Trauer und Pathos

Gedenkfeier Die zentrale Gedenkfeier für die Mordopfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" war eine seltsame Inszenierung. Aber sie war dennoch eine richtige Geste

Der Staat hat versagt, die Gesellschaft hat weggeschaut, und ja, diese Inszenierung hat auch etwas Seltsames, etwas Abwegiges – all die hochmögenden Damen und Herren in Schwarz im gedämpften Licht des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt. Und doch bleibt am Ende dieser Gedenkfeier für die Mordopfer des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" bei aller Skepsis die Erkenntnis: Es war zumindest ein kleines Signal an die Angehörigen der vergessenen Opfer, eine vielleicht hilflose, aber doch richtige Geste.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat um Verzeihung gebeten für die menschenverachtende Ignoranz, mit der Ermittler bei der Mordserie gegen Migranten immer wieder die Opfer ins Zwielicht des Verdachts rückten. Sie sprach von einem nicht enden wollenden Alptraum für die hier Ausgegrenzten, die immer nur „wie normale Menschen behandelt werden“ wollten. „Niemand kann den Schmerz, den Zorn und die Zweifel ungeschehen machen“, sagte Merkel. „Aber wir alle können ihnen zeigen, sie stehen nicht länger allein mit ihrer Trauer.“ Das mag schnell wieder vergessen sein. Aber es ist doch wichtig, dass es überhaupt einmal öffentlich ausgesprochen wurde.

Unnötig naiv Merkels Frage, wer oder was die Täter geprägt haben mag, denn es liegt auf der Hand, dass die Mörder Teil dieser Gesellschaft waren und geprägt eben von dieser. Die von der Kanzlerin beschworenen Guten, die in Dresden den Neonaziaufmarsch verhinderten, die Erinnerung an die „Weltoffenheit“ Deutschlands, die den hiesigen Wohlstand begründet habe, an die Brücken in alle Welt – das war natürlich süße Soße über eine deutsche Realität, in der täglich Rassismus und Ausgrenzung ins Auge fallen, überall. Und danach noch das Bild der Kerze, die als Zeichen der Hoffnung für eine bessere Zukunft in die Welt getragen werden soll. Das war schon sehr dick angerührte Sentimentalität, natürlich.

"Wir alle gemeinsam"

Aber wäre ohne diese Veranstaltung den Opfern tatsächlich mehr geholfen? Semiya Simsek, die noch einmal voller Zorn an die Verdächtigungen gegen ihren im Jahr 2000 ermordeten Vater erinnerte, an die Demütigung, „nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein“ zu dürfen, selbst sie klammerte sich am Ende vor allem an die Hoffnung, dass alle zusammen aus der Schmach heraus irgendwie einen Neuanfang wagen. „Wir alle gemeinsam, nur das kann die Lösung sein“ – da traf sich Simseks eigene Hilflosigkeit mit der der Kanzlerin. Viel mehr als diese vage Hoffnung scheint ihr nicht geblieben.

Ismail Yozgat, der 2006 seinen 21-jährigen Sohn Halit in dessen Internetcafé sterbend in den Armen hielt, hatte dagegen drei kleine, sehr reale Wünsche an diesen Staat und diese Gesellschaft: Erstens, fasst die Mörder. Zweitens, benennt die Straße in Kassel, in der sein Sohn geboren wurde und starb, nach dem ermordeten Halit. Und drittens, lobt einen Preis aus im Namen der zehn Ermordeten. Geld vom Staat lehnte er ab. So bleiben am Ende drei kleine Prüfsteine für die Zeit, wenn das Pathos verflogen ist.

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

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