Verena Schmitt-Roschmann

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