Zum Glück ist Obama schuld

USA Im Wahlkampf sprühen die Republikaner Gift und Galle gegen den US-Präsidenten. Doch Mitt Romneys Rezept für die Zukunft sieht verdammt alt aus
Ob Mitt Romney oder Paul Ryan - die Republikaner beschwören das gute, alte, großartige Amerika
Ob Mitt Romney oder Paul Ryan - die Republikaner beschwören das gute, alte, großartige Amerika

Foto: Tom Pennington/Getty Images

Die Frau im Bus auf dem Rückweg vom Republikaner-Parteitag stammt aus Kansas und hat eine Reihe unerschütterlicher Glaubenssätze. Zum Beispiel ist sie überzeugt, dass Barack Obama die USA planmäßig zugrunde richtet. Und zwar, weil er insgeheim doch Moslem ist. Christ kann er ja gar nicht sein, weil er ungeborene Babys töten lässt und sich für die Ausbreitung der Homosexualität einsetzt. Er hat sich mit den Gewerkschaften und der Ökolobby verschworen, um dem Land zu schaden, das alles steht für sie fest. Noch einmal vier Jahre – und die Vereinigten Staaten sind dem Untergang geweiht.

Das ist eine abstruse Einzelmeinung, sicher. Und schon immer gab es aus dem Mittleren Westen der USA den sehr eigenwilligen Blick auf die Welt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Farmer in Kansas vor mehr als 20 Jahren, der John F. Kennedy und Ronald Reagan in einem Atemzug als seine Lieblingspräsidenten nannte – weil in beider Amtszeit die Getreidepreise gut waren. Es gibt Leute im amerikanischen Herzland, die glauben, es gäbe keine Schießereien mehr, wenn nur jeder eine Schusswaffe bei sich trüge. Und für Europäer ist es immer billig Spaß, sich über Spinner lustig zu machen.

Der Punkt aber ist hier ein anderer: Die politische Auseinandersetzung in den USA hat eine Schärfe, eine Feindseligkeit und einen Grad persönlicher Diffamierung erreicht, den diese Demokratie nicht lange aushalten wird. Kommentatoren sprechen vom schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten. Die Demokraten machen mit. Aber die Republikaner haben es gerade drei Tage besonders krass vorgeführt: Es geht hier um eine Verteufelung des Gegners jenseits aller belastbaren Fakten. Nach Abzug der Showeffekte und der harmlosen Polemik und des sportlichen Wettbewerbs bleibt ein bitterer Sud, ein derart giftgeschwängertes Klima, dass künftig jede überparteiliche Problemlösung extrem schwierig wird.

An die Leine

Mitt Romney bemühte sich in seiner Abschlussrede Donnerstagnacht, ein wenig den schrillen Ton zu dämpfen. „Ich hätte mir gewünscht, dass Präsident Obama Erfolg gehabt hätte, denn ich will, dass Amerika Erfolg hat“, sagte der frisch gekürte Präsidentschaftskandidat staatstragend. „Der Präsident hat Amerika enttäuscht, weil er Amerika in die falsche Richtung geführt hat.“ Romney sprach sogar davon, „die politischen Gräben zu überwinden“.

Dann allerdings hätte er seine Einpeitscher vielleicht früher an die rhetorische Kette legen sollen. Die Dame aus Kansas hat sicher ihre eigene verquere Sicht – die Obama-Islam-Verschwörungstheorie vertritt in der Parteispitze der Republikaner offiziell niemand. Aber die Frau gibt daneben eben auch eins zu eins die eingetrichterten Parolen des Führungspersonals wieder.

Die Last mit der Steuer

Obama tut in der Krise zu wenig – so hat es Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan vorgegeben. Oder auch: Obama tut zu viel, mit Steuererhöhungen und der grauenhaften Gesundheitsreform – so sagt es der Hardliner Rand Paul. Und so tischt es die Delegierte aus Kansas ebenfalls wieder auf. Kleine Firmen fühlten sich erdrückt von der Abgaben- und Bürokratielast, sagt sie. Aber was genau hat Obama dazu beigetragen? Keine Ahnung.

