Ob es einen Tarifvertrag gibt und wie viel sie verdiene? Nein also dazu, raunt die Kellnerin, möchte sich lieber gar nichts sagen. Und es wäre ihr auch recht, wenn weder ihr noch der Name der Gaststätte in der Zeitung auftauchen würden. Jeder wüsste dann ja sofort Bescheid, und der Chef habe dazu sicher keine gute Meinung. "Fragen Sie doch woanders", rät die Frau und verschwindet in der Küche. Draußen auf der Bundesstraße 1 schleppt sich zäh der Verkehr der Wochenendausflügler durch Brandenburg in Richtung Berlin.
Im Hauptstadtbüro der Gewerkschaft NGG sitzt Sebastian Riesner und hebt die Hände. Worüber die Kellnerin nicht reden wollte, darüber würde er gern etwas sagen. Aber eine genau Antwort hat auch er nicht. Über 30.000 Menschen arbeiten im Brandenburger Gastgewerbe, wie viel sie verdienen, kann er nur schätzen. Zwar gibt es seit diesem Frühjahr wieder einen gültigen Vertrag mit den Arbeitgebern - nach zuvor vier tariflosen Jahren. Ob und wo der jetzt zur Anwendung kommt, ist aber ungewiss. Es gebe einfach keine genauen Zahlen, sagt Riesner, und ja, natürlich sei das ein "Riesenproblem".
Das Gastgewerbe gehört zu den Branchen, in denen das Wort Flächentarif längst seine Bedeutung verloren hat. Ungefähr die Hälfte der Betriebe ist nicht einmal im Arbeitgeberverband organisiert. Und selbst bei DEHOGA*-Mitgliedern weiß man nicht so genau, wer sich an die Abmachungen mit der Gewerkschaft hält. Die Satzung der Branchenorganisation ermöglicht es den Betrieben, sich für "OT" zu erklären. So bleiben sie im Arbeitgeberverband, müssen sich aber nicht an die Tarifverträge halten.
Wegen dieser, wie Riesner es nennt, "organisierten Tarifflucht", sei es schon passiert, dass der NGG-Sekretär für Mitglieder Ansprüche geltend machen wollte und dann erst erfuhr, dass das betreffende Unternehmen gar nicht tarifgebunden sei. Mitunter wisse die Gewerkschaft nicht einmal, ob die Vertreter ihrer Verhandlungskommission in einem Betrieb arbeiten, für den der Tarif gilt. "Wir befürchten immer stärker, dass wir fiktive Verträge abschließen, die zwar auf dem Papier existieren, aber in der Praxis kaum noch Anwendung finden."
Das Problem ist auch aus anderen Branchen bekannt. Im Gastgewerbe ist es aber besonders gravierend. In den vergangenen Jahren hat sich hier der Anteil der Niedriglöhner von knapp 66 auf 71 Prozent erhöht. Zwischen 1998 und 2005 sind in Hotels und Restaurants sogar die durchschnittlichen Brutto-Monatslöhne preisbereinigt gesunken - wie in keiner anderen Branche. Bundesweit verdient ein Kellner heute etwas mehr als 1.730 Euro, wenn er nach Tarif bezahlt wird. In den tariflosen Zonen liegt die Bezahlung mit 1.350 Euro deutlich darunter.
Verglichen mit Brandenburg ist aber sogar das noch viel. Hier bekäme ein Koch oder eine Restaurantfachkraft selbst mit Tarifvertrag nur 1.360 Euro, und auch die erst ab kommenden Mai. Die meisten müssen mit deutlich geringeren Einkommen auskommen. Riesner schätzt, "dass die meisten Kollegen im Schnitt noch einmal 20 Prozent weniger verdienen, also zwischen 950 und 1.000 Euro brutto".
Angesichts solcher Zustände die Hoffnung auf Besserung zu wahren, ist gar nicht so einfach. "Ich habe kein Patentrezept", sagt Riesner, wenn man ihn nach Auswegen fragt. Sicher: Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte das Schlimmste verhindern. Aber aus der Defensive heraus wäre die Gewerkschaft damit noch nicht. Der Organisationsgrad der NGG in Brandenburg liegt bei 15 bis 20 Prozent. "In einer Dorfkneipe findet man nur ganz selten Mal ein Gewerkschaftsmitglied", das mache es nicht einfacher, die Beschäftigten zu mobilisieren. Zudem ist die Fluktuation in den Betrieben hoch, die Mitarbeiterzahl gering. "Wenn der Chef gleich hinter dem Tresen steht, ist das oft viel persönlicher, und da fällt es den meisten schwer, für ihre Situation etwas zu tun."
Langsam, so hofft Riesner, würden aber auch die Unternehmen merken, dass man Fachkräfte "nicht für Null Ouvert" bekommt. In größeren Hotels zeige sich das jetzt schon, Ausbildungsplätze können nicht mehr so einfach besetzt werden. Kein Wunder, gilt doch noch immer: Wer kann, geht weg. Seit diesem Monat bekommen Lehrlinge im Brandenburger Gastgewerbe 384 Euro im ersten Jahr. Da überlegen sich viele, ob sie nicht doch lieber die 20 oder 50 Kilometer nach Berlin pendeln. Hier bekommen Azubis im ersten Jahr fast 100 Euro mehr.
An einer winzigen Erhöhung der Ausbildungsvergütung wäre im Frühjahr beinahe der ganze Tarifabschluss für Brandenburg gescheitert. Man habe der DEHOGA die mageren zehn Euro "nur mit großer Mühe abringen können", erinnert sich Riesner. Dass es der Branche nicht rosig geht, weiß auch der Gewerkschafter. Andererseits wird behauptet, in Brandenburg gehe es mit dem Fremdenverkehr bergauf, was sich dann auch positiv auf das Gastgewerbe auswirken müsste. Genau das, sagt Riesner, habe man in der vergangenen Tarifrunde auch der DEHOGA vorgehalten. Einer von deren Vertretern habe daraufhin erklärt, dass die Erfolgsmeldungen zur Tourismusentwicklung aus politischen Gründen veröffentlicht werden. In Wirklichkeit seien die Zahlen viel schlechter.
So sieht das wohl auch der Brandenburger DEHOGA-Präsident Thomas Badstübner, der die wirtschaftliche Lage "besonders in den ländlichen Gebieten besorgniserregend" nennt. Das sei doch kein Wunder, kontert NGG-Mann Riesner, wenn überall die Löhne stagnierten. "Wenn die Leute kein Geld im Portemonnaie haben, gehen sie nicht ins Restaurant, sondern kochen sich lieber zu Hause eine Suppe."
* Deutscher Hotel- und Gaststättenverband
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