Die Hitze flirrt in den Straßen von Athen. Beinahe fühlt es sich schwerelos an, als ob man durch die hohe Luftfeuchtigkeit schweben könnte durch die Stadt. Dieses Gefühl kommt dem nah, worin sich das KuratorInnenteam in den vergangenen fünf Jahren versucht hat: einen schwebenden Transfer zwischen zwei Städten zu bauen (Freitag 15/17). Man mag die Documenta als Institution kritisieren – grundsätzlich basiert diese Ausgabe jedoch auf dem Versuch eines transnationalen Ausstellungskonzepts.
Wenn dadurch Fragen aufgeworfen und neue Positionen angeregt werden, ist dies erst mal ein progressiver Anstoß. Was wird aber durch die Werke und Ausstellungspolitiken formuliert? Was zeigt sich abseits der Museumsbunker? Ein Zoom auf eine Documenta-Verästelung, auf das Filmprogramm Hallucinations im Griechischen Filmarchiv, eröffnet neue Perspektiven auf die Kunstschau.
Das Filmarchiv befindet sich an einer Straßenecke im Athener Stadtteil Kerameikos. Die Erwartung, ein Programm zu besuchen, bei dem die Kontrolle durch die freie Wahl bei den ZuschauerInnen bleibt, muss bereits am Eingang abgegeben werden. Das Konzept zielt auf Halluzination, was es unmöglich macht, sich zwischen den 16 Programmbausteinen zu entscheiden. Film ist hier überall: auf Bildschirmen und Wänden im Foyer, in zwei Kinosälen, in einem Raum mit Sitzbank und auf dem Dach unter freiem Himmel. Eine absolute Überforderung, die zunächst die Angst beschwört, etwas zu verpassen. Abhilfe leistet Ulrike Ottingers Zwölf-Stunden-Werk Chamissos Schatten. Auf dem Weg in das kleine Kino begibt sich der eigene Körper durch den zeitgleich ratternden Projektorenstrahl und streift für einen kurzen Moment das Licht eines Films im Foyer, den man nicht sehen wird. Im Saal verwebt der Reisebericht Zeiten und erlaubt ein Sich-Verlieren in Naturaufnahmen und Lebensläufen. Man spürt die Geduld, die Ottingers Film durch die Dauer besitzt und beginnt zu vergessen, was als Nächstes geplant war.
Wandert man umher, kann man Peter Burrs Grafiklandschaften besichtigen. Seine Vierkanal-Videoinstallation Pattern Language ist eine Mischung aus Flicker-Film und Videospiel, kombiniert mit elektronischen Klängen. Burr überlässt dabei die Formen nicht dem Zufall, sondern vermittelt Räume einer vorstellbaren Gegenwart. Der eigene Blick versucht die verschiedenen Grafikschichten zu durchbrechen und tiefer in die digitalen Strukturen vorzudringen, aus denen sich irgendwann Menschen schälen, gleich einem Erwachen des Lebens nach einer digitalen Geburt.
Auf dem Dach ist es spät geworden, ein warmer Wind weht und in The Great Eastern treibt aufgeladene Lust ihr Spiel zwischen körperlicher Begierde und menschlicher Zuneigung. Auf einer griechischen Insel begegnen sich die Geschlechter in hochästhetisierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen, formieren Standbilder und sprechen in melancholischer Unerreichbarkeit zueinander. Das Kunstkollektiv The Callas spielt danach Musik und übersetzt die unausgesprochene Gewalt emotionaler Bindungen aus seinem Film als Klang in den Raum. Zwei Ausdruckstänzerinnen begleiten den Vortrag: weiße Unterwäsche, darüber schwarzer durchlässiger Leinenstoff; auch wieder eine Parabel auf den Film. Ihre Präsenz reicht bis in die Finger der gestreckten Hände, ihre Bewegungen formulieren die Kraft von Frauenkörpern.
Das Visuelle wird zum Ort der Hingabe, das die auratische Aufladung eines Einzelscreenings nicht mehr braucht. Es wandelt sich zu einem Gestus, der ein ganzes Gebäude umarmt und das Sehen zelebriert. Hila Peleg und Ben Russell kontrastieren die Disziplintreue der anderen Athener Documenta-Spielorte: Sie zeigen zwar Filme, lassen aber innerhalb der Programme Gespräche, Performances, Tanz und Musik auf Bewegtbild prallen. Kein Aufzeigen angesagter Kunstvariationen, sondern gegenseitiges Befeuern von Ausdrucksweisen, das manchmal den Puls rasen lässt und große Lust auf Turbulenzen macht.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.