Schutz bleibt Sache der Frau

K.-o.-Tropfen Ein Armband soll Frauen vor Vergewaltigung schützen. Wenn sie es nicht tragen, könnte es mal wieder heißen: selbst schuld
Ausgabe 35/2019
Ein gängiger Spruch unter modernen Feministinnen lautet: Männer sollten froh sein, dass wir nur Gleichberechtigung fordern – und keine Rache
Ein gängiger Spruch unter modernen Feministinnen lautet: Männer sollten froh sein, dass wir nur Gleichberechtigung fordern – und keine Rache

Foto: Imago Images/Becker&Bredel

Es ist eine bittere, tragische Realität, dass Frausein auch immer bedeutet, zu lernen, sich selbst zu schützen. Dumme Sprüche kontern lernen. Souverän auf schlecht fotografierte Pimmelbilder reagieren, die übereifrige Männer schicken. Selbstverteidigungskurse besuchen, in die man schon als Jugendliche geschickt wird, weil: Man soll sich ja wehren können.

Es gibt einen ganzen Wirtschaftszweig, der darauf ausgerichtet ist, die Wehrhaftigkeit von Frauen zu brechen. Männer geben Tausende von Euro aus, um in den Seminaren sogenannter Pick-up-Artists, die nichts anderes sind als in Philipp Plein (oder ähnliche Mode für Männer mit Geld und ohne Stil) gekleidete Vergewaltigungsapologeten, zu erlernen, wie man eine Frau dazu nötigt, mit ihnen Sex zu haben. Und falls das nicht funktioniert, gibt es immer noch den guten alten Plan B: Man überzeugt „die Schlampe“ notfalls mit ein bisschen Gamma-Hydroxybuttersäure.

GHB oder „K.-o.-Tropfen“ wirken in Kombination mit Alkohol sowohl enthemmend als auch die Urteilsfähigkeit und das Erinnerungsvermögen beeinträchtigend. Die geschmack- und geruchlose Substanz ist zudem schon nach einigen Stunden nicht mehr nachweisbar, weshalb GHB regelmäßig Verwendung als sogenannte Date-Rape-Droge findet. Seit 2012 wurden allein in Berlin 230 Fälle gemeldet, bei denen Täter ihre Opfer mit GHB betäubten. Die Organisation Weißer Ring e. V. geht von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus – viele Betroffene trauen sich nicht, die Tat anzuzeigen. In einer Gesellschaft, in der Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt werden, immer noch eine Mitschuld an dem Erlittenen attestiert wird, ist das leider wenig verwunderlich. Die Schuldumkehr kann von „Haben Sie nicht vielleicht doch einfach zu viel getrunken?“ bis hin zu „Jetzt bereut sie den Sex und schreit ‚Vergewaltigung‘ “ reichen.

Auch eine Freundin der Studentin Kim Eisenmann wurde mit der Droge betäubt. Um weitere Vorfälle wie diesen zu verhindern, hat Eisenmann zusammen mit einem Freund das Armband Xanthus entwickelt. Es funktioniert ein wenig wie ein Lackmustest für GHB: Man tupft ein paar Tropfen des Getränks auf das Testfeld des Armbands; verfärbt es sich blau, sollte man den Securitys, dem Barpersonal oder den Gastgeber*innen Bescheid geben, dass sich ein potenzieller Vergewaltiger unter den Partygästen befindet. Das Armband kann GHB erkennen, nicht jedoch andere sedierende Drogen. Dies soll jedoch bei den Nachfolgemodellen geändert werden. Xanthus gibt es inzwischen bei der Drogeriemarktkette dm zu erwerben – vier Armbänder mit je zwei Testfeldern für knappe zehn Euro.

Das ist selbstverständlich erst einmal begrüßenswert: eine weitere Möglichkeit für Frauen, sich zu schützen. Super Sache, oder? Nun können besorgte Eltern ihren Töchtern Xanthus-Armbänder zustecken, wenn diese feiern gehen.

So notwendig es ist, Mädchen zu lehren, aufzupassen, so tragisch ist es jedoch auch. Es wird eine Unmenge an Zeit, Geld und Energie investiert, um Mädchen zu lehren, nicht vergewaltigt zu werden. Ich habe einen Gegenvorschlag: Bringt Jungen bei, keine Vergewaltiger zu werden. Bläut ihnen ein, dass sie kein Recht auf einen anderen Körper haben, dass Sex ohne vorherigen Konsens ein Gewaltakt ist, dass es ihre verdammte Pflicht ist, Frauen und ihre körperliche Autonomie zu respektieren. Es sind Männer, die in die Verantwortung genommen werden sollten, Vergewaltigungen zu verhindern, nicht Frauen. Denn, wer weiß, in der Logik der Schuldumkehr könnte es womöglich bald heißen: „Selber schuld, dass sie mit GHB vergewaltigt wurde. Hätte sie mal ein Xanthus-Armband getragen.“

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