Ganz schön mittig

SPD Trotz aller Beschwichtigungen und lautstarker Bekenntnisse zu Rot-Grün: Glaubwürdig vertreten die Sozialdemokraten derzeit nur die Option Große Koalition

Flüssige Sozialdemokratie, so lautet wohl das Erfolgsrezept des Sigmar Gabriel vor der Wahl 2013. Ähnlich wie Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem „Bürgerdialog“ hat der SPD-Chef die „Menschen draußen im Lande“ entdeckt, die ihm nach Vorbild der „liquid democracy“ der Piraten bei der Erarbeitung eines Regierungsprogramms helfen sollen. Ideen liefern, Meinung sagen, Kritik üben – es klingt nach Graswurzeldemokratie, was Gabriel mit seinem „Bürger-TÜV“ plant. Und ein bisschen auch nach Verzweiflung.

Denn trotz der eklatanten Schwäche der schwarz-gelben Regierung und trotz der Selbstsuggestion von Harmonie kommt die größte Oppositionspartei in Umfragen nicht vom Fleck. Zwar hat sie sich erhoben über die 23-Prozent-Marke ihres historischen Absturzes von 2009. Aber eben nur ein wenig. Bei Werten um die 30 Prozent ist die SPD vom Ziel, stärkste Partei zu werden, ein gutes Stück entfernt. Und manchem Sozialdemokraten schwant bereits, dass das auf Dauer so bleiben könnte.

Eine Menge Lustigpillen

Die von Gabriel behauptete Fröhlichkeit bei der SPD-Vorstandsklausur in Potsdam jedenfalls lässt sich wohl nur mit einer Menge Lustigpillen über die Zeit retten. Die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP seien von ihren 49 Prozent 2009 auf 35 Prozent abgesackt, macht sich der SPD-Vorsitzende Mut. SPD und Grüne hingegen lägen bei 44 bis 45 Prozent. „Die elf Prozent runter, wir elf rauf, das, finde ich, ist eine ganz gute Grundlage“, jubelt Gabriel. Dass der Schwund im schwarz-gelben Lager ausschließlich zulasten der FDP ging und dass 45 Prozent zum Regierungswechsel nicht reichen – alles Nebensache.

Die Linke abgekanzelt, die Grünen nur widerwillig an die Hand genommen wie eine lästige kleine Schwester – glaubwürdig vertritt die SPD derzeit nur die Option Große Koalition. Auch wenn sie dies weit von sich weist. In Berlin hat sie es mit dem „linken“ Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit vorgemacht, im Saarland den „linken“ Heiko Maas ebenfalls für ein Bündnis mit der CDU in die Spur gesetzt. Die Botschaft ist klar: Wir können auch anders, wenn es für Rot-Grün nicht reicht. Inhaltlich scheint das dem Pragmatiker Gabriel ohnehin keine großen Schmerzen zu bereiten.

Zweifel an der Überlebensstrategie

Das „Jahr der fairen Löhne“ hat er ausgerufen, die Stärkung des Industriestandorts zum Ziel erklärt, die Umsetzung der Merkel‘schen Energiewende beschworen – einen freundlicheren Juniorpartner könnte sich die Kanzlerin nach ihren harten Jahren mit den moribunden Liberalen wohl kaum wünschen.
Die von Gabriel gewünschte Erschließung heimischen Potenzials gegen den beschworenen Fachkräftemangel dürfte kaum für Streit sorgen, die Erhebung einer Finanztransaktionssteuer ebensowenig. Kurzum: Mit dem, was sich die Sozialdemokraten für die Jahre nach der „neoliberalen Zeitenwende“ vorgenommen haben, dürfte die Merkel-CDU nicht die geringsten Schwierigkeiten haben.

Ob sich die Verschmelzung der Volksparteien zu einem mittigen Klumpen allerdings als erfolgreiche Überlebensstrategie sozialdemokratischer Identität erweist, ist zu bezweifeln. Die Erfahrung von 2009 belegt anderes. Vielleicht tröpfelt diese Erkenntnis ja in den nächsten Monaten über die flüssige Demokratie noch in den großen Wissenspool der Sozialdemokraten ein.

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

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