Computerspiele machen dumm und aggressiv

Vorurteile Regelmäßig wird Computerspielen die Schuld an angeblich zunehmender Gewalt gegeben und Gamer werden als potentielle Amokläufer diskreditiert

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Ist etwa selbst Mario gar nicht so super?
Ist etwa selbst Mario gar nicht so super?

Foto: Maike Hank

Es musste ja so kommen, der Abend war einfach zu schön! Wir sitzen gerade, belangloses Zeug schwatzend, auf einer Cafèterrasse, der Lärm des Innenstadtverkehrs wird mit der beginnenden Dämmerung leiser und gerade beschließen wir noch eine Kanne Hauswein zu ordern, da sagt Monika plötzlich, über die teure Nerdbrille schielend: „Also ich würde meine Kinder niemals Computerspiele spielen lassen! Die machen doch dumm und aggressiv!“

Ein schlecht unterdrückter Seufzer geht durch die erstarrende Runde und die Köpfe drehen sich betrübt zu mir. Alle wissen was ich von derlei Aussagen halte, ich bin bekennender Gamer. Während ich langsam mein halbvolles Weinglas abstelle, kämpfen in meinem Kopf unzählige Gedanken um das Recht geäußert zu werden. Monika sitzt mir dabei gegenüber, fast kann man die wandernden Büsche in einer Staubfahne über den High-Noon-Tisch rollen sehen. Monika ist fast vierzig, verheiratet, attraktiv, ökologisch engagierte Hausfrau und schafft es bei jeder Gelegenheit ihr Kunstgeschichtestudium zu erwähnen. Als Mutter zweier Kinder, Leon, ein stiller blauäugiger Junge, der sich gerne alles in seiner Reichweite befindliche in den Mund steckt, vermutlich weil es ihm Freude bereitet und seine Schwester Leonie, ein lebhaftes aufgewecktes Mädchen, die gerne unvermittelt losbrüllt, ganz sicher, weil es ihr Freude bereitet, bekommt ihre Aussage den Charakter einer Prophezeiung.

Ich könnte jetzt argumentieren: Computerspiele machen also dumm, ja? Etwa so, wie Ballettunterricht schwul macht? Vom Commodore Plus/4 bis zum heutigen Tag habe ich die ganze Siliziumevolution mitgemacht und immer gespielt. Simulationen halfen mir dabei zu begreifen, wie komplex organisierte Systeme sein können. Historische Hintergründe lenkten meine Neugier auf die ideologische Ausbeutung der Vergangenheit, während Ego-Shooter meine Hand-Augen-Koordination verbesserten, aber gleichzeitig unlösbare moralische Dilemmata heraufbeschworen.

Ich könnte polemisieren: Computerspiele machen also aggressiv, ja? Etwa so, wie masturbieren blind macht? Nur, weil einige Politiker ihr eigenes und das gesellschaftliche Versagen nicht zugeben können oder wollen? Wenn wieder einmal ein Amoklauf passiert, sind die Spiele schuld, weil ja einer Schuld sein muss? Wo doch komplexe Studien ergaben, dass Spieler nicht durch die Spiele aggressiv werden, sondern nur bereits vorhandenes Aggressionspotential angeregt wird, in etwa wie bei einen Boxer, der eine vor die Birne kriegt?

Da ich weder argumentieren noch polemisieren will, der Abend ist so schön, höre ich mich, als ich das Glas abstelle, stattdessen zornig brüllen: „Ich habe als Space Marine auf dutzenden Planeten für die Zukunft des Imperiums gekämpft! Ich habe die Sphäre und die Physik besiegt! Ich habe Handel zwischen mittelalterlichen Hansestädten und fernen Galaxien betrieben! Ich habe mir aus einem Aquarium einen Astronautenhelm gebaut! Ich habe die Zeit vorwärts und rückwärts gedreht, um einen verrückten Wissenschaftler aufzuhalten! Ich habe Dinge gesehen, die du niemals glauben würdest! Ich bin um mein Leben geschlichen, gerannt, gehüpft, gesprungen, geschwommen und geritten! Ich habe darum gebettelt, gefeilscht, geredet, gehandelt, gewettet und gekämpft. Ich habe das schaurige untergehende Rapture gesehen und grauenhafte Kreaturen ausspeiende Dimensionsrisse gekittet! Ich habe leuchtende Außerirdische, blutige Zombiearmeen und furchtbare Seuchen aufgehalten! Ich war Batman und Freedom Force! Ich bin durch eine postnukleare Welt nach New Vegas gelaufen und durch die zerstörte Moskauer Metro gekrochen! Ich habe aus einem Dorfverein einen Champions-League-Gewinner gemacht! Ich habe mich an denen gerächt die meine Familie umgebracht haben! Ich war ein Rennfahrer, ein Söldner, ein Raumschiffkommandant, ein Held, ein Rumtreiber, ein Liebhaber, ein Ritter, ein Magier, ein Raubtier, ein Monster, ein Replikant, ein gefallener Engel, ein Roboter, ein richtiger Engel, ein Römer, ein Ball, ein Reisender, das unsagbar Böse und Gott. Ich wurde bejubelt, verflucht und herbeigesehnt! Was zum Teufel hast du wohl in der Zwischenzeit gemacht?“

Seitdem redet Monika nicht mehr mit mir.

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Geschrieben von

visionsbar

"Ich lasse meine Mitmenschen zur Hölle fahren, wie es ihnen beliebt!" Robert Louis Stevenson

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