Facebook im Sand

Identifikation Annekatrin Hendel erinnert mit ihrem Film „Fünf Sterne“ an die Künstlerin und Freundin Ines Rastig
Ausgabe 19/2017

Unausgepackt sammeln sich in der Ecke des Kleiderschranks Zeitungen der vergangenen Wochen. Die zwei Frauen, die sich seit einer Weile das Hotelzimmer teilen, haben sie bewusst weggelegt, verbannt in die „Ecke der Ignoranten“. Die Außenwelt hat keinen Platz innerhalb des Hotelzimmers, das als letztes Bühnenbild einer Biografie dient.

Die Regisseurin Annekatrin Hendel hat mit Fünf Sterne ein Porträt der Künstlerin Ines Rastig gedreht. Die Frauen verbindet nicht nur die Nähe zum Fotografischen, sondern auch eine Freundschaft. Sie kennen sich seit Mitte der 1980er Jahre, in denen Ines Rastig als Künstlerin in Berlin aktiv war. Sie malte, sang in Untergrundbands, drückte sich durch Performances und Fotografien aus. „Alles, was sie in die Finger kriegt, wird irgendwie Kunst“, erklärt die Filmemacherin Hendel.

Als Stipendiatin bekommt sie für einige Wochen ein Hotelzimmer in Ahrenshoop gestellt. Sie beschließt, die Freundin mitzunehmen, die in Berlin keine Wohnung mehr hat. Durch Krebskrankheit und dem Bruch mit der Familie befindet sie sich in einem Taumel. Die Stunden, Tage, Wochen im Hotelzimmer werden zur Erzählung über ein Frauenleben, das von den Nischen Ost-Berlins bis in die gentrifizierte Gegenwart reicht. Ines Rastig spricht bestimmt und raucht selbst ihre Zigarette mit Genauigkeit. Sie beschäftigt sich mehr mit ihrem Laptop als mit der Freundin, von der sie durch die Kamera angesehen wird.

Wenn das Gespräch bei Lebensstationen verweilt, dann nur zufällig. Es entwickelt sich sowieso das Gefühl, dass Rastig einen gesetzten Dialog nicht führen würde – er könnte sie langweilen. Wenn ihr Blick auf den Laptop abschweift, dann scheint es, als würde ihr die Kontrolle über den Bildschirm mehr Genugtuung und Sicherheit geben als das Gespräch. Facebook ist zum Raum für Rastig geworden, nachdem das analoge Zuhause, einst von der Familie produziert, mit der Trennung verloren ging. Wenn Rastigs Selbstbild mit dem Ende der Ehe zerbrochen ist, scheint es, als helfe ihr das Netzwerk dabei, wieder eines zu finden, mit dem sie ohne Mann und ohne Kinder Mensch sein kann.

Kamera als Mediator

Wenn ihre Gegenwart durch den Krebs gezeichnet ist, dann ist es auch ein Ort, um gewählte Bilder von sich zu zeigen, die vergangen oder zukünftig sein können. Rastig möchte diesen zweiten Raum bestimmen: Sie kuratiert ihn als digitalen Ausstellungsraum. Greifen andere Menschen in ihre Bestimmungsgewalt ein, kommt die Panik; versucht die Freundin ihre digitale Vereinnahmung zu kritisieren, prallt es an ihr ab. Ihre neue Welt, in der sie unabhängig Bilder baut und Zuneigung sammelt, lässt Rastig sich nicht nehmen. Als Zuschauerin ist man froh um den Raum des Digitalen, der sich im Hotelzimmer auftut. Die Begrenzung, die Enge lassen Rastig wie eine Löwin im Käfig ruhen, die darauf wartet, wieder vom Leben gefüttert zu werden.

Das Hotel ist der Käfig, von dem man nur ein Zimmer sieht. Fredric Jameson schrieb zur Architektur der Postmoderne, dass die verspiegelten Hotelfassaden sich wie Sonnenbrillenträger vom Außenraum abspalten. In Fünf Sterne ist es die Sonnenbrille der Ines Rastig, die innerhalb des Hotelzimmers eine Grenze zieht. Die Brille ist ein Requisit ihrer Inszenierung.

Die Pudelmütze, die Stoffserviette, das schwarze Kleid, der Frühstückstisch, die Blumen in der Vase und der Laptop wirken auf ähnliche Weise. Das Hotelzimmer wird von Rastig ausgestattet und mit den vergehenden Tagen zur Bühne umgebaut. Diese Gesten und ihr eigenes Spiel mit Verkleidung werden so zum Symbol von Identifikation. Viele Jahre hat Rastig als Ausstatterin bei Theater- und Filmproduktionen gearbeitet, Kostüme und Räume gestaltet. Sie war von Hamburg bis Wien an Produktionen großer Schauspielhäuser beteiligt, auch gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, der bis heute Szenograf ist.

Jetzt aber, im Hotelzimmer, ist das eine andere Arbeit. Rastig baut Szenen mit ihrem Körper und mit ihrer Sprache. Sie erweckt immer wieder Bilder, die mit Berlin verbunden sind und die diverse Rollen skizzieren: die einer Mutter, einer Heimatsuchenden, erfüllt in sprachlicher Gewalt und fiebernd vor dem Drang nach Unabhängigkeit. Filmisch passiert in Fünf Sterne viel weniger, beinahe, als käme das Bild nicht mit den sprachlichen Ideen der Figur Rastig mit. Sinnlichkeit entsteht, wenn sich Innen- und Außenraum begegnen: wenn die Sonne den Raum in diffus kitschiges Licht taucht, wenn Rastig den Balkon inspiziert, als wolle sie ihn sich aneignen oder wenn Fotografien von Rastig eingeblendet werden, die den Blick erweitern.

Die Kamera wird zum Mediator zwischen zwei Frauen, die unausgesprochene Vorwürfe, Unsicherheiten und Fragen erkennen und aushalten lässt. Sie filtert vieles, was dadurch leichter an Hendel abprallen kann, als gäbe es einen Schutzschild. So halten sich diese beiden Frauen fest, die eine an ihren Requisiten, die andere an ihrer Kamera, und zeichnen sich dadurch umso stärker vor dem universellen Hintergrund des Hotelzimmers ab.

„Eine Sekunde für vorher, eine für nachher, eine für mittendrin“, singt Peter Licht am Ende. Diese Zeiten bildet Fünf Sterne ab. Sie erzählen vom Leben und dem Sterben, als einem Teil davon. Es ist angenehm, dass ein Film, der nach dem Tod seiner Hauptfigur erscheint, ohne Wehmut auskommt. Und anstatt ein Leben zu fokussieren, diverse Lebensentwürfe als Möglichkeiten versammelt.

Info

Fünf Sterne Annekatrin Hendel D 2017, 79 Min.

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