Der Cowboyhut wirft einen Schatten auf das zarte Gesicht und taucht dadurch die eine Hälfte in helles Sonnenlicht, die andere in Dunkelheit. Das Gesicht ist so nah, dass die Hautstruktur sichtbar wird, Poren und Augenfalten sich nachzeichnen lassen und man den Augen beim Denken zusehen kann. Anders als Menschen blicken Pferde in „The Rider“ direkt in die Kamera: Nah an den Adern bewegt sie sich entlang, lässt uns jedes Härchen an den Nüstern beobachten. Die hervortretenden Augen bewegen sich langsam, wach und ruhig zugleich. Mensch und Pferd werden so durch Bilder verbunden und bleiben doch Gegner. Mit solchen Gegensätzen spielt Chloé Zhao in ihrem zweiten Langfilm sowohl inhaltlich als auch kinematografisch. Daraus schöpft sie eine Kraft, die dem Film eine seltene Magie verleiht.
Brady kehrt nach einem Unfall beim Rodeo ins Pine Ridge Reservat von Süddakota zurück, wo er mit seinem Vater Wayne und seiner Schwester Lilly lebt. Die Operationsnarbe, die frisch vernäht die Schädeldecke zusammenhält, prangt auf seinem Kopf und ist fortan Zeichen dafür, ob Brady sich wieder dem Rodeo widmen soll. Er ist zwar gezwungen sich zu schonen, verbringt aber Zeit mit der Clique und besucht seinen Freund Lane, der nach einem Rodeo-Sturz bewegungsunfähig in einer Klinik lebt. Gezeichnet von bleibenden Schäden, vertreiben sie sich die Zeit, indem sie in Erinnerungen schwelgen.
So wird in "The Rider" deutlich, wie versucht wird, mit aller Macht die Idee von der Freiheit als Cowboy über die Grenzen der Realität zu legen. Männerfreundschaften sind im patriarchal geprägten Süddakota rau wie ihre Sprache. Es soll sich gemessen werden, miteinander und gegeneinander. Es geht darum, ein „Superman“ zu sein, nicht ein Mann unter vielen, sondern stärker als die anderen, am stärksten in der Arena, in der als letzte Gegner bockende Pferde oder Bullen auf sie warten. Und es geht darum, die Begrenzungen des Lebens zu durchbrechen wie das Tattoo die Unversehrtheit der Haut, des Körpers.
Ganz ohne Klischees und Setzungen
Regisseurin Zhao beschäftigte sich schon in ihrem Debütfilm „Songs My Brothers Taught Me“ (2015) mit den Farmen und Menschen von Süddakota, lernte dadurch die Protagonisten kennen, die in „The Rider“ als Laien ihre eigenen Geschichten spielen. Geschickt entkommt die Filmemacherin dabei Klischees oder Setzungen, indem sie den Bruch sucht, so zum Beispiel auf technischer Ebene: eine wackelige Handkamera steht gemäldeartigen Tableau-Aufnahmen gegenüber.
Auch narrativ variiert Zhao und lässt das Ersichtliche ins Leere laufen. Großartig ist dabei ihr Interesse an allen Figuren; jeder Cowboy hat eine Absicht, die er verfolgt, ein Leben für das er kämpft. Lilly, die Sätze durch ihre geistige Behinderung oft schräg formuliert, kommentiert geistreich das Verhalten ihrer Familie, erkennt die Ironie oder das Unausgesprochene hinter dem Gesagten. Auch sie interessieren Lebensgrenzen, sie sieht sie im All, den Sternen, die höher als der Himmel selbst liegen und die sie dann ihrem Bruder beinah als Bestätigung seiner erträumten Unsterblichkeit auf den Körper klebt, der gesalbt wie ein Unwissender, davon im Schlaf nichts merkt.
Dabei ist den jungen Cowboys im Mittleren Westen von Amerika zwischen den staubtrockenen Feldern und den klebrigen Spielhöllen mit ihrem süßlichen Biergeruch klar, wo die Grenzen verlaufen. Arbeitslosigkeit und Sucht sind Gewohnheit und der Traum vom Besonderen somit eine Chance fürs Leben. Die jungen Männer in Zhaos Filmen haben eine Kraft, die in ihrem Inneren entsteht, die jedoch auch ihre eigentliche Emotionalität und Zerbrechlichkeit zutage fördert.
Zwischen Mensch und Tier wird die Bindung und die Suche nach Nähe, nach Berührungen oder Gesprächen deutlich: Gehorsam verwebt sich mit Vertrauen. Gefühle, die durch eine verhärtete rationale Männlichkeit gebremst werden, entladen sich zwischen den Jungen im Kampf. Als Brady einem angehenden Rodeo-Reiter Teile seiner Ausrüstung schenkt, lodert der Schmerz in ihm. Er fordert ihn zum Kämpfen auf, dem rationalen Schmerz – damit es anders wehtut.
Gesichter bleiben lebendig
„The Rider“ lässt berührt zurück, ohne das Gefühl zu haben, manipuliert worden zu sein. Zhao findet immer wieder Situationen, beinah dokumentarisch, zufällige Gespräche und Bilder, die eine eigene Sprache entwickeln. Sie kombiniert dies mit komponierten Naturaufnahmen, die durch die Kürze und Weite der Bilder berauschende Wirkung haben.
Eine Regisseurin bekannte einmal, dass sie lieber Gesichter von Tieren als von Menschen filme, schließlich würden diese nicht lügen. „The Rider“ schafft es, menschliche Gesichter zu zeigen, die vielleicht deshalb eine gewisse Wahrhaftigkeit ausstrahlen, weil der Film sie in ihrer eigenen Umgebung zeigt: Sie bleiben lebendig.
Und so ist ja Magie – sie lässt beinah verwundert zurück, darüber was möglich ist, wenn Filmmaterial auf natürliches Licht kurz vor Sonnenaufgang trifft oder das Rauschen des Windes durch die Ähren und Hufe saust. Sie zaubert, weil sie den Bildern vertraut, den Figuren Zeit gibt.
The Rider Chloé Zhao USA 2017, 105 Minuten
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