Das nächste große Meisterwerk

Vorfilmkritik Der Stauffenberg-Film "Valkyrie" mit Tom Cruise wird zwar noch gedreht, das Urteil über ihn steht nach Frank Schirrmachers Set-Besuchen aber schon fest

So viel frühes Lob, so viel siegesgewisse Erwartung hat in den letzten Jahren kein Film auf sich gezogen wie Bryan Singers Historienfilm Valkyrie. Eine Filmkritik, die sich um Drehbücher sonst keinen Deut schert, setzt in diesem Fall alle Hebel in Bewegung, um sich über Internet-Kanäle das Drehbuch von Christopher Quarrie und Nathan Alexander zu besorgen. Und natürlich kommt Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung im Stil eines professionellen Lektors zu dem Urteil: "Es könnte ein Meisterwerk sein." Wenige Wochen später folgt ein wahrer Trommelwirbel, den ein ungleich berühmterer medialer Meinungsmacher entfacht: "Dieser Film wird uns nicht nur eine Saison beschäftigen; er wird das Bild Stauffenbergs für Jahrzehnte und das historische Bild Deutschlands in vielen Ländern prägen." Der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher wirft sich für den Film in die Bresche wie ein PR-Manager, der auf der pay roll des US-Majors United Artists steht. Das Drehverbot für das Valkyrie-Team im Berliner Bendlerblock bezeichnet er als "einen in seiner Anmaßung geradezu verhängnisvollen Irrtum." Nach dem Kniefall des Oscar-Preisträgers Henckel von Donnersmarck vor Hauptdarsteller Tom Cruise machte Schirrmacher die tätige Hilfe für diesen Film zu seiner persönlichen Mission. Und er erzielt Wirkung. Der Traum eines jeden Journalisten geht für Schirrmacher in Erfüllung: Mürbe geworden knickt das Finanzministerium als Hausherr des Bendlerblocks ein und kassiert sein eigenes Drehverbot für den historischen Erschießungsort des Hitler-Attentäters Stauffenberg. Daraufhin hält ein still triumphierender Schirrmacher als journalistischer Zaungast nächtens bei den Valkyrie-Dreharbeiten am Landwehrkanal "für das Protokoll" fest: "Kein Mensch aß, trank oder telefonierte auf dem Set." Überquellende historische Ergriffenheit versprüht ein anderer Zeuge dieses Abends: Der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg - als Filmkenner bislang unauffällig, aber als Verwandter der Stauffenbergs per se zu einem Filmurteil geadelt - verspürt als Gastautor der SZ "schlichte Dankbarkeit" gegenüber Hollywood und weiß felsenfest, dass hier "ein großer Film im Entstehen begriffen ist". Ein Hollywood-Film als volkspädagogisches Mittel für ein kleinmütiges Deutschland.

Vor so viel Hymnen duckt sich der Leser erst mal in seinen Sessel. Doch dann setzt die Erinnerung ein. Hat zumindest Schirrmacher nicht den gleichen unbändigen Wunsch nach einem neuen, privilegierten Zugang zu deutscher Geschichte schon früher geäußert? Hat er, und nicht zu knapp. Ein Fundstück aus den Tagen des Untergang: "Bernd Eichinger also hat geschafft, was vor ihm noch keinem gelang: Er hat Hitler ein zweites Mal erfunden." Auch Heinrich Breloers Speer und Er schaffte laut Schirrmacher eine Wende in unserem Geschichtsverständnis und darüber hinaus in unserem gesamten Leben: "Heinrich Breloers Film über Albert Speer wird uns verändern." Und jetzt, mit Valkyrie, soll eine Produktion Hollywoods, das zweifellos die größte Kompetenz darin hat, die Gefühle eines Kinopublikums zu bewegen, aber nicht gerade dafür berühmt ist, neue aufregende historische Perspektiven zu entdecken, zum Auslöser eines Umdenkens über eine historische Figur und einen Abschnitt der deutschen Geschichte werden, ja darüber hinaus Auslöser für ein neues Bild von Deutschland in der Welt.

In diesen Zitaten steckt ein heroischer Alarmismus. Und eine komplett naive Vorstellung vom Film. So wie für Schirrmacher das Idol Tom Cruise der Held Stauffenberg "ist", "ist" für Schirrmacher ein historischer Film die Geschichte. Und es beunruhigt ihn nicht, dass das Idol höchstens eine mediale Verfallsform des Helden sein kann. Das höchste Lob, das er bereithält, ist das von der Deckungsgleichheit von Darsteller, Figur und Historie. Ein Lob, das weder den Eigenarten der Kunstgattung Film noch denen der Geschichte gerecht wird. In dieser redundanten Schleife triumphieren Physiognomie, Ausstattung, Kostüm und eine Kino-Dramaturgie der großen Gefühle in vier Akten über die schlichte Tatsache, dass Geschichte sich nicht im Maßstab Schiller´scher Dramentheorien ereignet. Wenn auf der Bühne versucht worden ist, geschichtliche Momente derart zu fassen, dann war das immer der Bühnenrealität verpflichtet, die sich nie mit dem Leben gleichsetzen konnte, allein schon nicht wegen der Begrenzungen des Raums. Das schafft der Film, weil er die Illusion des puren Lebens zum Äußersten treiben kann. Film ist nicht auf die Zuspitzungen der bloß repräsentativen Theater-Dramaturgie angewiesen. Der Gebrauch dieser Mittel hat den großen Vorteil, dass Geschichte auf solche Weise kontrollierbar gemacht wird. Das, was uns ängstigt, weil wir es nicht begreifen, wird eingedampft auf Helden, Intrigen, Verrat und Schicksal. Deshalb kann Schirrmacher so emphathisch von der Kontrolle schwärmen, die im Film durch Inszenierung über das historische factum brutum erlangt wird. Für die Nachgeborenen wird sie so nicht nur verstehbar, sondern auch kommensurabel. Aus Grauen wird Grusel.

