Die Zeit hängt immer hinterher. Das fällt einem dann auf, wenn es in die Zukunft gehen soll: Die Eröffnung des neuen welthöchsten Wolkenkratzers Al Burj Anfang des Jahres in Dubai war nicht Feier wirtschaftlichen Glanzes, sondern Nachwehe krisenhaften Fortschrittsglaubens. Das Morgen eines Lebens im Klimawandel ist nicht in der Höhe zu suchen, sondern in der Breite: Statt um Luxus und Gigantismus geht es um Effizienz und Nachhaltigkeit.
Wie aber muss man sich die Stadt von morgen vorstellen? Nicht weit vom Al Burj Tower entsteht gerade ein Modellprojekt: Masdar City, autofrei und vollständig CO2-neutral. Die Stadt, die zwischen Abu Dhabi und Dubai gebaut werden soll, wurde initiiert und mit 22 Milliarden mitfinanziert von einer Firma, deren Geschäft die Erzeugung erneuerbarer Energien ist; Entwurf und Entwicklung kommen von dem britischen Architekturbüro Foster + Partner. Nach der geplanten Fertigstellung 2018 sollen in Masdar auf alternative Energien und die Produktion von umweltfreundlichen Technologien spezialisierte Firmen ihren Sitz haben: Die Stadt als Labor für die Zeit nach dem Öl. Und als ihr eigener Forschungsgegenstand, aus dessen Aufbau und Betrieb Schlüsse für künftige Stadtplanungen gezogen werden sollen.
Der Plan von Masdar reagiert auf die extremen Bedingungen der Wüste (hohe Luftfeuchte, hohe Temperaturen), indem er die Stadt innerhalb eines sechs mal sechs Kilometer großen Quadrats organisiert. Die Gebäude sollen dicht beieinander stehen, keines höher als fünf Stockwerke, um zu garantieren, dass die Straßen stark verschattet sind, die Fassaden sich nicht unnötig aufheizen; auf Fahrstühle kann so verzichtet werden. Die Gebäude orientieren sich am Hofhaus, einer Typologie, die sich im Orient über Jahrhunderte durch Erfahrungen mit Sonnenschutz entwickelt hat. Die großen Öffnungen der Häuser zeigen zu innenliegenden, begrünten privaten Höfen, während die Außenfassaden möglichst kleine Öffnungen haben.
50.000 Pendler
Masdar soll ein System aus engen Straßen haben, das zwar an die Gassen der Jerusalemer Altstadt erinnert, in seiner Organisation aber mehr Gemeinsamkeiten mit den futuristischen Straßenräumen in Blade Runner aufweist. Für Autos sind in der autofreien Stadt Parkhäuser vor den Toren der Stadt vorgesehen, die Verkehrsströme innerhalb von Masdar sollen voneinander getrennt auf drei Ebenen fließen: Ein System elektrisch betriebener Kabinen soll auf unterster Ebene den Individualverkehr ablösen, die mittlere Ebene ist für Fußgänger und Radfahrer vorgesehen, die oberste für eine elektrisch betriebene Bahn. Darüber hinaus sollen nicht nur Bauweise und Technologie in Masdar City den Energiebedarf gering halten. Ein Stromkonzept, bei dem die Kilowattstunde billiger wird, je weniger Energie die Bewohner verbrauchen, soll zu einem sparsamen Verbrauch animieren. Zur Stromerzeugung ist ein stadteigenes Solarkraftwerk vorgesehen.
Was die Energiebilanz betrifft, liest sich der Plan wie eine Vorstellung davon, was in Zukunft Gegenwart sein sollte. In seinen sozialen und politischen Dimensionen weist Masdar City dagegen in die Vergangenheit: Das Modell von der nachhaltigen Stadt lässt diese Fragen außen vor. 50.000 Einwohner sollen dort einmal arbeiten und leben, und weitere 50.000 täglich pendeln – Angestellte und billige Arbeitskräfte, die benötigt werden, um die hochtechnisierte und spezialisierte Stadt am Laufen zu halten. Diese Menschen werden mit Bussen und Autos kommen müssen, weil für sie im Experiment Masdar kein Platz vorgesehen ist. Das Pendeln in zum Teil 100 Kilometer entfernte Wohnorte wird derart zum Rattenschwanz aus CO2, den die Stadt produziert, die klimaneutral sein will.
Der Plan von Masdar City zeigt die Probleme einer nachhaltigen Stadtplanung, die zwar alles an Effizienz ausschöpft, was mit den Mitteln der Technik und des Städtebaus zu erreichen ist, aber keine Antworten darauf gibt, wie man sich die Ordnung der Gesellschaft vorstellen kann, die einmal dort entstehen soll. Dabei ist deren Organisation entscheidend bei der Herstellung nachhaltiger Strukturen.
Wohnung um 1900
Beleg für die Eindimensionalität von Masdar City ist die fehlende Flexibilität. Die vorgeschlagene Struktur sieht vor, die Stadt in unterschiedliche Sektoren zu unterteilen – zum Wohnen, Arbeiten und zur Erholung. Das seit der modernen Stadtplanung bekannte Konzept der Funktionstrennung führt allerdings – weltweit gebaut und gescheitert – besonders deutlich vor, dass es gerade nicht zu nachhaltigen Stadträumen führt. Städte, die langfristig ihre Funktionieren sichern wollen, brauchen Strukturen, die flexibel sind, um sich den wechselnden Bedürfnissen ihrer Bewohner anzupassen. Eine Paradebeispiel dafür, dass selbst ein starres System wie die aus Stein gebaute Stadt wandelnden Lebens- und Arbeitswelten Raum bieten kann, ist der Berliner Block mit seinen großzügigen Grundrissen: In einer Wohnung am Kurfürstendamm, in der um 1900 eine fünfköpfige Familie mit ihren Hausangestellten lebte, sich später eine Filmfirma einquartierte, danach eine WG die Zimmer unter sich aufteilte, finden wir heute eine Anwaltskanzlei.
Masdar City kann in den Vereinigten Arabischen Emiraten Standbein und Attraktion für die Zeit nach dem Öl werden – als Vorbild für zukunftsweisende Stadtplanung taugt die Stadt nicht. In dem Punkt unterscheidet sich die Anlage von vergangenen Modellprojekten, etwa der Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Dort wurde gleichzeitig mit bautechnischem Fortschritt die Vision eines modernen Wohnens transportiert, deren universalistischer Optimismus aus heutiger Sicht vielleicht naiv erscheinen mag, der aber neben neuer Bautechnik die Vorstellung einer neuen Gesellschaft präsentierte.
Solche Visionen, in denen nicht nur mit Technik getüftelt wird, sondern langfristig über die gesamte Gesellschaft reflektiert, fehlen heute. Was auffällt, gerade weil dem Klimawandel nicht mit einer Solar-Paneele zu begegnen ist, gerade weil Veränderung hier nicht in der Macht des Einzelnen steht. Für dieses Bewusstsein aber ist im Plan von Masdar City kein Platz. Das braucht noch Zeit.
Vesta Nele Zareh lebt und arbeitet als Architektin in Berlin. Sie lehrt an der TU Berlin, wo sie derzeit am Labor für integrative Architektur forscht
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