Bei allem Gestöhne über die schwarz-gelbe Koalition – gut sind die Aussichten der Opposition nicht, in einem Jahr von Angela Merkel den Chefsessel im Kanzleramt zu übernehmen. „Gegen die Union ließe sich auf Basis dieser Zahlen keine Regierung bilden“, schließt die ARD aus ihrem jüngsten Deutschlandtrend.
Das stimmt zwar nicht ganz. Denn obwohl CDU und CSU in der Umfrage mit 36 Prozent deutlich vor der SPD mit ihren 28 Prozent liegen, könnte die natürlich gemeinsam mit Grünen, Linken und Piraten die Kanzlerin ablösen. Doch fehlt der Opposition der gemeinsame Wille. Stattdessen postuliert jede Partei, was alles nicht geht – Linken-Chefin Katja Kipping und der Piraten-Vorsitzende Bernd Schlömer (siehe Interview) sind da nicht die Einzigen. Auf unübersichtlichem politischen Terrain experimentiert derzeit jeder für sich mit den vier klassischen Strategien für die Warmlaufphase vor den Wahlen.
1. Gesundbeten
„Viele Schlaumeier erzählen uns seit zwei Jahren, was passieren wird – und drei Monate später geschieht das genaue Gegenteil“, motzte Anfang Juni SPD-Chef Sigmar Gabriel im Freitag-Gespräch. Will sagen: Die Umfragen von heute verraten nichts über das Wahlergebnis von morgen – ein auch von FDP-Chef Philipp Rösler immer wieder gerne angeführtes Argument, wenn er auf das Dümpeln der Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde angesprochen wird.
Und so ist es ja auch. Die politische Landschaft in Deutschland, einst felsenfest gefügt, ist nun vergänglich wie die Sandburg in der Brandung. Nicht nur die FDP hat den Absturz erlebt von 14,6 Prozent bei der Wahl 2009 auf nur noch zwei Prozent in diesem Frühjahr. Den Grünen, die im Oktober 2010 bei 24 Prozent lagen, erging es nicht anders. Die Piraten schnellten aus dem Nichts auf elf Umfrage-Prozente – und sacken nun wieder ab.
Andererseits: Der Blick auf die Sonntagsfrage vor früheren Wahlen kann gerade die SPD nicht ermutigen. Zwar lag die Prognose von 43 Prozent für die Union vom Sommer 2008 tatsächlich falsch, und Merkel fuhr ein Jahr später nur 33,8 Prozent ein. Die 25 Prozent für die Sozialdemokraten waren allerdings 2008 auch zu rosig: Beim Urnengang selbst kamen sie 2009 mit katastrophalen 23 Prozent ins Ziel. Das Vertrauen auf Wunderheilung zum Ende der Legislaturperiode ist also nicht immer erfolgversprechend.
2. Windmachen
Deshalb empfiehlt sich, so exerziert es ja gerade Gabriel vor, zusätzlich das Steigenlassen knallbunter Testballons in der Sommerpause. Erst hatte der SPD-Vorsitzende ein Positionspapier mit scharfer Bankenschelte im Programm, anschließend hängte er sich an den Gewerkschaftsvorstoß zur Reichensteuer, um schließlich mit Unterstützung eines Papiers von Jürgen Habermas lautstark die Vergemeinschaftung von Schulden in der Euro-Zone einzufordern. Es ist der Versuch, sich irgendwie von der Regierung zu lösen – von der sich die größte Oppositionspartei in der Euro-bedrohlichen Krise dann bei nächster Gelegenheit doch wieder in die Pflicht nehmen lässt.
Dennoch sind Gabriels Vorstöße eben nicht nur Profilierung im inzwischen recht einseitigen Wettbewerb der einstigen Volksparteien. Und sie sind auch nicht nur sein Aufpolieren der Rüstung im Kampf um die Kanzlerkandidatur gegen die wackeren Knappen Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier. Vielmehr geht es hier auch um Lockvogelangebote an die politische Konkurrenz auf der Linken, die Gabriel erklärtermaßen „überflüssig“ machen will.
3. Draufhauen
So gilt auf der Oppositionsbank auch weniger die Devise: Wie kriegen wir gemeinsam einen Regierungswechsel hin? Sondern eher: Wie kriegen wir die anderen klein? Gabriel hat die rot-rot-grünen Option auf Bundesebene schon ausgeschlossen. Gleichzeitig briet er den Piraten eins über, als er sie wegen ihres Ziels eines bedingungslosen Grundeinkommens und eines freien Internets als Vertreter einer unsolidarischen Ich-Kultur brandmarkte. Nur die Grünen will die SPD nolens volens als Partner akzeptieren – und verbittet sich den Hinweis, dass 28 Prozent für die Sozialdemokraten und 13 für die Grünen noch keine rot-grüne Mehrheit ergeben.
Die Linkspartei bietet nun zwar offiziell Rot-Rot-Grün an, legt aber mit ihren „Haltelinien“ bei Hartz IV und Rente die Latte zur Sicherheit auf eine Höhe jenseits der sozialdemokratischen Sprungkraft. Die als Koalitionspartner umworbenen Grünen halten der Linken ihrerseits das rote Tuch „Schuldenbremse“ vor die Nase. „Zudem muss die Linkspartei noch klären, wie ihr Verhältnis zur DDR-Vergangenheit ist“, stichelt Parteichef Cem Özdemir. Lieber versuchen es die Grünen – wie auch die SPD – mit Sondierung in der breiigen Mitte.
4. Tuchfühlung aufnehmen
Denn auch Merkel ist ja angesichts der schwächelnden Liberalen auf Partnersuche und testet, was geht. Bei der Endlagersuche etwa – über Jahrzehnte eine unüberbrückbare Kluft zwischen Union und Rot-Grün – ist sich Merkels Emissär Peter Altmaier mit SPD-Chef Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin so gut wie einig. Nur der Widerstand an der grünen Basis in Niedersachsen verhindert bisher eine Entente.
Verschmuste Interviews wie jüngst ein Gespräch des sächsischen CDU-Politikers Steffen Flath und seiner Grünen-Kollegin Antje Hermenau in der Zeit lassen inzwischen alles möglich erscheinen. Bei der SPD wiederum egalisiert Fraktionschef Steinmeier die Profilierungsversuche des forschen Vorsitzenden – etwa indem er bis in die Wortwahl hinein die Linie der Bundesregierung zur Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Euro-Rettung übernimmt.
Und letztlich wäre das ja auch viel leichter: sich aus der Opposition heraus abwerben lassen, statt am Stuhl einer überaus beliebten Regierungschefin zu sägen, die trotz des Gedümpels der schwarz-gelben Koalition in Umfragen sagenhafte 66 Prozent Zustimmung für ihre Amtsführung absahnt.
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