Sind das jetzt die „chinesischen Verhältnisse“, vor denen der CDU-Wirtschaftsflügler Kurt Lauk gewarnt hat? Sieben Minuten fünfundvierzig Beifall. Sieben Jahre Kanzlerschaft. Und nun die siebte Wahl zur CDU-Vorsitzenden mit knapp 98 Prozent. „Mir scheint, die Merkel ist jetzt in der SED“, twittert fies der Rostocker Linken-Abgeordnete Steffen Bockhahn. „In der FDJ war sie ja schon ähnlich erfolgreich.“
Klar ist, dass sich Angela Merkel in ihrer CDU unentbehrlich gemacht hat: die Kanzlerin als personifizierte Alternativlosigkeit. Vor einem Jahr noch war das Murren und Maulen in der Partei über die Vorsitzende deutlich zu hören – wegen der so empfundenen übertriebenen Mittigkeit, symbolisiert in der Debatte über den Mindestlohn. Nun findet man einfach keine Kritiker mehr, ganz so wie bei Peer Steinbrück und seiner SPD.
Tatsächlich sind sich die Kandidaten beider großen Parteien ja frappierend ähnlich, inhaltlich sowieso, aber auch in ihrer Entrücktheit vom politischen Hinterland. Beide nehmen sich die politische Beinfreiheit, die ihnen gerade opportun erscheint im Wettbewerb um die imaginäre Mitte, und ihren Parteien bleibt nichts, als diese Dominanz stumm zu erdulden, mit eingeklappten Flügeln, bis auf weiteres. Im Wahljahr gibt es eben keine Wahl.
Ausgewogen nichtssagend
Auch Angela Merkel leistet sich keine Zweifel, die Dauervorsitzende und Dauerkanzlerin, bei der man nun manchmal das Gefühl hat, sie habe bereits auf Autopilot umgeschaltet. In ihrer einstündigen Rede vor den tausend CDU-Delegierten in der Messe Hannover referiert sie in Kurzform den Leitantrag „Starkes Deutschland. Chancen für alle!“ – ein 50-seitiges Manifest des ausgewogen Nichtssagenden.
Das ist Merkel wohl auch bewusst. Immer wieder schickt sie voraus oder hinterher, das sei nun eigentlich banal oder eine Binsenweisheit, etwa, wenn sie Sätze sagt wie: „Als Volkspartei der Mitte leben wir Freiheit in Verantwortung.“ Oder: „Auf Dauer geht es Deutschland nur gut, wenn es Europa gut geht.“ Oder: „Wir arbeiten für ein Deutschland, in dem die Menschen zusammen halten und in dem die Menschen gerne leben.“
Sie behauptet wieder, wie jüngst schon im Bundestag, die schwarz-gelbe sei die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung. Sie verweist auf die niedrigen Arbeitslosenzahlen – ohne nun eigens darauf einzugehen, dass acht Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Sie preist die Bundeswehrreform und die Energiewende – ohne zu erwähnen, dass viele in ihren eigenen Reihen gerade diese abrupten Manöver noch immer rätselnd bestaunen. All das rauscht in Merkels routiniertem Rechenschaftsbericht einfach über die Delegierten hinweg.
Kein Wort über die Grünen
Nur zwei Mal ändert die Chefin den Tonfall. Das eine ist die plötzliche Breitseite gegen den Koalitionspartner FDP, der fünf Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen dort wie auch im Bund in Existenz gefährdenden Umfrage-Tiefen dümpelt. Schon seit Wochen begleitet die CDU ein taktisch unerwünschtes schwarz-grünes Geraune. Und mitten hinein schießt Merkel den Satz, der ihr bei einer Satiresendung so richtig aus dem Herzen gesprochen habe: „Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen.“ Dann fügt sie feixend hinzu, die Nervensäge sei aber trotzdem immer noch der beste denkbare Partner. Über die Grünen verliert Merkel in ihrer ganzen Rede kein böses Wort.