Tatsächlich hat der Präsident fast keine nennenswerten Steuererhöhungen durchbekommen. Angehoben wurde lediglich die Tabaksteuer, Sonnenstudios zahlen eine Zusatzabgabe, und einige Schlupflöcher bei Unternehmenssteuern wurden gestopft. Nun behaupten die Republikaner, die Gesundheitsreform sei in Wirklichkeit eine „Steuererhöhung“. Und sie attackieren Obama, weil er auslaufende Steuerrabatte der Bush-Regierung nächstes Jahr nur für Einkommen unter 250.000 Dollar fortschreiben will.

Bloß nicht mehr einnehmen

Höhere Steuern soll es mit den Republikanern nie und nimmer und keinesfalls geben. Aber die 16 Billionen Dollar Staatsschulden? Sind natürlich allein Obamas Versagen. George Bushs Kriege in Afghanistan und Irak, die allein mindestens 3,2 Billionen Dollar verschlungen haben, fallen unter den Tisch. Ebenso wie die noch in seiner Amtszeit beschlossene Bankenrettung, die zusammen mit der Krise 2009 ein Loch von einer Billion Dollar in den US-Haushalt riss. Dafür knüppeln die Republikaner gegen Obamas Konjunkturprogramm – während sie gleichzeitig 23 Millionen Arbeitssuchende beklagen. Die offizielle Arbeitslosenzahl lag im August übrigens bei 12,8 Millionen.

Es sind dies nur ein paar Beispiele. Es ist nicht das erste Mal, dass im Wahlkampf an Fakten gedoktert und die Wahrheit verzwirbelt wird. Aber die Art und Weise, wie hier manipuliert und verunglimpft wird, wie dieselben Phrasen zur besten Sendezeit immer und immer wieder gedroschen werden – das hinterlässt gehöriges Unbehagen.

Ex-Präsidentschaftsbewerber Newt Gingrich wirft Obama „die Rhetorik des Klassenkampfs“ vor. „Barack Obama sagt den Leuten, sie müssen vor dem Staat auf die Knie fallen“, schmettert Rechtsaußen Mike Huckabee vom Podium. Obama gefährde die Verfassung, behauptet die Justizministerin von Florida, Pam Bondi. Und Ryan giftet: „Eure politischen Führer haben euch verraten.“ Schlimmer noch: „Barack Obama missversteht die Großartigkeit dieses Landes“, sagt Rand Paul.

Alles so wie früher

Die stetige Wiederholung schwillt an zur Selbstbeschwörung. Die Finanzmarktkrise, die Arbeitslosigkeit, der wirtschaftliche Niedergang, der Aufstieg Chinas, die Überforderung mit den aussichtslosen Kriegen in Afghanistan und Irak und der Nachhall des 11. September – vor allem die Republikaner sind von dieser strukturellen Krise der USA tief erschüttet. Doch sie reagieren nicht mit Reflektion, nicht mit Analyse und Korrektur der Auswüchse dieses Systems, sondern mit einem konservativen Reflex: Wir machen alles so wie früher, dann wird alles wieder gut.

Romneys Programm, soweit er es überhaupt preisgab, besteht vor allem aus Steuersenkungen sowie dem flächendeckenden Umpflügen Amerikas auf der Suche nach Öl, Gas und Kohle, um den Hunger nach billiger Energie zu füttern. Klimaschutz ist hier keine Kategorie. Es zählt nur Amerika und nur der Blick bis zur nächsten Ecke. Das Militär soll wieder stark werden und die Welt mit US-Interventionen beglückt. Die USA sollen sich nicht mehr entschuldigen für ihr Hegemoniestreben, so postuliert es der Kandidat, sondern sich daran wärmen, „das großartigste Land der Weltgeschichte“ zu sein. Diese Zukunft kennt man aus der Vergangenheit. Sie sieht schon heute außerordentlich alt aus.

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

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