Freiheit zwischen Betonpfeilern

Stadtplanung Warum der Alltag in Irans Hauptstadt in mancherlei Hinsicht dem Leben in einer US-amerikanischen Großstadt mehr ähnelt, als man in der Ära Ahmadinedschad vermuten sollte

Der Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen am vergangenen Wochenende bestätigt europäische Befürchtungen. 30 Jahre nach der islamischen Revolution ist die Abgrenzung vom Westen noch immer grundlegend für das Selbstverständnis der Republik. Lange hat man versucht, sich von dem unter dem Schah gewonnenen Einfluss durch die USA zu distanzieren.

Die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen ruhen seit 1980, und zumindest in Teheran spürt man den Kampf, den das Land auf ideologischer Ebene führt. In der iranischen Hauptstadt bezeugen die nicht vorhandenen Filialen der großen Franchise-Unternehmen den Abbruch der ökonomischen Verbindungen, und allerorts stolpert man über die anti-amerikanischen Wandgemälde, von denen die meisten noch aus der Zeit des Iran-Irak-Krieges in den achtziger Jahren stammen.

Dabei hat sich Teheran mit seinen 14 Millionen Einwohnern jenseits der offiziellen Propaganda zu einer Stadt entwickelt, die mit ihren in die Berge und an die Wüstenränder ausfransenden Strukturen, den achtspurigen Highways, endlosen Suburbs, Hochhaussiedlungen, Shopping Malls und dem leeren Zentrum, ihren Bewohnern einen rasanten Lebensstil abverlangt. Wem diese Begriffe bekannt vorkommen: Tatsächlich weist Teheran mehr Ähnlichkeit mit Los Angeles auf als mit jeder anderen Stadt im Orient.

All-American City

Was man für das zufällige Produkt einer Planungspraxis halten könnte, die zwischen ungeordneten Siedlungen und Bodenspekulation die Waage hält, ist die Konsequenz eines Masterplans, der aus Teheran eine All-American City machen sollte. Ein Plan, der zwar wie vieles andere Amerikanische mit Ende der Revolution offiziell nicht weiter ausgeführt wurde, der aber die Gestalt und das Leben der Menschen in Teheran bis heute prägt.

Der Masterplan wurde 1968 gemeinsam von einem österreichisch-amerikanischen Stadtplaner namens Victor Gruen und dem iranischen Architekten Abdulaziz Farmanfarmian entwickelt. Er sah vor, die damals zwei Millionen Einwohner große Stadt um zehn neue Zentren zu erweitern, die bis 1990 weiteren neun Millionen Menschen Platz bieten sollten. Der Plan orientierte sich an der damals modernen Funktionstrennung von Wohnen, Schlafen und Arbeiten.

Im reichen, klimatisch angenehmen Norden Teherans wollte man Hotelanlagen und Villenvororte, im armen, an die Wüste grenzenden Süden Wohnburgen und Schulen errichten. Im sich entwickelnden Westen waren nahe dem Flughafen gigantische Neubausiedlungen mit Parks, Sportanlagen und Swimmingpools vorgesehen. Verbunden werden sollten die neuen Viertel mit den alten Stadtteilen durch Highways.

In der Mitte der Stadt sollte hingegen das Alte dem Kernstück des Neuen Platz machen: dem gigantischen Zentrum Schahrestan Pahlavi, das dem Vorbild des New Yorker Central Parks nachempfunden werden sollte. Durch die Grünanlage miteinander verbunden, schlugen die Planer vor, die großen Museen, Ministerien und wichtigen Bürogebäude hier ihren Ort finden zu lassen. Der Auftraggeber, Reza Schah Pahlavi, wollte mit diesem Plan einerseits das urbane Wachstum kontrollieren und andererseits durch eine explizit amerikanische Prägung, die einen modernen Lebensstil propagierte, dem wachsenden Einfluss der Sowjetunion Einhalt bieten. Die dritte Frau des Schahs, Farah Diba, hatte in Paris an der École des Beaux-Arts Architektur studiert. Sie gehörte wie die anderen in den fünfziger und sechziger Jahren nach ihrem Studium im Westen nach Teheran zurückgekehrten Iraner zu einer Bildungselite, die mit den avancierten Ideen des Westens vertraut war. New York war die Hauptstadt dieser Avantgarde, hier wurde zwischen MoMA und Andy Warhols Factory definiert, was hip war und wer sich zu den stilprägenden Künstlern und Architekten zählen durfte.