Die andere Spitze setzt die Vorsitzende in der Debatte über die Frauenförderung. Im Leitantrag bekennt sich die CDU zur „Flexiquote“ – einer Selbstverpflichtung der Unternehmen, die schon bislang grandios erfolglos geblieben ist. Da erhebt Merkel die Stimme. „Meine Geduld geht zu Ende!“ Die Wirtschaft sei jetzt in Zugzwang. Eine freundliche Drohung, die sie wenig kostet, aber durchaus ankommt als Signal an die Quotenbefürworterinnen in der Partei.
Den Konservativen hat Merkel ihr Zückerchen schon vor dem Parteitag gegeben, als sie sich in einem Interview gegen das Ehegattensplitting für gleichgeschlechtliche Paare aussprach. Und auch hier wird die Botschaft gehört. „Sie ist auf die Konservativen zugegangen“, sagt der Fuldaer Delegierte Norbert Herr, der die Gleichstellung der Homo-Ehe strikt ablehnt. Merkel habe ihn überzeugt: „Bedenken, die ich einmal hatte, haben sich gelegt.“
Alles allseits offen
Es ist dieses Taktieren mit Zwischentönen, das die Partei nach zwölf Jahren Merkel so eingelullt hat. Für jeden ist etwas dabei, jeder hört, was er will. Am Ende haben die Allgemeinplätze aus dem Zitatenschatz zwischen Erhard und Adenauer ohnehin wenig zu tun mit den realpolitischen Alternativlosigkeiten. Für Merkel ist das perfekt: alles allseits offen.
Ein Dutzend Nikoläuse erinnert die CDU-Delegierten schon am Eingang der Messe an den folgenlosen Formelkompromiss vom vergangenen Jahr: 8,50 Euro Mindestlohn verlangen die Weihnachtsfrauen und -männer des Deutschen Gewerkschaftsbunds, nachdem von der damals angekündigten Lohnuntergrenze für tariflose Arbeitnehmer immer noch nichts zu sehen ist.
In diesem Jahr geht es beim Gefeilsche um Nebensätze auf dem Parteitag um die Mütterrente: Die verbesserte Anrechnung von Erziehungszeiten auch für vor 1992 geborene Kinder soll nicht nur geprüft werden, man will sie jetzt wirklich bald umsetzen, beteuert der Parteitagsbeschluss, und sagt doch nicht wie. Die Steuervorteile für gleichgeschlechtliche Paare hingegen, für die einige jüngere Bundestagsabgeordnete so erbittert gestritten haben, die will man dann doch nicht. Denn, so ruft es der Sachse Steffen Flath den Parteifreunden zu: „Gott hat uns geschaffen als Mann und Frau, und ich glaube daran, dass er sich etwas dabei gedacht hat.“
Der konservative Kern
Letztlich sind solche Parteitagsbeschlüsse kaum von Belang. Für die Mütterrente fehlt das Finanzierungskonzept. Und bei der Homo-Ehe steht ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts an, von dem auch viele in der Union einen eindeutigen Auftrag zur steuerlichen Gleichstellung erwarten. Interessant sind sie nur, wenn man sie strategisch interpretiert: als letztes konservatives Aufbäumen in einer weichgespülten Partei.
Denn das Argument der Befürworter, die Gleichstellung homosexueller Paare bringe Punkte in urban-bürgerlichen Milieus, beeindruckt die Mehrheit der Union offenbar wenig. Die ganze Debatte über den Absturz der Partei in den Städten, über die fehlende Modernität, den mangelnden Anschluss an die Realitäten der Bürger, über den nun ernst zu nehmenden Wettstreit oder mögliche Koalitionen mit den Grünen, all das kratzt bislang offenbar doch nur an der Oberfläche der selbsternannten letzten Volkspartei. Merkel hin, Beinfreiheit her: Ihren konservativen Markenkern behält die Union in ihrem Tresor. Vielleicht ist die neue Zeit ja doch nicht mehr so fern – nach der Ära der großen Vorsitzenden.
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