Offensichtlich hat Schirrmacher einen manischen Drang, immer wieder jubilierend die große Wende auszurufen, das ganz unerhört Neue. Unglaublich sind die Übertreibungen, zu denen er greift. Da ist die Rede davon, dass "jede einzelne Millimeter-Sequenz dieses Films, die man aufhebt, um sie sich näher anzuschauen, so wirkt, als würde sie Tonnen wiegen." (Der Untergang) Das ist eine bramarbasierende Emotionalisierung, die genau auf das passt, was Film heute vor allen Dingen sein soll: ein Durchlauferhitzer für große Gefühle. Darin steckt ein oberflächliches Interesse am Kino als Massenmedium, als größte zeitgenössische Einflussmaschine. Es geht um bloße Definitionsmacht in einer Zeit, die ihrer selbst unsicher ist und nicht weiß, wo die diffus gewordenen Machtzentren liegen. Wenn man diese Reduktion von Geschichte auf Drama im Kontext des Kampfes gegen 1968 sieht, dann steckt darin der Versuch, eine Geschichtswende zu imaginieren, die nicht mehr aus einer wie auch immer umwälzenden Tat besteht, sondern nur aus der Behauptung einer neuen historischen Interpretation. Und die hat ein Ziel: die Rehabilitierung des Helden und Genies. Film ist die einzige Kunstgattung, in dem Helden quasi in Fließbandproduktion entstehen. In keiner anderen Kunst sind Helden heute noch denkbar, weil die Katharsis, die sie auslösen sollen, von keiner anderen Kunst mehr intendiert wird. Im Kino, der jüngsten der Künste, ist das aufgehoben, was von den anderen, älteren Künsten verworfen worden ist. Aber ein anti-intellektualistisches Kino, das bestenfalls auf Erkenntnis durch Gefühle zielt, braucht Authentizität als Stellvertretung für eine Wahrheit der Geschichte, die jenseits von dramaturgischen Konstruktionen liegt. Das Drama verscherbelt die Fakten, notwendigerweise. Wenn schon nichts wirklich stimmt, dann wenigstens der Ort, das Kostüm, die Physiognomie, die Rangabzeichen. Und der Nachtdreh im Bendlerblock, den man natürlich digital über Bluebox-Verfahren überall hätte herstellen können, verschafft der fiktionalisierten Historie die beruhigende Weihe authentischer Wahrheit.

Wobei Schirrmacher es natürlich mit besonderen Helden hält: den Deutschen, in denen sich auf eine abgründige Weise Glanz und Elend mischen. Wenn Tom Cruise Stauffenberg spielt, den adeligen deutschen Widerstandskämpfer, der vom überzeugten Hitler-Anhänger konvertiert zum ebenso überzeugten Hitler-Attentäter, dann hat die deutsche Geschichte endlich den Rang einer globalisierten Imagination erhalten. Gleichzeitig stellt sich eine Vorstellung der Einheit von Wort und Tat ein. Denn wen immer Cruise spielt, den schmückt seine Vergangenheit als action star des Hollywood-Kinos. Wobei es noch eine weitere Beziehungslinie zwischen Historie und Gegenwart gibt. Beide, Stauffenberg wie Cruise, waren beziehungsweise sind Anhänger einer Sekte. Der junge Stauffenberg zählte zum inneren Zirkel des Stefan-George-"Staates", war wie sein Bruder Berthold Nacherbe des "verehrten Meisters", und sein Leben soll nicht zufällig mit dem Ruf geendet haben: "Es lebe das geheime Deutschland". Stauffenberg machte auf tragische Weise wahr, was Stefan George sich zeit seines Lebens vornahm und vorsichtig versagte: die Einheit von Wort und Tat Wirklichkeit werden zu lassen. Die hysterisch deutsche Empörung, dass die deutsche Heldenfigur Graf Stauffenberg nun ausgerechnet von einem Idol der umstrittenen Scientology Kirche gespielt wird, entbehrt vor diesem geschichtlichen Hintergrund nicht einer gewissen Pikanterie.

Schirrmachers Drang, neue Helden zu kreieren, lässt ihn in immer kürzeren Abständen Entdeckungen machen. Sein jüngster Genie-Streich gilt nicht dem Film, sondern der modernen Bestseller-Literatur. "Er" lautete bündig und beziehungsreich die Überschrift der bislang letzten Hymne. Natürlich handelt es sich wieder um einen Mann, dem die Aura eines modernen Übermenschen zuteil wird. Zufall oder nicht: So wie in den männerbündischen Vereinigungen der Vorkriegszeit Frauen bestenfalls mit der Rolle der Muse sich bescheiden mussten, so finden Frauen im genieversessenen Weltbild des neokonservativen Frankfurter Publizisten meist als Auslassung statt: Jüngst galt Schirrmachers Ritterschlag dem "Genie des Stephen King".


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