Letztere wurden für den Bau der bedeutenden Gebäude im neuen Teheran verpflichtet. Kenzo Tange, Mosche Safdie, Alison und Peter Smithson und ein Dutzend anderer Exponenten der Moderne sollten die experimentellen Wohnanlagen, luxuriösen Hotels, neuen Museen und Bibliotheken konzipieren, für deren Innengestaltung man Warhols und Rauschenbergs kaufte. Teheran sollte den großen Metropolen des Westens ebenwürdig sein und für den Schah zum Persepolis des 21. Jahrhunderts werden. Mit der Umsetzung des Plans wurde begonnen, die alten Strukturen der Stadt wichen den neuen, Schnellstraßen durchschnitten die alten Wohnviertel und an den Rändern der Stadt wuchsen die ersten Hochhausburgen.

Bis die Revolution 1979 kam: Die ausländischen Firmen verließen das Land, die Aufträge für die Prachtbauten wurden gestrichen. In seinen Grundzügen aber blieb der Plan das wichtigste Instrument für den Ausbau der Stadt. Das lag nicht nur am offensichtlichen Desinteresse der neuen Machthaber an Stadtplanung, sondern auch an den politischen und wirtschaftlichen Umständen. Der acht Jahre dauernde Iran-Irak-Krieg und die Flucht des gebildeten Mittelstands ins Ausland verhinderten die Entwicklung einer Alternative.

Periphere Nische

So entwickelte sich Teheran zwar weiterhin nach amerikanischem Vorbild, doch glich es sich ohne Stadtzentrum, Park und Kulturbauten nicht an die urbanen Strukturen New Yorks an. Vielmehr nahm die Stadt immer stärker den Charakter des suburbanen Los Angeles an.

Die Einführung der islamischen Ordnung, die einen radikalen Bruch zwischen privatem und öffentlichem Raum bedeutete, tat ihr Übriges. Folglich findet man heute in Teheran und Los Angeles einen öffentlichen Raum, dessen Nutzung in beiden Städten zum großen Teil dem Auto vorbehalten ist. Weil in Teheran jede private Freiheit, die in der Öffentlichkeit zu haben ist, als wertvoll gilt, verwundert es nicht, dass das Auto so beliebt geworden ist. In ihm kann man sich quasi in einem geschützten Raum durch die Stadt bewegen; Abbas Kiarostamis Film Ten, dessen einziger Schauplatz ein Pkw ist, verlieh dieser Praxis 2002 künstlerischen Ausdruck. Das automobile Leben hat in der Alltagskultur Spuren hinterlassen. Beim car flirting fahren Jugendliche langsam über die Boulevards, führen durch geöffnete Autofenster Gespräche und tauschen Handynummern aus.

Ansonsten wird das Stadtbild in Teheran von endlosen, von Mauern geschützten Einfamilienhaussiedlungen und anonymen Hochhausburgen beherrscht. Anders als in Europa wird diese Anonymität positiv betrachtet: In Ekbatan, einem gigantischen Wohnkomplex aus den siebziger Jahren, fahren Jugendliche auf Betonplateaus Skateboard und trainieren Breakdance. Alleinerziehende Mütter können hier zwischen dem 1. und dem 20. Stockwerk unbehelligt von sozialer Überwachung ihren Alltag organisieren. Die Räume zwischen den Betonpfeilern der überdachten Parkplätze und die Nischen in den endlosen Hausfluren und Treppenhäusern bieten Platz, sich zu treffen und Neuigkeiten austauschen.

Wenn in einer fernen Zukunft der amerikanische Präsident nach Teheran reisen sollte, würde er in Teheran nicht nur die Ruinen eines zweiten Persepolis vorfinden, sondern auf die Fragmente einer Kultur treffen, die ihm vertraut ist: Eine Generation junger Iraner hat sich längst ihren eigenen, persisch-interpretierten American Way of Life eingerichtet, der die starren Vorstellungen von „islamisch“ und „westlich“ hinter sich gelassen hat.

Vesta Nele Zareh lebt und arbeitet als Architektin in Berlin. Sie lehrt an der TU Berlin, wo sie derzeit am Labor für integrative Architektur forscht

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